
"Twin Peaks"-Revival: Kirschkuchen und Kaffee
Revival von "Twin Peaks" Verfreakt noch mal?
In die klar und übersichtlich strukturierte TV-Landschaft von 1990 schlug "Twin Peaks" im April des Jahres ein wie eine Nebelkerze mit bewusstseinserweiternder Wirkung. Bei den Emmys und den Golden Globes waren gerade "L.A. Law", die "Golden Girls" und "Zurück in die Vergangenheit" zu den besten Shows erklärt worden. Zu den Top-Quotenbringern gehörte die Sitcom "Cheers". In Deutschland hing man noch ein wenig hinterher: außer "Dallas" und dem Spin-off "Unter der Sonne Kaliforniens" gab es nicht viel. "Magnum", "Miami Vice" und , der Rest war "Derrick" und "Der Alte".
Überhaupt mussten deutsche Zuschauer bis September 1991 warten, um "Twin Peaks" zu sehen. Zuvor, im Juni, war in den USA die zunehmend irrer und esoterischer gewordene zweite Staffel mit der Absage des Senders ABC an eine Fortsetzung beendet worden. Deutschland erlebte die TV-Revolution, die Einkehr von Surrealismus, und sinisterer Gewalt in das Medium Fernsehserie, also mit reichlicher Verspätung. Der ausstrahlende Sender RTLplus richtete für verwirrte Zuschauer sogar eine Hotline ein, so verstörend weit ging David Lynchs Kleinstadt-Mystery über die bloße Frage "Wer tötete Laura Palmer?" hinaus.
Damals hangelte man sich im Wochenabstand von Episode zu Episode, programmierte vielleicht noch den Videorekorder, wenn man Freitags um 21.15 Uhr mal nicht konnte, was denkbar oft vorkam. Es gab keine Internet-Foren, kein Facebook und kein Twitter, um nach jeder Folge "Recaps" zu lesen oder zu diskutieren, wie es heute üblich ist.
Mehr als ein Vierteljahrhundert später startet die dritte Staffel von "Twin Peaks" also in eine Medienwelt, deren Regeln und Kommunikationszyklen sich grundlegend verändert haben. Abgründige, phantastische und erzählerisch gewagte Stoffe sind im Programm der Kabelsender und Streaminplattformen an der Tagesordnung.
Nach Serien wie "Akte X", "Lost", "Breaking Bad", "Hannibal", "Legion" oder jüngst "American Gods" und "Westworld" muss "Twin Peaks" zwangsläufig mehr bieten als damals: Es braucht ein gutes Plot-Puzzle, einen unverwechselbaren Stil, absurden Humor ("Verdammt guter Kaffee!") und Top-Darsteller. Also alles, was eine Premium-Serie dieser Tage ohnehin besitzt.
Der Joker in diesem Revival-Spiel ist David Lynch, dessen letzter Film "Inland Empire" vor elf Jahren ins Kino kam. Wem, wenn nicht ihm könnte es gelingen, erneut TV-Geschichte zu schreiben? Wenn es gut läuft, versteht man in den ersten Episoden (ab Sonntagabend auf Sky On Demand) erst einmal gar nichts. Wenn Lynchs Experiment glückt, dann bleibt es auch bis Folge 18 so - und das Internet bricht - vor lauter Ratlosigkeit und Regelbruch zusammen. Wenn nicht, versendet sich's. Andreas Borcholte
Gewalt und ihre Folgen
Gewalt fand damals nur in dafür abgegrenzten Räumen statt: Während einer Saloon-Schlägerei. Bei einem Überfall, der vom Ermittler aufgeklärt werden musste. Im häuslichen Umfeld, dann aber ebenfalls als Initialzündung für eine Ermittlung. Und ästhetisch schön - oder zumindest eindrücklich pervers - waren Gewalt und ihre Folgen schon gar nicht.
Damit räumte Lynch auf: Das Gleichzeitige von Sauberkeit (picobello Kleinstadt mit adrett sitzenden Fönlocken) und Schmutz (was des Nachts in den Twin Peaks-Hinterzimmern passiert) inszenierte er in seiner Serie erstmals als horizontaler Horrortrip mit Lust und Leidenschaft. Und fand Nachahmer: Heute gibt es jede Menge Serien, die lustvolle Gewalt inszenieren, sympathische Serienkiller, die ihre Morde musikalisch unterlegen; ästhetisch berückend choreografierte Schlägereien zwischen Superhelden, Wikingern oder einfachen Bösewichten.
Und es gibt eine Realität, die der Fiktion längst hinterhergeeilt bzw. sie eh um Längen überholt hat: mit der erst sechsjährigen JonBenét Ramsey wurde 1996 sogar eine echte Schönheitskönigin ermordet - ein Setting, wie es sich Lynch kaum hätte schrecklicher ausdenken können. Welche Art ästhetisierte Gewalt oder Perversion uns abgebrühte Serienzocker also noch aufrütteln kann, wird sich zeigen. Jenni Zylka
Die Geister und die Freaks
Die gruselig schön ausgeleuchteten Bilder aus der Kleinstadtidylle, die seltsam heimelige Atmosphäre aus Sex und Bedrohung, der Kriminalplot um ein blondes junges Mädchen; und nach vielen überraschenden Wendungen ist offenbar ein böser Geist namens BOB an allem schuld. "Twin Peaks" ist ein Meisterwerk - und ein Sündenfall der Fernsehgeschichte. Die Serie markiert einen Wendepunkt zum manisch Abseitigen.
Anders gesagt: Mit "Twin Peaks" begann die Verfreakung des Mainstreamfernsehens. Das Fernsehen der westlichen Welt war bis zu David Lynch eine Bastion der Vernunft. Wo immer in den TV-Klassikern der Nachkriegszeit merkwürdige Abweichungen auftauchten, die dem fortschrittsgläubigen Zuschauer bei allem Humor auch Angst machen konnten - in "The Munsters" oder "Bezaubernde Jeannie" zum Beispiel -, da diente der Freakzauber nur dazu, die rational geordnete Welt, in der sich der Fernsehzuschauer bewegte, zu bestätigen.
Seit "Twin Peaks" ist es mit dieser Affirmation vorbei. David Lynch hat einen Geist aus der Flasche geholt, der dafür sorgte, dass seither in fast allen zeitgenössischen Fernseh- und Streamingformaten bizarre Gestalten, Aliens und Zombies hinter jeder Ecke lauern und scheinbar strahlende Helden plötzlich die irrsten Verhaltensauffälligkeiten zeigen.
Friedrich Nietzsche hat behauptet, Platon habe eine "Weltverkehrung" bewirkt, indem er den Menschen endgültig den Kinderglauben an die Macht des Götterhimmels raubte und sie den Zweifel lehrte. David Lynch gelang mit "Twin Peaks" eine Weltverkehrung, die dem postmodernen Fernsehmenschen den Kinderglauben an die Macht der Ratio raubte und sie der Allgegenwart des metaphysischen Schwachsinns auslieferte. Die Geister und Freaks sind seither immer und überall. Wolfgang Höbel
Die richtige Idee
In seiner langen Karriere war David Lynch noch nie zu etwas gezwungen. Er musste 1990 keine Fernsehserie machen. Damals gab es viel mehr Geld für seine Art des Kinos und überhaupt nichts von dem Prestige, das Serien heute zukommt. Er drehte "Twin Peaks", weil er die richtige Idee für das richtige Format hatte.
Lynch musste auch 1992 keinen Film drehen, der die Vorgeschichte von "Twin Peaks" erzählt. Er musste keine eigene Kaffeesorte entwickeln, keinen Privatclub in Paris eröffnen und sich auch nicht der Transzendentalen Meditation verschreiben. Eigenwilliger als Lynch hat kein Filmemacher seiner Generation seine Karriere gestaltet.
2017 liegen die Dinge natürlich anders: Für Independent-Regisseure scheint es leichter zu sein, eine Serie statt eines Films finanziert zu bekommen. Das Resultat sind Shows wie "Easy", "Love", "Crisis in Six Scenes" oder "I Love Dick", die sich wie auf doppelte Länge gestreckte Filme ausnehmen. Sechs, acht, zehn Folgen à 30 Minuten, man merkt ihnen die Anstrengung an, die ihnen diese Strecke abverlangt.
Auch Lynch gehört mittlerweile zu den Regisseuren, die wie John Waters dem Filmemachen abgeschworen haben, weil die Finanzierung zu schwierig geworden ist. "Inland Empire" wird nach eigenen Angaben sein letzter Film bleiben. Trotzdem steht nicht zu vermuten, dass er die neue Staffel "Twin Peaks" aus ökonomischen Zwängen heraus gedreht hat. Der Grund sind die Länge der Folgen und der Umfang der Staffel: 18 Folgen à 60 Minuten, das ist kein Ersatzfilm, der mühsam gestückelt und gestreckt wurde. Das ist ein Arbeitspensum, dem man sich als 71-Jähriger vollkommen verpflichtet fühlen muss, um es zu stemmen.
Es gibt deshalb keinen Grund zu zweifeln, dass Lynch 2017 keine Fortsetzung drehen musste, sondern die richtige Idee für das richtige Format hatte. Hannah Pilarczyk
Die ersten vier Folgen der neuen Staffel "Twin Peaks" sind in der Nacht von Sonntag auf Montag parallel zum US-Start (Showtime) ab 3 Uhr bei Sky On Demand abrufbar. Regulärer Start der Serie bei Sky Atlantic am 25. Mai um 20.20 Uhr.