
"Twin Peaks"-Finale: Drei Staffeln Fernsehgeschichte
Finale von "Twin Peaks" Wir treffen uns im Unbewussten wieder
Mit dem Finale der dritten Staffel "Twin Peaks" in diesen Tagen endet womöglich die ganze Serie, ein gutes Vierteljahrhundert nach Ausstrahlung der ersten beiden Staffeln. Worauf die dritte, wenn überhaupt, zuläuft, lässt sich auch kurz vor Schluss noch nicht sagen. Aber dass der Kreis sich schließt und das Unerklärte geklärt wird, ist nicht zu erwarten.
Stattdessen hat der Regisseur David Lynch eine Art Quintessenz seines filmischen Werkes vorgelegt. Eine Quintessenz, die zum aktuellen Serienfernsehen in ihrer Rätselhaftigkeit genauso quer steht wie zum Genrekino. Lynch und sein Co-Autor Mark Frost haben ihre Konstruktionsprinzipien ganz offenbar radikalisiert.
Anfang der Neunziger nahmen sie sich die Freiheit, den Zuschauer mit ambivalenten Figuren, falschen Fährten und losen Enden zu fordern. "X-Files", "Lost" und viele andere stehen auf den Schultern dieses Riesen. Setzt man die dritte Staffel nun in Bezug zum aktuellen Serienwesen, erscheinen die Anfänge als vergleichsweise sanfte Dekonstruktionsunternehmungen.
Schon die Prämisse der neuen Staffel ist ein Widerspruch zu gängigen Serienkonventionen: Ausgerechnet der Held von einst glänzt durch Abwesenheit. FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan in seiner besten Rolle), die Figur, die so etwas wie einem Helden noch am nächsten kommt, leidet 25 Jahre nach dem Mord an Laura Palmer unter Totalamnesie und tapert als Versicherungsvertreter Dougie Jones apathisch durch Las Vegas, eine kaffeesüchtige, weitgehend sprachlose Hülle seiner Selbst. Währenddessen reist sein dunkler Doppelgänger (Kyle MacLachlan in seiner zweitbesten Rolle) durch das Land und pflastert seinen Weg mit Leichen.
Schluss mit der Serienbehaglichkeit
Die Kluft zwischen "Twin Peaks" und allem, was sonst so läuft, ist gigantisch. Egal wie korrupt und gewalttätig die Menschen etwa in " Breaking Bad" oder "Game of Thrones" agieren, das Geschehen bleibt immer nachvollziehbar: Jede Szene ergibt sich schlüssig aus der vorherigen, und die vorherige ergibt sich aus der Handlungslogik der Figuren, die in einer Welt unterwegs sind, deren Beschaffenheit geklärt ist. So was kommt von so was, und eben diese Transparenz sorgt für Behaglichkeit. Mit ein bisschen Übung kann man "Game of Thrones" in dieser Hinsicht auch betrachten wie "Die Schwarzwaldklinik": als in sich restlos geordneten Kosmos.

"Twin Peaks"-Finale: Drei Staffeln Fernsehgeschichte
In "Twin Peaks" dagegen ist die Irritation, die entsteht, wenn das Gewohnte konsequent außer Kraft gesetzt sind, von Anfang an spürbar. Figuren tauchen auf und spielen dann keine Rolle mehr. Viele der Szenen tragen zum Plotfortgang nichts bei, sondern könnten auch allein stehen, als Miniaturgrotesken oder, vor allem: als in sich geschlossene Albtraumsequenzen.
Die Ruhe, mit der hier Momente überzogen und zerdehnt werden und so zu einem eigenen, mitunter hochkomischen Timing finden, unterläuft die Forderung, eine Geschichte möglichst zielführend zu erzählen. Was wir sehen, funktioniert nach radikal eigenen, für den Zuschauer undurchschaubaren Maßgaben. Lynch und Frost machen die Behaglichkeit des Seriellen rigoros kaputt.
Nur in seiner eigenen Welt
Wer sich darauf einlässt, wird reich beschenkt: In manchen Episoden der dritten "Twin Peaks"-Staffel sind mehr überraschende Momente zu finden, als andere Filmemacher in einem Leben zustande kriegen. In der achten Folge bricht die Erzählung vorübergehend vollends in sich zusammen, zugunsten eines assoziativen Bilderstroms, in dem unter anderem Aufnahmen von Atombombentests, emblematische Momente jugendlicher Unschuld und monochrome Splatter-Schweinereien ineinandergeschichtet werden.
Die Quoten sind entsprechend mau , und einer der Gründe, warum David Lynch sich hier durch sein filmisches Werk zitiert - von "Eraserhead" über "Blue Velvet" bis "Inland Empire" -, könnte sein, dass alles das vielleicht auch als Abschied gedacht ist; schon weil kein Produzent diesem Mann noch einmal eine nennenswerte Summe Geld in die Hand drücken wird.
Strukturbildend für "Twin Peaks" sind zuallererst die Gehirnwindungen David Lynchs, in die wiederum die Geschichte des Genrekinos eingelassen sein muss. Sonst entstünden die ganzen Reibungen und Dissonanzen zwischen Bekanntem und Staunenswertem gar nicht erst, und fade Idiosynkrasie wäre das Resultat. Kunst machen bedeutet bei Lynch in einem ersten Schritt Rückzug: "Ich wollte einfach nirgends auf der Welt sein. Nur noch in meiner", erzählt Lynch in dem Dokumentarfilm "David Lynch: The Art Life", die diese Woche in den Kinos gestartet ist; eine Welt, "in der ich alles genau so bauen konnte, wie ich es wollte".
Sehen Sie hier den Trailer zu "David Lynch: The Art Life"
Aber die Welt ist immer da, es hilft alles nichts: "The Art Life" rekonstruiert als Ursprung von Lynchs bildnerischer Arbeit (Malerei wie Film) den Einbruch eines zugleich faszinierenden wie verstörenden Schreckens in ein imaginiertes Paradies, das sich von einem Moment zum anderen in die Hölle transformiert, die in ihm immer schon unterschwellig angelegt war.
Eine weinende und blutende Frau
Die als liebevoll erinnerte Familie, das Glück der Kindheit, wird abgelöst von einer Weltwahrnehmung, in der ein nicht genau spezifiziertes Grauen immer wieder aufs Neue ins Bild gesetzt werden muss, in all seiner Gewalt und Schönheit; und dass wir Schönheit in den Schreckensbildern Lynchs erkennen können, ist vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass diese Gewalt nichts Äußerliches ist, sondern bereits Teil von uns.
Eine autobiografische Erinnerung aus "The Art Life": In der Straße, in der der junge David mit seinen Kinderfreunden spielt, erscheint eine weinende und blutende Frau, der erste nackte Frauenkörper, den er in seinem Leben gesehen habe, erzählt der inzwischen 71-Jährige. Spuren dieses Bildes finden sich in "Blue Velvet", "Wild at Heart", "Mulholland Drive" und nun auch in einer Episode der dritten "Twin Peaks"-Staffel.

Szene aus der ersten Staffel "Twin Peaks" mit Phoebe Augustine als Ronette Pulaski
Foto: ddp imagesDiese selbstreferentielle Ebene ist das eine, was den Kern von "Twin Peaks" allerdings ausmacht, ist alles andere als selbstbezüglich. Das Zentrum der Serie bildete von Beginn an das Bild der Leiche Laura Palmers', deren Porträt heute als Überblendung zum Beginn jeder Episode zu sehen ist, wenngleich die Figur ansonsten eine eher marginale Rolle spielt.
Die Gewalt, die wir uns gegenseitig antun
Im Motiv der schönen toten Frau scheint herrschende, aber tabuisierte Gewalt auf - als mythisches Bild, das das Schreckliche zeigt und es im selben Zuge durch die Fetischisierung des weiblichen Körpers auch schon wieder verbirgt. Den letzten Schritt, die Verdrängung der Gewalt, spart "Twin Peaks" allerdings aus. Die Gewaltinszenierungen sind heute körperlicher als damals, die enormen Verletzungen, die Menschen einander antun, die Kälte, die die Beziehungen bestimmt, finden in fast jeder Episode mindestens ein drastisches Bild.
Die Szene in der sechsten Episode etwa - eine Straße, ein Auto, ein Kind - werde ich David Lynch bis an mein Lebensende nicht verzeihen. In solchen Momenten entfaltet sich eine direkt auf Magen, Herz und Sehapparat zielende Unmittelbarkeit, die durchschlagender ist als alles, was diese Bilder an Rätseln und Verrätselungen auffahren.
"Twin Peaks" lebt nicht primär vom ironischen Spiel oder der Mystery, und ein Paralleluniversum ist das hier schon einmal gleich gar nicht. Die Welt, die David Lynch gedreht hat, ist unsere. Mehr muss man bis auf Weiteres nicht wissen, um "Twin Peaks" intuitiv zu begreifen.
Vielleicht ist es Lynch am Ende tatsächlich gelungen, sein Unbewusstes zu filmen. Ein Unbewusstes, das sich im besten Fall mit dem Unbewussten des Zuschauers verbindet, mit unabsehbarem Ausgang.
"David Lynch: The Art Life" (NFP) läuft jetzt in den deutschen Kinos. Die letzte Folge von "Twin Peaks"-Staffel 3 ist ab Donnerstag auf Sky verfügbar.