"Wetten, dass...?" Crazy auf Katzenfutter
Ungebremst stampft das letzte große Schlachtschiff bundesrepublikanischer TV-Unterhaltung durch den Samstagabend. Auch die 185. Folge von "Wetten, dass...?" war eine Abfolge bizarrer Wetten und belanglosen Promi-Talks. Nur ein Detail machte am Ende stutzig.
Da mag die Republik noch so sehr mit Casting-, Container- und Chartshows bespielt werden - der größte gemeinsame Nenner der deutschen Fernsehunterhaltung ist und bleibt "Wetten, dass...?" Woran das liegt? Wer "Wetten, dass...?" schaut, blickt tief in die Seele der Deutschen. Wie viele Hunderttausend, ach, Millionen von deutschen Männern haben sich über die Jahrzehnte wohl schon an Thomas Gottschalk orientiert, wenn sie zur Ü-30-Party in der lokalen Großraumdisco ein glitzerndes, buntes Jackett anlegten?
Natürlich bleibt sich Gottschalk auch in der 185. Ausgabe treu, lässt den Geschmack zu Hause und trägt ein blau glänzendes Scheusal mit irgendwie barocken Ornamenten am Revers. So crazy können Normalos sein - das ist es, was seine Sakkos sagen. Das sagt die ganze Sendung, das ist ihr Prinzip: Kleine Leute und deren Höchstleistungen bei ihren absonderlichen Hobbys zu zeigen. Nicht ohne Grund ist diese Sendung eine autochthon deutsche Erfindung - ausgedacht 1981 von Frank Elstner, drei Jahre vor Einführung des Privatfernsehens.
Oder glaubt hier jemand, Franzosen, Italiener, Briten oder Polen würden sich an einem vollschlanken Justizvollzugsbeamten im besten Mannesalter ergötzen, der mit der Zunge Knoten in entrollte Lakritzschnecken machen kann? Nein, die Pinge- sowie Beharrlichkeit, mit der die "Wetten, dass...?"-Kandidaten ihre Freizeitnische zum Hochleistungssport schmieden ist schon sehr deutsch.
"Detlev, du geile Schnecke" steht auf dem Transparent, das der mitgereiste Fanclub des Kandidaten schwenkt, nachdem der seine Aufgabe mit Bravour gemeistert hat und wie ein Kind auf der Bühne herumhüpft. Je abstruser die vorgeführte Fertigkeit, desto rührender die Freude über den Erfolg - das war schon immer so bei "Wetten, dass...?" In zwei Minuten 20 Lakritzschnecken verknoten - leider bekam Detlev für diese Meisterleistung nur neun Prozent des Zuschauervotums. Vielleicht lag es daran, dass die Bühnendeko - überdimensionale, vertäute Seile - ein wenig an Kothaufen erinnerte.
"Hast du dir die Beine bemalt?"
Als Megastar des Abends - und einen solchen gibt es ja immer bei "Wetten, dass...?"- war Hugh Grant in den "AWD Dome" nach Bremen eingeladen. Höflich und charmant gab er Auskunft und verstand von der ganzen deutschen Heiterkeit um ihn herum wohl nur die Hälfte. Aber das gehört ja zu den ehernen Prinzipien des Samstagabendshow-Dinosauriers: Die internationalen Megastars müssen immer ein wenig wie Falschgeld auf dem Sofa sitzen, sich geduldig auf den Knopf im Ohr konzentrieren und der gute alte Thommy macht mit der Sprachverwirrung ein paar etwas ranzige Späße.
Wie überhaupt die Ranzigkeit seines Humors im Alter keinesfalls nachlässt. "Hast du dir die Beine bemalt oder sind das Hosen?" so begrüßte Gottschalk seine neue "Wettansagerin" Michelle Hunziker, die in Glitzer-Leggings auflief. Hugh Grant fiel nicht durch übertriebene Spritzigkeit auf, und so war es wohl eine weise Entscheidung, ihn von Anke Engelke und Bastian Pastewka, die an diesem Abend überzeugend als Volksmusik-Persiflage "Wolfgang und Anneliese" auftraten, bedrängen zu lassen. Überhaupt saßen auf Gottschalks Sofa nur Schauspieler: Neben Til Schweiger und Nora Tschirner waren noch TV-Kommissar Wolfgang Stumph und seine Tochter Stephanie geladen.
Nur 35 Minuten
"Die sind wirklich süß!" quiekte die Hunziker beim Anblick von Sandra und Anna, die angetreten waren, dreißig Sorten Katzenfutter nur mit den Füßen unterscheiden zu können. Gesagt, getan: Michelle und Thommy versorgten die beiden Teenager in bester Guantanamo-Manier mit Ohren- und Augenklappen sowie Nasenklemmen und luden Brekkies und Whiskas auf Tellerchen. "Ich spüre Brocken", wisperte Anna. "Ich auch!" antwortete Sandra. Zwei 16-jährige Mädchen wühlen mit ihren nackten Füßen in Tiernahrung, angefeuert von einem 59-jährigen Moderator und seiner platinblonden Assistentin: Es war definitiv das bizarrste Bild des Abends. Doch all das Füßeln sollte vergebens sein - die Sortenvielfalt beim Katzenfutter war dann doch zuviel für Sandra und Anna.
Ein Einradfahrer hüpfte Müllcontainer ab, ein Tischkicker-Crack spielte alleine gegen elf Mann vom Roten Kreuz. Der Publikumsliebling unter den Wettkandidaten wurde jedoch einer aus der Kategorie Denksport-Akrobat, die seit jeher das Herz von "Wetten, dass...?" ausmacht: Der Antennentechniker Jürgen, dessen Hobby die Spielzeugwelt des "Miniatur Wunderland" in Hamburg ist - eine riesige Modelleisenbahn mit etwa 300.000 Figuren und über 200.000 Gebäuden. Tatsächlich war Jürgen im Stande, aus einer zufälligen Auswahl von Bildern einer aus Hamburg zugeschalteten Kamera jeweils genau die korrekte Stelle im Original ausfindig zu machen. Eine überzeugende Performance, die ihm, mit 67 Prozent Stimmen, einen Kantersieg einbrachte.
Solche Hobby-Titanen sind es eben, die dem letzten TV-Schlachtschiff der Republik jene althergebrachte, sozialdemokratische Heimeligkeit verleihen. In Casting-Shows kämpfen neoliberal verdorbene Ehrgeizlinge um den Weg an die Spitze - oder landen in der Blamage. "Wetten, dass...?" hingegen gibt uns das wohlige Gefühl, dass es in Deutschland noch immer Menschen gibt, die Freizeit haben - und offensichtlich so ausreichend, dass sie Miniatur-Wunderländer auswendig oder beim Motorradfahren Pizza backen lernen können. "Ja, hier ist 'Wetten, dass...?', da gibt's für jeden was", sangen Wolfgang und Anneliese. "Denn nur bei 'Wetten, dass...?', macht's Überziehen Spaß."
Gemeint war damit natürlich Gottschalks traditionelles Überziehen der Sendezeit: Doch diesmal waren es nur 35 Minuten - fast schon sensationell wenig.