Urteil in Karlsruhe Politik muss Einfluss auf das ZDF beschränken

Wie viel Macht darf die Politik über öffentlich-rechtliche Sender wie das ZDF ausüben? Darüber hatte das Bundesverfassungsgericht zu befinden und entschied: Mehrere Regelungen des ZDF-Staatsvertrags sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Der Erste Senat des Verfassungsgerichts: "Nicht zum Staatsfunk werden"

Der Erste Senat des Verfassungsgerichts: "Nicht zum Staatsfunk werden"

Foto: Uli Deck/ dpa

Karlsruhe - Der Streit über den ZDF-Staatsvertrag ist entschieden: Die Verfassungsklagen gegen zu viel staatlichen Einfluss auf das ZDF haben überwiegend Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am Dienstag mehrere Regelungen des ZDF-Staatsvertrags für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Länder sollen bis 2015 einen verfassungsgemäßen Neuentwurf des ZDF-Staatsvertrags aufsetzen. Bis dahin bleibt die jetzige Regelung bestehen.

Der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, verwies zur Begründung  auf die im Grundgesetz verankerte freie Berichterstattung der Medien. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk "darf nicht zum Staatsfunk werden", sondern müsse die in der Gesellschaft vertretenen Meinungen "facettenreich widerspiegeln", sagte Kirchhof. Die Aufsichtsorgane müssten "nach den Grundsätzen der inhaltlichen Vielfaltssicherung und der weitgehenden Staatsferne ihrer Mitglieder" zusammengesetzt sein.

Im Fernsehrat des Senders, der 77 Mitglieder hat, muss der Anteil von Politikern und "staatsnahen Personen" von derzeit 44 Prozent auf ein Drittel reduziert werden, wie das Gericht entschied. Im Verwaltungsrat, der den Intendanten überwacht, sind 6 von 14 Mitgliedern Staat und Parteien zuzurechnen. Zudem dürfen Politiker bei der Auswahl der aus gesellschaftlichen Gruppen entsandten Mitglieder des Fernsehrats "keinen bestimmenden Einfluss" mehr ausüben.

Die anderen, "staatsfernen" Gremienmitglieder vertreten größtenteils gesellschaftliche Gruppen - beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Die Richter legten fest, dass diese Gruppen keine Parlamentarier oder hochrangige Vertreter aus Parteien oder Regierungen in die Gremien schicken dürfen.

Geklagt hatten die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg. Sie sind der Meinung, dass Staat und Parteien zu viel Einfluss auf den Fernsehsender haben. Die Regelungen des Staatsvertrags waren in die Kritik geraten, nachdem 2009 CDU-nahe Verwaltungsräte unter Führung des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) den Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender nicht verlängert hatten - obwohl sich der Intendant für eine Verlängerung ausgesprochen hatte.

Einflussversuchen widersetzt

Dieser Vorgang und der Einfluss der Politik auf die öffentlich-rechtlichen Sender war im Anschluss daran in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert worden. Beim Mainzer Sender hatte sich Brender von Anfang an Respekt verschafft, eben weil er sich parteipolitischen Einflussversuchen konsequent widersetzte. Nicht allen Politikern gefiel so viel Unabhängigkeit. Nach der Wahlniederlage von Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat 2002 erhob die CSU die Forderung, Brenders Vertrag dürfe nicht verlängert werden.

CDU-Vize Koch verteidigte die sieben Jahre später gefallene Entscheidung gegen Brender als Chefredakteur dennoch. Es gehe "nicht um die journalistische Integrität von Nikolaus Brender", sagte er. "Wir beurteilen das führende Management eines Fernsehsenders." Er fühle sich in vollem Maße als Volksvertreter dazu legitimiert, die Verantwortung im Verwaltungsrat auszuüben.

Durch die Begrenzung des Anteils staatlicher und staatsnaher Mitglieder auf ein Drittel erhofft sich das Gericht, auch die "Prägekraft" der parteipolitisch organisierten sogenannten Freundeskreise im ZDF zu brechen. In diesen informellen Zirkeln werden vorab Positionen festgelegt, die von den Gremien kaum noch zu ändern sind. Der klagende einstige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und ZDF-Verwaltungsratsvorsitzende, Kurt Beck, hatte dies als "konzentrierte politische Einflussnahme" kritisiert.

vks/dpa/AFP
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