Fotostrecke

TV-Serie "Gefährliche Seilschaften": Eine Staatschefin zum Niederknien

Foto: DRFoto/ ARTE

TV-Serie "Gefährliche Seilschaften" Eine Regierungschefin zum Niederknien

Von Afghanistan zur eigenen Regierungskrise, dann nach Afrika, einen Krieg beenden: Die dänische Premierministerin ist in der zweiten Staffel der Polit-Serie"Gefährliche Seilschaften" im Zentrum der Macht angekommen. Und es macht teuflischen Spaß, ihr dabei zuzuschauen.

Wenn man zwischendurch mal kurz in die Küche geht, um sich noch einen Schluck Wein zu holen, stellt man zwei Dinge fest: Zum einen klingt "Gefährliche Seilschaften" vom Raum nebenan phasenweise wie Nachrichten oder mindestens wie eine verdammt gute politische Diskussion. Und zum anderen hat man dann wesentliche Dialoge verpasst und müsste eigentlich zurückspulen.

Beides sind sehr gute Zeichen für eine Fernsehserie. Sie bedeuten: Auch die zweite Staffel der dänischen Serie um die integere Premierministerin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen) lebt von politischen Debatten und der Art, wie die Medien darüber berichten. Die Episoden sind so unfassbar dicht, dass man achtgeben muss, den Anschluss nicht zu verpassen.

Und ehrlich, das will man auch nicht. Das weiß auch Arte, deshalb laufen in den ersten beiden Wochen, beginnend an diesem Donnerstag, gleich drei 55-minütige Folgen hintereinander. Völlig zu Recht, einen solchen Sog hat die Geschichte im dokumentarischen Wackelkamera-Look, in deren Zentrum neben Nyborg ihr Spindoktor Kasper Juul (Pilou Asbæk) und dessen Ex-Freundin, die kritische junge Journalistin Katrine Fønsmark (Birgitte Hjort Sørensen), stehen.

Die Tochter muss in die Psychiatrie

Die Story setzt zehn Monate nach dem Ende der ersten Staffel ein, in der Nyborg an die Macht gekommen war, sich mit wechselnden Mehrheiten herumzuschlagen hatte, Anfängerfehler machte und am Ende feststellen musste: Regierungschefin sein und nebenher Ehefrau und Mutter zweier Kinder, das geht schief. Und zwar in dem Moment, in dem ihr Ehemann verkündete, sich von ihr zu trennen.

Mittlerweile sind die Scheidungspapiere irgendwo zwischen der Staatskanzlei und ihrem Haus verschütt gegangen, unterschrieben hat Nyborg sie immer noch nicht. Es ist ja auch allerhand zu tun, wieder einmal. Zuerst ein Trip nach Afghanistan, um den baldigen Rückzug der dänischen Truppen zu verkünden. Dann muss sie einen neuen EU-Kommissar ernennen. Ihr größter Konkurrent wird von einer Zeitung erpresst. Piraten entführen einen dänischen Frachter vor Somalia. Sie zieht los aufs internationale Parkett, um Friedensverhandlungen in einem fiktiven afrikanischen Land zu führen. Und dann gibt's noch derart Streit um die Gesundheitsreform, dass der Premierministerin nichts anderes übrig bleibt, als Neuwahlen zu verkünden. Was natürlich ein sagenhafter Cliffhanger ist für die nächste Staffel, die gerade abgedreht wird und in Dänemark wohl im Frühjahr 2013 anläuft .

Schon diese Liste zeigt, wie politisch aktuell die zehn neuen Folgen von Drehbuchautor Tobias Lindholm und Regisseur Jannik Johansen sind - und teils sogar ihrer Zeit voraus. Schließlich erlebt Nyborgs Tochter Laura das, was US-Präsident Barack Obamas Töchtern Malia und Sasha noch bevorsteht: die Pubertät vor den Augen der Öffentlichkeit. Und als Laura wegen ihrer Angstattacken in die Psychiatrie muss, nimmt Nyborg sich, man höre und staune, sogar einen Monat regierungsfrei.

Auch die Parallelen zwischen den unlauteren Ränkespielen der Zeitung "Expressen" und den "Bild"-Mauscheleien rund um Christian Wulffs Rücktritt sind verblüffend. Überhaupt wird die Logik der Medien in ihrem alltäglichen Dilemma zwischen Auflage, Quote und Rechtschaffenheit brillant aufgedröselt: Der Fokus liegt auf dem großartigen Journalistinnen-Duo Katrine Fønsmark und Hanne Holm (Benedikte Hansen), ihrer abgewrackten Alkoholiker-Kollegin, dazu kommen die alltäglichen Rangeleien um die besten Geschichten in einer Redaktion oder die geradezu zwanghafte Art der Journalisten, sich bei wichtigen Polittalks mit Knabberzeug vor dem Fernseher zu treffen.

Brigitte Nyborg ist nicht Angela Merkel

Dass die 40 Jahre alte Regierungschefin mittlerweile in ihrer Machtposition angekommen ist, merkt man an Kleinigkeiten: Inzwischen genügt schon eine kleine Handbewegung, und alle, auch die machtgierigen Kerle aus der Koalition, halten die Klappe. Sie hat gelernt, pragmatisch um Formulierungen zu feilschen, die "so wenig wie möglich aussagen, aber uns die Mehrheit sichern". Und mit dem Fahrrad kommt sie auch nicht mehr zur Arbeit.

Nur wenn ihr Noch-Gatte spontan seine neue Freundin vorbeibringt, und Nyborg statt mit staatstragend strengem Dutt mit nassem Haar im verstopften Abfluss zu Hause herumstochert, ist sie eben doch nur eine Frau, die um Fassung ringt wie jede andere auch in so einer Situation.

Seit der ersten Staffel haben die Macher einige Preise eingeheimst, allein beim dänischen Fernseh-Preis gab's vier, unter anderem als bestes Drama und für Hauptdarstellerin Sidse Babett Knudsen , und bei den britischen Bafta-Awards gab's die Auszeichnung als beste internationale TV-Serie obendrauf.

Natürlich liegt es auf der Hand, Parallelen zu ziehen zwischen fiktiven und realen Staatenlenkerinnen, wegen ihrer Vorbildfunktion, Frauen in Führungspositionen und so. Aber wie fern "Gefährliche Seilschaften" dann doch von der deutschen Regierungs-Realität ist, zeigt spätestens die Szene, in der Nyborgs Fahrer spätabends noch ein paar Unterlagen bei ihr zu Hause vorbeibringt. Er sieht, dass ihre Küchenspüle verstopft ist und legt sich kurzerhand unters Abflussrohr, werkelt rum, fordert Nyborg auf, sich das doch mal anzuschauen. Und sie kniet sich runter, in ihrem engen Rock. Zieht ihn an der Krawatte zu sich ran. Ziemlich nah. Den Rest der Nacht können Sie sich dazu denken. Und eben das wird in jener einen Wohnung an der Berliner Museumsinsel garantiert nie passieren.

Angela Merkel hat zum Glück Wichtigeres zu tun.


"Gefährliche Seilschaften", Staffel 2: ab Donnerstag, 22.11., 20.15 Uhr, Arte

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten