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Filme zur Wiedervereinigung: Der Ossi als Erfolgsmensch

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TV-Highlights am Einheitstag Fahrstuhl zum Bankrott

So sächsy war's noch nie! Mit der ZDF-Komödie "Stankowskis Millionen" und der ARD-Reportage "Mein vereintes Deutschland" begehen die öffentlich-rechtlichen Sender den 3. Oktober ohne peinliches Pathos. Wird das wiedervereinigte Deutschland endlich normal?
Von Nikolaus von Festenberg

Lauf, mein Sachse, lauf! Wolfgang Stumph, der als Stumpi mitten ins Herz des gesamtdeutschen TV-Zuschauers gezweitaktert ist, gilt zu Recht als gesicherter Erfolg der deutschen Wiedervereinigung. Das Ossigemüt tröstet er, weil List und Tücke sich auch im Kapitalismus durchsetzen können. Der Wessi indes begegnet im Schauspieler Stumph sich selbst, weil der Dresdner die Welt genauso so wenig begreift wie der kleine Mann im Ruhrgebiet. Und Stumpi schämt sich nicht seiner Naivität. Der Typ ist einfach sächsy.

21 Jahre nach dem Staatsakt der Vereinigung erscheint es mehr als verdient, dem ersten deutschen Gesamtvolkskünstler die Fernsehbühne hinzustellen, damit er seinen gutherzig-harmlosen Humor vorführen kann.

Zu Lachen gab es in den Stücken zum Thema Einheit bisher ja fast nichts. Stasitragödien, Zwangsadoptionen, Fluchtdramatik, kapitalistischer Siegerimperialismus - Schicksal, Geschichte, ideologische Verblendung, Freiheitspathos und Unterdrückungsirrsinn ließen es im TV brausen. Nur Hans-Christophs Blumenbergs "Deutschlandspiel" betrat einmal das Land des Lächelns und wagte die These, dass an der Wiedervereinigung ironischerweise auch diplomatische Hilflosigkeit beteiligt war.

An diesem 3. Oktober kommt aus den TV-Geräten ein Hauch von Lockerheit. Auf Stumphs Treuhand-Komödie "Stankowskis Millionen" nach dem Buch von Thomas Brussig und Johannes W. Betz unter der Regie von Franziska Meyer Price im ZDF folgt im Ersten die Reportage "Mein vereintes Deutschland - Wilde Jahre nach der Wende". Die biographische Geschichtensammlung des 1962 in Düsseldorf geborenen TV-Journalisten Tom Ockers will nicht jammern und jubeln, sondern mythologischen Verdichtungen relativieren, die sich über die Erinnerungen an die Wiedervereinigung gelegt haben.

Alki in der DDR, trocken in der BRD

Die These lautet: Jeder hat es anders erlebt. Opportunisten und Ahnungslose, Träumer und Cleverles gab es hüben wie drüben. Die untergehende Welt der DDR bestand nicht nur aus gutmenschlichen Untertanen hier und einer Stasi-Obrigkeit dort, in der man nur im regressiven sozialistischen Kuschelglück überleben konnte.

Die Vereinigung war, so Ockers, wie das plötzliche Abplatzen eines Deckels, und siehe da, die ganze ungöttliche Komödie des menschlichen Daseins trat auch in der DDR zutage. Auf Ockers Fernsehbühne treten die Sünderlein, die Engelchen, die Menschen mit dem verkannten Ego, wir alle deutschen Autonarren, eben das, was das deutsche Volk so ausmacht.

Da lebt kurz vor der Wende ein junger Druckereibesitzer - er hatte seinen Betrieb vor dem Staatszugriff retten können - mit Frau und Tochter scheinbar zufrieden im Honecker-Staat. Dann darf er allein zur Silberhochzeit der Tante in den Westen reisen und verwirklicht, was er sich heimlich vorgenommen hat: Er bleibt im Westen, er kappt die Verbindungen zu seiner Frau, die bald nach dem Mauerfall mit zu teuren Maschinen pleite geht. Da ist keine historische Gerechtigkeit am Werk, keine kapitalistische Verführung, nur die wilde Laune des lebensgefährlichen Lebens, die sich politisch ungehindert ausleben darf.

Da ist die Geschichte des Westhoteliers Hans Dornbusch, der nach der Vereinigung in Zinnowitz auf Usedom wie Alt-Siegfried mit dem Drachen des Schlendrians und Rote-Socken-Miefs kämpft, bis er aus dem heruntergekommenen "Baltic"-Hotel ein vorbildliches Haus macht. Und der stolz wie Bolle ist.

Da ist die großartige Schauspielerin Katrin Sass ( "Weissensee"), die mit preußisch-nüchterner Grandezza die Boulevard-Schnulze dementiert, die Vereinigung habe sie zur Säuferin gemacht, weil der böse Westen auf einmal die Kulturszene dominiert habe. Nein, sagt Sass, ich habe im Osten mit dem Saufen angefangen und bin im Westen vom Alkohol losgekommen.

Abzocker und Ossi-Herzchen

Und Ockers Film präsentiert Janet Oldinski, das reale Vorbild für den großen Kinohit "Goodbye, Lenin". Sie war es, die nach einem Verkehrsunfall zu DDR-Zeiten ins Koma fiel und im wiedervereinten Deutschland ohne Kurzzeitgedächtnis wieder erwachte. Ihr halfen kein Sohn und dessen Kumpel, um mit lauter Lügen die Illusion des Fortbestehens der DDR vorzuspielen, sondern nur die steinige Suche nach sich selbst. Heute arbeitet die blonde Frau, ehedem DDR-gläubige Musterschülerin, als Psychologin im Westen und befreit Alkoholiker von ihrer Sucht. Die Wege des Lebens haben ihre eigenen ironischen Pointen.

Der heutige Finanzminister Wolfgang Schäuble und der ehemalige DDR-Unterhändler Günther Krause begegnen sich in einer nicht unkomischen Situation in einem Interviewzusammenschnitt wieder. Man muss in Schäubles wölfisch-ironisches Gesicht blicken, wenn er über die von Krause beförderte Idee spricht, eine zweistrophige Nationalhymne zu kreieren: Erst Haydn-Fallersleben mit "Einigkeit und Recht und Freiheit", dann als Strophe zwei das Bechersche "Auferstanden aus Ruinen". Du meine Güte, Schäuble schaudert es noch heute über solch rührende Naivität im Fach Symbolpolitik. Der Text der DDR-Hymne durfte wegen seines "Einig deutsches Vaterland"-Bekenntnisses seit 1972 in Ostdeutschland nicht mehr gesungen werden.

Zum Schmunzeln ist in der Ocker-Sammlung auch die Geschichte eines westdeutschen Unternehmers. Er hatte eine glänzende Idee und eröffnete eine Partnervermittlung im Osten. Aber er scheiterte. Viele, viele Ostfrauen fragten an, aber der Unternehmer konnte die gesuchten Westmänner, möglichst wohlhabend, schlicht nicht liefern. Liebe in den Zeiten des Vereinigungswahnsinns.

Wer zuvor "Stankowskis Millionen" gesehen hat, erlebt hier als historische Realität ein Dejà-vu aus der fiktiven Komödie: Iris (Petra Kleinert), die Frau Werners (Stumph), trennt sich von ihrem Mann, weil die Ärztin es satt hat, ihren Werner untätig vor der Glotze im Unterhemd herumhängen zu sehen. Sie läuft einem westdeutschen Schönling (Sky du Mont) nach. Wie kann sie wissen, dass ihr schlaffer Werner als taffer Treuhand-Manager Karriere macht? Wie er als Elektronikfachmann aus dem diffamierenden Ratschlag "Das nächste mal sprechen Sie bitte hochdeutsch" eines westdeutschen Managers lernt und sein Sächsisch als Imitation und ironische Verächtlichmachung der Ossis verkauft.

Wie er das Abzocken lernt, aber sein Ossiherz bewahrt und mit der Rückeroberung seiner Frau belohnt wird ist auch eine Wiedervereinigung - und ebenso komisch und menschlich, wie sie das Fernsehen in diesem Jahr feiert. Deutschland auf dem Weg zur Normalität.


"Stankowskis Millionen", Montag 20.15, ZDF
"Mein vereintes Deutschland - Wilde Jahre nach der Wende", Montag 23.05 Uhr, ARD

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