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Serienklassiker "The Prisoner": Drogen, psychische Folter, schöne Frauen

Foto: ARTE/ITV PLC (Granada Internatio

TV-Meisterwerk "The Prisoner" Der Spion, der mich verwirrte

Für Kiffer, Kalte Krieger und konspirativ Veranlagte: Arte zeigt die britische Spionage-Serie "The Prisoner" aus den Sechzigern. Mit seiner systemkritischen Haltung, seiner verrätselten Story und seinem kompromisslosen Erzählstil gilt das Werk zu Recht als Meilenstein der Fernsehgeschichte.

Wie heißt der Gefangene? - Er selbst spricht seinen Namen niemals aus, "sie" nennen ihn nur "Nummer 6".

Wer sind "sie"? - Niemand wird es je erfahren. Russen? Briten? Amerikaner? Oder ist der Gefangene am Ende gar nur Gefangener seiner selbst?

Warum wird er gefangen gehalten? - "Sie" wollen Informationen von ihm.

Welche Art von Informationen? - Das sagen "sie" nicht.

Wo wird er gefangen gehalten? - An einem Ort ohne Namen. "Sie" nennen ihn: "the Village".

Ist es ein schrecklicher Ort? - Nein, er ist schön, wunderschön. So wunderschön, dass er einen erschaudern lässt.

Welche Drogen haben die Macher dieser Serie genommen? Vermutlich ein paar schlechte. Ganz sicher aber ein paar sehr starke.

Die britische Serie "The Prisoner" ist vielleicht der erste richtig gute Mindfuck der TV-Historie; ein fulminantes, in jeder Hinsicht phantastisches Verwirrspiel, das bereits kurz nach der Erstausstrahlung in den Jahren 1967 und 1968 in die Hall of Fame der Fernsehgeschichte erhoben wurde. Das ZDF versendete die Serie Ende der Sechziger in verstümmelter Form, unter dem deutschen Titel "Nummer 6". Jetzt strahlt der Kultursender Arte alle 17 Teile aus - und beschert seinen Zuschauern damit ein kleines TV-Ereignis.

Der Plot ist mit den oben gestellten Fragen gut umrissen. Aus einer rasant geschnittenen Anfangssequenz ist vage zu entnehmen, dass der später stets nur als Nummer 6 bezeichnete Mann offenbar ein britischer Geheimagent sein muss, der den Dienst quittiert - und kurz darauf mit Gas betäubt wird. Als er aufwacht, ist er gefangen an einem ihm fremden Ort: Willkommen in "The Village".

Gedankenkontrolle und Psycho-Folter

Das Dorf wirkt wie ein Ferienresort mit mediterranem Flair, erweist sich aber als undurchdringliche, kunterbunt psychedelische Parallelwelt. Wer sind die anderen, allesamt namenlosen Bewohner? Keine Ahnung. Fröhlich spazieren sie durch die Gegend, gekleidet in farbenfrohe Sommerfrischler-Uniformen, sie scheinen aus aller Herren Länder zu stammen und ziellos ihre Tage zu verplempern. Doch ihr kollektives Phlegma strahlt eine unterschwellige Bedrohung aus.

Der malerische Ort ist von Bergen und vom Meer umgeben; es gibt kein Entkommen, das wird Nummer 6 noch oft genug erfahren, seine Fluchtversuche scheitern regelmäßig. In jeder Folge begegnet Nummer 6 seiner Nemesis, der Nummer 2, die das Dorf zu kontrollieren scheint - und die in fast jeder Folge eine andere Person ist. Nummer 2 versucht in Erfahrung zu bringen, warum Nummer 6 seinen Dienst quittiert hat, und wendet dazu alle denkbaren Methoden an: Drogen, psychische Folter, schöne Frauen. Welcher Macht, welchem Staat diese Nummer 2 dient? Bleibt offen.

"Lost"-Regisseur J.J. Abrams bekannte einmal freimütig, dass seine Insel-Saga ohne "The Prisoner" nie möglich gewesen wäre. Tatsächlich war dieser allegorisch durchwirkte Science-Fiction-Mystery-Polit-Spionage-Psychothriller allein handwerklich-dramaturgisch ein Novum. Der elliptische, karge Erzählstil etwa war für die Zuschauer eine Zumutung, vor der jeder deutsche Senderverantwortliche noch heute panisch zurückschrecken würde.

Ihre enorme Wucht entwickelte die Serie aber, weil sie sich als vielschichtig interpretierbar erwies und sich so eine Nerd-Gemeinde bildete, die noch heute, 40 Jahre später, leidenschaftlich Exegese betreibt. Die stylische Popdesign-Ausstattung etwa ließ sich in Kombination mit dem dumpfen Dorfherdentrieb der "Village"-Bewohner als Kommentar auf die konforme, bräsige Konsumwelt des kapitalistischen Westens verstehen, Gedankenkontrolle und Psycho-Folter spiegelten die Paranoia des Kalten Krieges wider, und Drogenexperimente waren ja ohnehin ein sehr zeitgemäßes Sujet.

Egal wer herrscht, sind doch alle eh korrupt

Vor allem aber stellt "The Prisoner" implizit immer wieder die eine große, noch heute virulente Systemfrage: Wie definiert sich das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Staat und Bürger, Freiheit und Kollektiv? "I am not a number, I am a free man!" ("Ich bin keine Nummer, ich bin ein freier Mensch"), ruft Nummer 6 zu Beginn jeder Folge aus; eine Art Kampfschrei wider den kafkaesken Wahn des bürokratischen Staates.

Eine eindeutige ideologische Position bezieht "The Prisoner" trotz dieses Glaubensbekenntnisses aber nie. Da überhaupt nicht klar wird, wer die Guten sind und wer die Bösen, bleibt letztlich nur diffuses Unbehagen: Egal wer herrscht, sind doch alle eh korrupt und korrumpiert. Wenig erstaunlich, dass diese Fuck-the-System-Haltung auch Einzug ins Pop-Universum gefunden hat: So unterschiedliche Bands Iron Maiden und The Clash bezogen sich mit Songs auf die Serie. Der Darsteller von Nummer 6, der US-Amerikaner Patrick McGoohan, fasste das latent revolutionäre Sentiment damals selbst zusammen: "Wir werden gesteuert vom Pentagon, wir werden gesteuert von der Madison Avenue, wir werden gesteuert vom Fernsehen, und solange wir diese Dinge akzeptieren und nicht revoltieren, werden wir mit dem Strom mitschwimmen müssen, bis zur unausweichlichen Lawine."

McGoohans Worte sind auch deswegen von Bedeutung, weil er als Mastermind der Serie gilt. Er hatte "The Prisoner" erdacht, unter dem Pseudonym Paddy Fitz einige Episoden geschrieben, einige Male Regie geführt - und mit seiner reduzierten, obercoolen Interpretation der Hauptfigur eine Glanzleistung abgeliefert. Der Mann war bereits vor "The Prisoner" ein veritabler Superstar. Mit der britischen Agentenserie "Danger Man" war er zu Ruhm gekommen, zeigte sich aber gelangweilt von den Konventionen des Spionagethriller-Genres. Er lehnte er es sogar ab, James Bond zu spielen - statt seiner erhielt Sean Connery die Rolle.

Der Erfolg seines Experiments bei Publikum und Kritiker gab ihm Recht. Uneingeschränkt darüber freuen konnte sich McGoohan dennoch nicht: Er musste nach der letzten Folge aus Großbritannien flüchten, weil ihm erboste Fans nachstellten. Sie verlangten von ihm, dass er die vielen Fragen beantwortete, die die Serie ungeklärt gelassen hatte.

Wer den Beginn dieses Textes aufmerksam gelesen hat, wird ahnen: McGoohan verweigerte sich.


"Nummer 6", ab dem 24. Juli immer samstags auf Arte, 21.55 Uhr

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