
"True Detective": Der würzige Todesgeruch
"True Detective"-Künstler Joshua Walsh "Der Killer ist ein sehr gestörter Mann"
Joshua Walsh, 53, ist passionierter Jäger und freier Künstler. Er arbeitete die vergangenen 20 Jahre als Maler in New Orleans. Von Hollywood wurde er durch einen Zufall entdeckt. Walsh hatte einer Freundin, einer Set Designerin von "True Detective", aus gesammelten Holzstückchen einen Kolibri gebastelt, der auf ihrem Schreibtisch stand. Die Figur passte perfekt zu dem, was sich die Crew optisch für die Artefakte des Serienmörders vorstellte. Joshua Walsh wurde engagiert und über ein halbes Jahr stellte er Tausende Holzfiguren für die US-Serie her. Schließlich spielte er sogar einmal selbst den Serienkiller, sein Gesicht ist nicht zu erkennen, er trägt eines der Opfer durch die Dunkelheit.
SPIEGEL ONLINE: Herr Walsh, Sie fertigten für "True Detective" die Kunstwerke des Serienmörders an, der in der Serie gejagt wird. Mussten Sie dafür mental selbst zum Killer werden?
Walsh: Ich musste mich zumindest sehr intensiv in diese kranke Figur einfühlen. Zuerst las ich das Drehbuch und entwickelte eine vage Idee davon, wie er denken und fühlen könnte. Der Autor Nic Pizzolatto machte wenige Vorgaben, alles war sehr offen.
SPIEGEL ONLINE: Also haben Sie sich die Gestaltung der Holzfiguren, Malereien sowie von Carcosa, der mit Artefakten angefüllten Höhle in der letzten Folge, selbst ausgedacht?
Walsh: Ich bin Jäger, verbringe täglich Zeit im Wald und schieße Wild mit Pfeil und Bogen. Daher sammle ich ohnehin viel, was ich draußen finde. Schädel zum Beispiel, aber auch altes Holz. Daraus baute ich irgendwann eine Figur und das war's dann. Später machte ich noch diese kleinen Holzpyramiden, aus Stöckchen zusammengebunden. Wir nannten sie Vogelnest, denn die erste bestand aus einem echten Vogelnest, das ich mit Dornenzweigen dekorierte.
SPIEGEL ONLINE: Diese Nester geben den Ermittlern Rust Cole, gespielt von Matthew McConaughey, und Marty Heart, gespielt von Woody Harrelson, Rätsel auf. Was haben Sie sich bei der Herstellung gedacht?
Walsh: Ich habe alles mit Matsch bearbeitet oder heißes Wachs darüber gegossen. Jedes Holzteilchen war für mich wie ein eigener spiritueller Altar des Killers, mit dem er zugleich versucht, sich selbst zu schützen, wie mit einem Talisman. Deshalb knüpfte ich Fetzen von den Kleidungsstücken seiner Opfer oder auch Kinderschuhe und Spielzeug da rein.
SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht eher verrückt als spirituell?
Walsh: Eine Kombination aus beidem.
SPIEGEL ONLINE: Wie viel Zeit haben Sie damit verbracht?
Walsh: Nach dem ersten Anruf aus Hollywood sicher zwei Monate nur um Ideen zu entwickeln, dann sechs Monate ohne Pause am Set. Je mehr ich arbeitete, desto tiefer stieg ich ein.
SPIEGEL ONLINE: In was?
Walsh: Vor allem in das Sammeln. Ich hatte ein eigenes Team, das den ganzen Tag nur Treibholz aus dem Mississippi gefischt hat. Am Ende waren es über 3000 Holzteile. Außerdem begann ich, Pflanzen anzubauen, nur um ihre Wurzel zu verwenden. Ich knotete sie verkehrtherum an die Holzfiguren, diese erdige Anmutung passte gut. Ich dachte mir, unser Killer gräbt sicher auch gern Verwesendes aus. Er ist ein sehr gestörter Mann.

US-Serie "True Detective": Einzigartig bösartig
SPIEGEL ONLINE: Fühlten Sie sich ihm irgendwann verwandt?
Walsh: Es ist auf jeden Fall verstörend, Kunst aus der Perspektive eines Menschen zu machen, der Kinder tötet.
SPIEGEL ONLINE: Wie sind Sie damit umgegangen?
Walsh: Ich sagte mir: "Hey, es ist nur eine TV-Show." Aber der Gedanke, wie kaputt unsere Gesellschaft ist und dass es solche Menschen wirklich gibt, ließ mich nicht los. Ich habe dieses Gefühl schließlich als Kunst in der Set-Dekoration verarbeitet.
SPIEGEL ONLINE: Wo denn?
Walsh: Ich habe den Satz "I am real" ("Ich bin echt") hier und da an Wände gemalt oder in Holz geritzt. Zum Beispiel in dem Raum, in dem der Serienkiller seinen Vater auf einem Bett ohne Matratze angekettet hält und ihm den Mund zugenäht hat.
SPIEGEL ONLINE: Fiel das dem Team auf?
Walsh: Je merkwürdiger meine Werke wurden, desto mehr mochten alle anderen sie. Das hat mich manchmal fast beunruhigt. Meine Chefs waren aber auch immer etwas ängstlich, wenn sie morgens in mein Studio kamen und fragten, was ich Neues gemacht habe.
SPIEGEL ONLINE: Wo befand sich Ihr Studio während des Drehs?
Walsh: In einer dunklen, heißen Kammer direkt über der großen Halle, in der viele Sets aufgebaut waren, wie etwa das Gefängnis. Meistens mussten wir uns alles draußen ansehen, es war dort einfach zu eng. Aber für mich war das genau richtig, ich konnte dort ungestört experimentieren.
SPIEGEL ONLINE: Was zeichnet Ihre Arbeit aus?
Walsh: Ich bin sehr vielfältig und ritze zum Beispiel gern Muster in Kuh-Schädel. Viele andere Künstler malen ja einfach nur.
SPIEGEL ONLINE: Ihre eingeritzte Spirale hat es immerhin bis auf die Brust von Homer Simpson geschafft .
Walsh: Ist das nicht toll? Kurz vor der letzten Folge von "True Detective" wurde in den USA überall spekuliert, wer der Killer, der sogenannte "Yellow King", sei. Der TV-Sender Fox postete dann dieses Foto von Homer als gelbem König mit meinem Symbol auf der Brust und einer meiner Dornenkronen auf dem Kopf.
SPIEGEL ONLINE: Danach wurden Ihre Artefakte tausendfach kopiert, verarbeitet und im Internet verbreitet.
Walsh: Ein fantastisches Gefühl. Das klingt vielleicht komisch, aber ich habe ja versucht, etwas Schönes zu erschaffen. Irgendwann dachte ich nicht mehr an den Schock, den meine Kreationen auslösen würden, sondern an ihre natürliche Schönheit. Viele der Skulpturen hatten zum Beispiel Phallussymbole in sich.
SPIEGEL ONLINE: Das ist mir entgangen. Wie viele Details Ihrer Arbeit vermissen Sie, wenn sie "True Detective" im Fernsehen sehen?
Walsh: Fast alles. Allein Carcosa ist riesig, im Film sieht man aber nur einen Bruchteil davon. Ich habe das Set, ein Labyrinth in sechs Räumen, mit sieben Mitarbeitern aufgebaut. Am Ende haben wir Austernschalen auf dem Boden verteilt, damit jeder Schritt unangenehm ist und der Geruch beklemmend wird. Wir nannten das den "spicy death smell", den würzigen Todesgeruch. Und anstatt Farbe zu benutzen, schmierte ich mit Kurkuma, sicher vier Kilo davon, die Wände voll und das gelbe Spiralzeichen auf die dort gesammelten Schädel. Damit roch alles noch schlimmer. Ich brauchte sehr lange, bis ich wieder indisch essen konnte.
SPIEGEL ONLINE: Das ist im TV nicht zu erahnen. Trotzdem ist die Todeshöhle sehr gruselig.
Walsh: In Hollywood heißt es inzwischen, es sei das unheimlichste Set-Design, das es je im Fernsehen gab.
SPIEGEL ONLINE: Sie lachen.
Walsh: Klar, ich bin stolz darauf! War verdammt viel Arbeit.
"True Detective" läuft in Deutschland ab dem 8. September immer montags bis freitags um 20.00 Uhr auf Sky Atlantic HD. Die komplette erste Staffel ist auf dem Streamingdienst Sky Go abrufbar. Am 4. September erscheint sie zudem auf DVD und Blu-Ray.