
Doku über NS-Regisseur: Film als Mordinstrument
WDR-Doku über "Jud Süß"-Regisseur Opa, der Hetzer
Auf den ersten Blick sieht alles aus wie eine normale Museumsführung. Präsentiert wird eine Ausstellung über " Jud Süß", den wirkungsmächtigsten Hetzfilm des Dritten Reichs. Kommentiert von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter, zeigt man Ausschnitte, mit denen die besondere manipulative Macht der Bilder demonstriert wird; Belobigungsdokumente von Reichsminister Joseph Goebbels komplettieren das Bild vom Film als perfidesten aller Propagandainstrumente. Die jungen Menschen in der Führung hören aufmerksam zu, obwohl sie all das schon tausendmal gehört haben: Alle sechs sind Enkel Veit Harlans, dem Regisseur von "Jud Süß".
Geschichtsstunde als Familientherapie: Der 100-minütige Dokumentarfilm "Harlan - im Schatten von Jud Süß" versucht, sich dem Regisseur über seine vielköpfige Nachkommenschaft zu nähern. Ein geschlossenes Bild vom Charakter des Vaters, Onkels und Großvaters ergibt sich so erst einmal nicht. War Harlan Opfer der Umstände oder kompromissloser Karrierist, verführte Künstlerseele oder überzeugter Hetzer?
Nahe an der Selbstzerfleischung erscheinen die Aussagen der Familienmitglieder, die zum Teil nicht mehr direkt miteinander kommunizieren. Thomas Harlan, Sohn aus zweiter Ehe mit der Schauspielerin Hilde Körber und am gnadenlosesten in der Bewertung, sagt: "Sein Film ist ein Mordinstrument geworden, so einer hätte nicht arbeiten dürfen." Caspar Harlan, Sohn aus dritter Ehe mit Kristina Söderbaum, meint: "Im Grunde war er ein unpolitischer Mensch. Ein Künstler eben - und der ist mit ihm durchgegangen." Und Christiane Kubrick, Nichte des Nazi-Regisseurs und Witwe des Großregisseurs Stanley Kubrick, sieht es so: "Er hat nur an das perfekte Licht, an das grandiose Bild, an den zufriedenen Goebbels gedacht. Und nicht weiter."
"Jud Süß" war erst der Anfang
Veit Harlan - lediglich ein großes Spielkind, eine von hinderlichem politischem Bewusstsein freie Kreativkraft? Nein, daran glaubt nicht mal Sohn Caspar, der in seinem Urteil noch am mildesten ist: "Warum macht der dann die Filme so toll, die er eigentlich nicht machen will?"
Wie "toll" sein Werk ist und wie es bis ins letzte Bild von der NS-Ideologie durchdrungen ist, das illustriert Filmemacher Felix Moeller ("Knef - Die frühen Jahre") in seiner Dokumentation auch anhand der anderen monströsen Harlan-Produktionen. "Jud Süß" war ja eigentlich erst der Anfang, es folgten bis zum Kriegsende noch eine ganze Reihe von Filmen mit immer größeren Etats, in der sich nationale Großmannssucht mit Schicksalsglaube mischte.
Man nehme nur "Kolberg", diese mit Durchhalteparolen befeuerte Schlachtplatte, für die Goebbels noch im letzten Kriegsjahr ein Heer von 10.000 jungen männlichen Komparsen locker machte. Oder "Opfergang", in dem Harlan in fast schon psychedelischen Doppelbelichtungen seine Gattin Kristina Söderbaum ins Delirium versetzt, um sie für ihre Reinheit und für ihren Glauben sterben zu lassen. Ein Bilderrausch - kreiert, um das Publikum in eine Art Todessehnsucht und Vorfreude auf den vielbeschworenen "totalen Krieg" zu versetzen.
Söderbaum trieb in den Filmen ihres Mannes am Ende regelmäßig in Flüssen und Meeren. "Reichswasserleiche" war deshalb ihr inoffizieller Titel im Dritten Reich. In der Doku erinnert sich Enkelin Lena Harlan, wie sie ein letztes Mal der hübschen Leichendarstellerin ansichtig wurde - 2001 nach ihrem Tod im Bestattungsinstitut. "Sie sah so perfekt wie in ihren Filmen aus. Ich dachte, gleich sagt jemand 'danke' und sie steht wieder auf."
Harlan und Söderbaum, sie waren die vielleicht wichtigste NS-Kreativzelle, eine Art Propaganda-Einheit mit Ehevertrag. Als einer von wenigen Künstlern der Nazizeit wurde Harlan 1949 der "Beihilfe der Verfolgung" angeklagt - und, wie sich Sohn Thomas in der Doku verbittert äußert, von einem Richter freigesprochen, der während des Krieges Ukrainerinnen wegen eines gestohlenen Kopftuchs köpfen lassen hatte.
Juristisch wird man also nicht mehr Herr werden über die Schuldhaftigkeit von Veit Harlan. Moralisch schon. Wie tief saß der Antisemitismus bei dem Schöpfer des "Jud Süß"? Ende der zwanziger Jahre war er in erster Ehe mit der jüdischen Sängerin Dora Gerson verheiratet - die später in Auschwitz ermordet wurde. Wie setzt man mit einer derartigen Vorgeschichte das größte antijüdische Fanal der Filmgeschichte in Szene?
Kubrick trank erst mal ein Zahnputzglas Wodka
Die zweite Harlan-Generation ist bei der Bewertung der rassistischen Tendenzen des Vaters vorsichtig: "Er ist garantiert kein Antisemit gewesen", heißt einmal. "Er hatte viele jüdische Freunde", heißt es ein andermal. Die dritte Generation tritt gnadenloser auf. Enkelin Jessica Jacoby sieht in der narzisstischen Kränkung die Ursache dafür, dass ihr Opa zum Hetzer wurde: "Seine erste Frau hat ihn verlassen, um einen jüdischen Mann zu heiraten. Außerdem schöpfte er aus dem Vollen, was die antijüdische Bilderwelt der letzten Jahrhunderte betrifft. Skrupel hatte der sicherlich keine."
Wenn Jessica Jacoby über Großvaters Judenhass doziert, schwingt darin auch immer eine traumatische familiäre Erfahrung mit, denn sie ist das Kind von Harlans Tochter Susanne Körber und dem jüdischen Schauspieler Claude Jacoby. Die Ehe war unglücklich; von der Scham über ihren Vater gelenkt, wollte Susanne etwas wieder gut machen, was nicht gut zu machen war. Traurig sagt Jessica Jacoby: "Ich gehöre in eine Familie, die durch die NS-Zeit komplett gespalten wurde." Die Großeltern väterlicherseits wurden im KZ ermordet, während der Großvater mütterlicherseits Filme gemacht haben, die für eben diese Ermordung erst die emotionale Konditionierung lieferten.
Auch ein anderer Künstler mit jüdischen Wurzeln traf nach dem Krieg auf den Harlan-Clan: Nichte Christiane war liiert mit Stanley Kubrick, der sich nach ihrer Beichte, mit dem berüchtigten Veit Harlan verwandt zu sein, angeblich erst einmal ein Zahnputzglas Wodka genehmigte - dann aber die Familie kennenlernen wollte. Da stand dieses Paradebeispiel eines New Yorker Intellektuellen dann vor diesen fast durchweg blonden Menschen - "like ten Woody Allens" (Kubrick). Die Annäherung hatte durchaus künstlerische Gründe: Der Regisseur plante lange Zeit, einen Film darüber zu machen, wie man einen Film unter Goebbels dreht. Ganz lakonisch, ganz intim sollte der werden.
Das Projekt wurde nie etwas. Am Donnerstag startet nun ein ähnlicher Film - der doch ganz anders ist: Oskar Roehlers "Jud Süß - Film ohne Gewissen" rekonstruiert die Entstehung von Harlans Hassgebet aus Sicht von dessen Hauptdarsteller Ferdinand Marian. Doch was bei Kubrick eine kühle Analyse über die industrielle Herstellung tödlicher Bilder geworden wäre - kommt bei Roehler als erotoman aufgeladenes Schmierstück über Macht und Verführung daher.
Bleibt einem also nur Felix Moellers kluger multiperspektivischer Familienfilm "Harlan - im Schatten von Jud Süß", um Einblicke zu bekommen in eine der mörderischsten Kreativzellen des Dritten Reichs.
"Harlan - Im Schatten von Jud Süß", Donnerstag 23.15 Uhr, WDR