
Hallo, wer bist du, sind wir verwandt? In der letzten Folge der Adelsserie "Verbotene Liebe" durften auch abtrünnige Ex-Zuseher noch einmal die altbewährten Personalverwirrungen genießen.
Rechtzeitig zu Folge 4664 dämmert es auch Hauptkommissar Martin Vogt. "Ich dachte, ich kenne dich. Aber ich habe keine Ahnung, wer du wirklich bist", sagt er zur (vermeintlichen!) Action-Painterin Mila von Draskow, die gerade metaphernstark auf einem Rummelplatz ihre Lebensbeichte abgelegt hat, in Wahrheit also Steffi heißt und der er eben noch leidenschaftlich das geschlossene Haustürfenster beschlagen schnaufte. Ganze zwanzig Jahre Soapverstrickungen fasst Serienfigur Vogt in der letzten Folge "Verbotene Liebe" mit diesem Satz zusammen: "Wer bist du, und sind wir eventuell verwandt?", das war stets eine der Grundfragen des Adelsmaläsen-Dauerlutschers.
Ganz wie der Aufzug im Penthouse der bösen Playmobilfrisenfrau Clarissa von Anstetten, der seine Passagiere immer direkt ins Wohnzimmer des patenten, langjährigen Serienbiests entließ, spuckten die Drehbücher stets frisches Personal in die irren Wirrungsgeschichten der Von-und-zus. Wer zur Abschiedsfolge nach Jahren adelsabgewandter Fernsehgewohnheiten noch einmal einschaltete, erkannte neben Tanja von Lahnstein, vormals von Anstetten, bestenfalls noch Charlie Schneider, unverwüstliche Galeristennudel und Betreiberin des Bistros "Schneider", in dem Schleimkellner Angelo jahrelang sein charmöses Schmunzelregiment führte.
Überraschend schnell fand man sich dann aber doch in die vertrauten Handlungsstränge ein, die im Laufe der Jahre ohnehin stets die gleichen blieben - nur die ausführenden Personen wechselten. So knutschten Kim und Jannik in der Finalfolge in einem Aufzug, freilich nicht ahnend, dass sie Halbgeschwister sind - eine speichelfrohe Hommage an die Anfänge der Serie im Jahr 1995, als Jan und Julia in einer echten Sternstunde der Schusselromantik auf dem Flughafen frontal mit ihren Gepäcktrolleys zusammenkrachten und damit den ersten Dominostein aller folgenden versagten Amouren anstießen. Denn beide waren Zwillinge, kurz nach der Geburt getrennt.
Da wäre noch mehr gegangen
Erst 25, später über 40 Minuten lang konnte man täglich den folgenden Verstrickungen nachseufzen - dass die allerletzten 15 Episoden nur noch im Wochenrhythmus gesendet wurden, konnte die schwächelnden Quoten nicht retten. Schade, denn das Geflecht aus bizarren Beziehungen war noch lange nicht zu Ende gewoben, noch nicht jede hanebüchene Konstellations-Komplikation ausgeschöpft.
Für die Dauer einer Folge "Verbotene Liebe" wurde die Plausibilität, die alte Spielverderberin, einfach in der Besenkammer eingesperrt: Die Soap öffnete eine Tapetentür ins Trullala, in eine spannendere Welt unbegrenzter Möglichkeiten, in der jeder indische Pferdepfleger mindestens der illegitime Sohn des Gutsherrn ist. Und in der Menschen nicht einfach starben, sondern echte Quatschabgänge hinlegten: Erst mit dem Flugzeug abstürzen, mit Ach und Krach überleben, dann vor lauter Unvernunft im Krankenhaus den Geburtstag der Freundin feiern, der auf Silvester fällt - und schließlich pünktlich um Mitternacht abtreten.
Vielleicht musste "Verbotene Liebe" sterben, weil viele der ohnehin operettenhaften und hanebüchenen Handlungsstränge, auf denen die Serie einst errichtet wurde, heute eigentlich nicht mehr funktionieren könnten. Hätte Jan 1995 schon ein Handy gehabt und wäre Julia bei Facebook gewesen - die Sache wäre ganz anders gelaufen. In der Finalfolge telefonieren zwei Verschwörer mit ihren Smartphones im Café von einem Tisch zum anderen, das war dann eine eher eigenartige Interpretation von Vernetzung. Immerhin scheint es in den letzten Handlungszügen noch einen geheimnisvollen Onlinemagnaten gegeben haben: "Dem gehört quasi das Internet", wird zuletzt über ihn gesagt, und dass er kürzlich eine Million für Brillenbären gespendet habe.
Von ihm hätte man gerne noch mehr gehört und gesehen, doch dazu kommt es nun nicht mehr. So viele Verwandtschaftsverhältnisse bleiben ungeklärt, so viele Racheschnauber unvollendet.
In der Finalfolge darf dafür bei einer Szene in der Nervenheilanstalt eine Insassin im Bademantel mit einem Schmetterlingsnetz Hirngespinste haschend herumspringen, "Verbotene Liebe"-Fan Elke Heidenreich hat einen Mini-Auftritt als Privatdetektivin Felicitas Haverdorn und Charlie Schneider darf zum Schluss die vierte Wand zum Publikum niederreißen und zum Zuschauer sprechen. "Ich will nicht, dass es zu Ende geht", jammert Butler Justus, doch Bedienstete hatten beim Adel noch nie etwas zu sagen.
Anja Rützel, Jahrgang 1973, taucht für den SPIEGEL u.a. im Trash-TV-Sumpf nach kulturellem Katzengold. In ihrer Magisterarbeit erklärte sie, warum "Buffy the Vampire Slayer" eine sehr ausführliche Verfilmung der aristotelischen Argumentationstheorie ist. Sie glaubt: "Everything bad is good for you" - und dass auch "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" tieferen Erkenntnisgewinn liefern kann. Ihr Buch über ihre Liebe zu Take That erschien als Teil der Musikbibliothek bei Kiepenheuer und Witsch.