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"Wetten, Dass..?": Lanz, die Zweite

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"Wetten, dass..?" mit Markus Lanz Momente der Fremdscham

Für die US-Prominenz muss die dreistündige Sitzung auf dem "Wetten, dass..?"-Sofa wie ein Trip in eine fremde skurrile Welt sein. Viel trägt das seltsame Auftreten von Moderator Markus Lanz dazu bei. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Unterhaltung hierzulande viel mit Leiden zu tun hat.
Von Stefan Niggemeier

Es gibt sie noch, die großen absurden Fernsehmomente, wie sie nur "Wetten, dass..?" produziert: Tom Hanks, wie er neben einem Zahnarzt steht, der mit verbundenen Augen 50 Bohrinstrumente aus der Praxis am Geräusch erkennt.

Während sich ein ums andere Gerät sirrend in einen künstlichen Zahn fräste, machte der amerikanische Schauspieler für die Kamera einen angemessen leidenden Gesichtsausdruck, in dem womöglich nicht nur die Erinnerung an Zahnarztbesuche steckte, sondern auch akute Verzweiflung über die schwer erklärliche und nicht enden wollende Situation.

Ob für amerikanische Prominente ein dreistündiger Aufenthalt auf der "Wetten dass"-Couch einer Wurzelbehandlung vorzuziehen ist, ist zweifelhaft. Immerhin haben sie die Chance, viele unglaubliche Anekdoten aus Deutschland für den nächsten Besuch bei David Letterman mit nach Hause zu nehmen - und Erkenntnisse darüber, wie sehr Unterhaltung hierzulande mit Leiden zu tun hat.

Neben Hanks ließ Halle Berry stoisch den Abend mit all seinen Rätseln, Wundern und Zumutungen über sich ergehen, von denen der Moderator der Sendung zu den größeren gehört. "Tänzerin, Halle Berry?", lautete eine der Fragen von Markus Lanz vollständig. Eine andere: "Auf welche Musik reagieren Sie besonders sensitiv?" Eine weitere: "Ist es wahr, dass Sie den Geruch von frisch gebratenem Fleisch lieben?" Tom Hanks rettete die durch die Simultanübersetzung zusätzlich verworrene Situation übrigens dadurch, dass er statt Berry nach gefühlten Minuten allgemeiner Verwirrung zurückfragte: "Wer tut das nicht?"

Attacke mit Jojo

Wer, anders als Robbie Williams, kein Attest bekommen hat, das einen frühen Abflug gestattet, muss als internationaler Stargast brav die komplette Sendung auf dem Sofa verbringen und versuchen, selbst auf nachgespielte Anekdoten von Jutta Speidel und den Auftritt von Atze Schröder als Cindy aus Marzahn irgendwie angemessen zu reagieren. Laut "Bild am Sonntag" durfte die Komikerin in der Show diesmal nicht die Assistentin spielen, weil RTL dagegen war. Dort lief parallel deren eigene Sendung. In der nächsten "Wetten, dass..?"-Ausgabe soll sie aber wieder dabei sein.

Die internationalen Stars müssen auch als Statisten in anderen Wetten dienen. So saßen alle hinter gedeckten Tischen und versuchten unbeschadet den Versuch von Dennis Schleußner zu überstehen, mit einem kunstvoll geworfenen Jojo die Tischdecken unter dem Geschirr wegzuziehen.

Der Ablauf hätte nicht spannender sein können: Bei einem Jojo riss das Band, so dass das Gerät auf Lanz zuschoss und ihn nur knapp verfehlte. (Dafür, dass irgendwie Halle Berry dahintersteckte, fehlt leider jeder Beweis, obwohl sie zweifellos ein Motiv hatte.) Erst in der letzten Sekunde schaffte es Schleußner, den achten und letzten Tisch sauber abzuräumen. Er wurde mit großem Vorsprung Wettkönig.

"Wow! wow!"

Es gibt sie, solche großen Augenblicke der Absurdität, und die Jojo-Wette wird vielleicht als ein Höhepunkt im kollektiven Gedächtnis der Fernsehnation bleiben. Noch nachhaltiger könnte allerdings die Erinnerung an all die Momente der Fremdscham sein, die so ein dreistündiger Lanz-Marathon produziert.

Wie er wieder und wieder und wieder die sehr schwangere Barbara Schöneberger anwitzelte, ob mit ihrer Niederkunft nicht noch in der Show zu rechnen sei.

Wie er bei einer Wette, bei der ihm der Daumennagel grün lackiert wurde, den sorgfältig ausgedachten Spruch, dass er nun seiner Mutter zeigen könne, dass er einen grünen Daumen hat, sicherheitshalber zweimal sagte, weil er nicht wusste, ob er beim ersten Mal untergegangen war.

Wie er, wie ein amerikanischer Politiker, ununterbrochen begeistert auf Leute zeigte. Wie er, "wow! wow!", atemlos war vor Begeisterung über sich selbst und alles.

Lanz war wild entschlossen, sehr ernsthaft wie jemand zu wirken, der großen Spaß hat, und überlachte demonstrativ jede Sekunde, in der der - berechtigte - Eindruck entstehen konnte, es sei gerade nicht richtig lustig.

Mit schwerem Ernst mussten auch die Kandidaten ihre Wetten rechtfertigen. Sie sagten, dass sie die "Challenge ihres Lebens bestehen" wollten oder dass sie "sämtliche Mittagspausen" fürs Üben geopfert hätten, und der Meister im japanischen Schwertkampf, der mit Regenschirmen Melonen zerschlug, brachte sogar den traurigen Satz: "Wettkönig zu werden, würde für mich bedeuten, dass ich im Kendo was erreicht habe."

"Der Pömpel hat mich immer schon fasziniert"

Ein Dreizehnjähriger, der die lustige Idee hatte, mit einem an seinem Bauch festgesaugten Pömpel ein Auto zu ziehen, sagte Sätze wie: "Ich bin humorvoll", "Ich find meine Wette ziemlich crazy" und "Der Pömpel hat mich als Kind immer schon fasziniert." Nach gewonnener Wette grüßte er "meine Familienangehörigen".

Es war, als hätte das ganze angestrengt lockere Strebertum von Markus Lanz auf die Kandidaten abgefärbt. Lanz selbst schlug mit großem Ehrgeiz einen Kandidaten aus dem Saal im Sackhüpfen. Je dreimal mussten beide einen Parcours absolvieren, der von den prominenten Gästen gebildet wurde, die - weil die Show aus Bremen kam - mit lustigen Kopfbedeckungen die Bremer Stadtmusikanten darstellten. Das ganze Elend der Sendung steckte in diesen Minuten.

Als Ersatz für die verloren gegangene Leichtigkeit muss hemmungslose Einfältigkeit dienen. Als Wetteinsatz für Halle Berry hatte sich die Redaktion ausgedacht, dass sie Oliver Welke küssen sollte wie einst Pierce Brosnan. Man muss der Kandidatin, deren Wettpatin sie war, besonders dankbar sein, dass sie erfolgreich Nagellack erkannte, weil sie so die Einlösung mit all den endlos breitgetretenen Anzüglichkeiten verhinderte.

Dafür wird Lanz in der nächsten Sendung mit den ollen Strippern der "Chippendales" auftreten. Es soll die Strafe für die von ihm verlorene Stadtwette sein. Ausdauernd musste Lanz so tun, als würde ihn das fürchterlich betrüben und beunruhigen, dass er nun der Nation seinen nackten Oberkörper zeigen muss.

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