
"Weissensee" in der ARD Geburtsschmerzen eines neuen Landes
- • ARD-Serie "Weissensee": Die letzten Privatgeheimnisse der Stasi
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Da presst einer, stöhnt, die Beine angewinkelt. Und wirklich, der Kampf, in dem Ex-Stasi-Major Falk Kupfer da steckt, hat alles, was eine schwere Geburt ausmacht: Es ist der Versuch, ein neues Leben aus einem alten rauszupressen. Jetzt, 1990, kurz vor den ersten freien Wahlen in der DDR. Jetzt, da alles, worauf das intrigant kriminelle Streben all der Kupfers jenes untergehenden Landes ausgerichtet war, nicht mehr gilt.
Falk Kupfer hechelt und stöhnt in Phantomwehen: Er müht sich, mit den Beinen ein 10-Kilo-Gewicht zu stemmen, nachdem er am Ende der vergangenen Staffel angeschossen wurde und seither im Rollstuhl sitzt. Jetzt mühsamer Muskelaufbau, schleppendes Laufenlernen. Alles von vorne.
Den kapitulierenden Körper des einzelnen als Allegorie fürs ganze Land: Diese Doppelbödigkeit hatte Drehbuchautor und Regisseur Friedemann Fromm schon zum Abschluss der vergangenen "Weissensee"-Staffel inszeniert. Die mit Preisen überhäufte Serie erzählt seit acht Jahren von der Ostberliner Stasifamilie Kupfer (Staffel 1, Staffel 2, Staffel 3).
Die Zuschauerinnen schauen dem Vater Hans (Uwe Kockisch) und seinem Ältesten Falk (Jörg Hartmann) dabei zu, wie sie in den Achtzigern unter Spitzeln Karriere machen, wie Sohn Martin (Florian Lukas) seinen Wandel vollzog, als er sich in die Tochter einer regimekritischen Sängerin verliebte. Die Serie erweiterte auch die Parallelerzählung über die DDR, als Falks Frau (Anna Loos) zu den Bürgerrechtlern überlief und ist nun mit Staffel 4 in der unmittelbaren Nachwendezeit vor der Wiedervereinigung angekommen: Die Treuhand nimmt ihren Dienst auf, die "D-Mark" kommt, die SED wird abgewickelt, Gesamtdeutschland wird Fußballweltmeister.
Der Unterschied zu September 2015, als Staffel 3 zu sehen war: Wir leben in einem veränderten Land. Damals war Merkels "Wir schaffen das" gerade einmal vier Wochen alt. Die von rechts betriebene Spaltung noch nicht so tief. Die AfD erst in vier Landesparlamenten. Zuletzt nun reisten Reporter wahlkampfbedingt durch Ostdeutschland, um die vermeintliche Kluft besser zu verstehen, und die Große Koalition lieferte ein Kabinett ab, das nur mit Ach und Krach auf zwei Ostdeutsche kam, Merkel inklusive.
Den Kapitalismus wuppen
Auch darum ist die aktuelle Weitererzählung der "Weissensee"-Figuren in drei Doppelfolgen so spannend: Wie entscheiden sie sich, mit der Vergangenheit umzugehen, um ihre Zukunft im Kapitalismus zu wuppen? Und wie haben wir, alle zusammen, nur so viel vermasseln können? Darin liegt die große Wucht dieses Panoptikums, das Fromm hier in seiner kitschfreien Familiendynastieoper aufmacht: alles Lebensentwürfe, die liebevoll ausgearbeitet nebeneinander stehen.
Da ist Martin Kupfer, der mit der Westberliner Politjournalistin Katja Wiese (unschlagbar: Lisa Wagner) durch ein neues Patchworkfamilienleben navigiert, während er verzweifelt versucht, die Holzverarbeitungsfirma zu retten. Da ist Mutter Kupfer (Ruth Reinecke), die in Kegelbahnkellern ausbaldowert, wie das Parteivermögen "in Sicherheit" gebracht werden kann. Da ist Vater Kupfer, der mit all dem Gemauschel nichts zu tun haben will, mit Rückgrat dafür plädiert, Verantwortung zu übernehmen und alle Akten zu öffnen.
Und da ist schließlich Falk, in dem sich die ganze Zerrissenheit am filigransten zeigt - und dank des überragenden Jörg Hartmann so fassbar wird: Er, der als Stasischurke so viel Schuld auf sich geladen hat, fängt an zu zögern. Als er feststellt, dass seine Physiotherapeutin, deren Lebendigkeit ihn so aufbricht wie nichts zuvor, fünf Jahre in Hoheneck einsaß - gespielt von Jördis Triebel, ein echter Gewinn. Er, dem noch ein "Genosse General" rausrutscht, der sieht, dass die miesen Tricks der Stasi nun von anderen fortgeführt werden und der sich in einen Versicherungsjob rettet, wo es so holzgetäfelt aussieht wie dereinst in der Normannenstraße.
Bei dieser Fülle ist auch wurscht, dass Fromm den beiden Jungen, Martins Tochter und Falks Sohn, echte Gähn-Klischees überstülpt: Sie verrennt sich in der bösen Modelwelt, er bei den Neonazis.
Wie sehr man sich Erkenntnis erhofft von "Weissensee" zeigt nicht nur, wie brillant Fromm die Interpretationen dieses Nachwendelebens portraitiert. Sondern auch, wie wichtig dieses Ringen um ein Miteinander immer noch ist, nicht nur bei den Kupfers. Der Dreh- und Angelpunkt wird sein, so die Bürgerrechtlerin, die DDR aufzuarbeiten wie den Nationalsozialismus: "Wenn sich jetzt alle wegducken, was ist denn dann erreicht mit der Wende, außer dass die D-Mark kommt und alle nach Mallorca können?". Aufarbeitung, gesamtdeutsch: Es wird höchste Zeit.
Sendetermine "Weissensee"
Folge 19/20: Di, 8.5. | 20:15 Uhr | Das Erste
Folge 21/22: Mi, 9.5. | 20:15 Uhr | Das Erste
Folge 23/24: Do
, 10.5. | 20:15 Uhr | Das Erste
Begleit-Doku "1990 - Ende und Anfang": Di, 8.5. | 21:50 Uhr | MDR
und in der ARD Mediathek
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In der Postwende: Martin Kupfer (Florian Lukas) navigiert zwischen Beruf und Patchworkfamilie, dabei versucht er, seine Holzverarbeitungsfirma zu retten.
Der Patriachart: Hans Kupfer (Uwe Kockisch, r.) freundet sich so langsam mit seiner Enkelin Anna (Ziva-Marie Faske) an.
Der Stasischurke trifft auf die Hoheneck-Insassin: Falk (Jürgen Hartmann) fängt an zu zweifeln, als er vom Leben seiner Physiotherapeutin erfährt (Jördis Triebel).
Familie Kupfer beim Kindergeburtstag
Streik: Martin versucht die Firma zu retten, erst über einen schwäbischen Beratermaulhelden, dann mit der Treuhand, bis er merkt, dass es nichts hilft, eine Marktlücke zu füllen, wenn Währungsunion und andere Betrügereien stärker sind.
Die Vergangenheit aufarbeiten? Martin fragt seinen Vater Hans über seine Arbeit aus.
Eine moderne Familie nach der Wende: Martin Kupfer mit seiner Frau, der Westberliner Polit-Journalistin Katja Wiese (Lisa Wagner) und Tochter Anna.
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