
ARD-Doku über Assange: Ein Popstar verglüht
WikiLeaks-Doku in der ARD Aufstieg und Fall des Popstars Julian Assange
Erst die Rebellen, nun der Krieg: Die NDR-Produktion "Weltmacht WikiLeaks? Krieg im Netz" macht da weiter, wo die schwedische Dokumentation "WikiLeaks - Rebellen im Netz" aus dem vergangenen Jahr aufgehört hat. Der Film von Ralf Hoogestraat und Svea Eckert zeigt, in was für einem chaotischen Zustand sich WikiLeaks derzeit befindet, wie der Gründer und Anführer Julian Assange zum Popstar mutiert ist und wie dessen einstiger Mitstreiter Daniel Domscheit-Berg sein Erbe antreten will.
Der rührt die Werbetrommel für sein Buch "Inside WikiLeaks", das am Freitag erscheinen soll. Erste Enthüllung: Die WikiLeaks-Aussteiger haben Assange Technik und Daten weggenommen, als erzieherische Maßnahme. Die Kritik ist programmiert - da kommt das NDR-Loblied auf Domscheit-Berg gerade recht.
Zunächst bietet der 45-Minüter "Weltmacht WikiLeaks? Krieg im Netz" wenig Neues. Vielleicht muss das zwangsläufig so sein, wenn man sich dem Thema chronologisch nähert: Wie schon die im Januar ausgestrahlte Doku verwenden die Autoren viel Zeit auf die Videoaufnahmen aus einem US-Kampfhubschrauber im Irak, die von WikiLeaks unter dem Titel "Collateral Murder" veröffentlicht wurden und um die Welt gingen.
Dann kommen die immer gleichen Personen zu Wort: der isländische Journalist Kristinn Hrafnsson, der für WikiLeaks arbeitet; die Abgeordnete Birgitta Jónsdóttir, die nicht mehr für WikiLeaks arbeitet; der ebenfalls abtrünnige Internet-Aktivist Smári McCarthy. Erst in der zweiten Hälfte schaffen es die NDR-Filmemacher, sich vom Vorbild abzusetzen - und eine eigene These zu entwickeln. Die hat es dann aber in sich.
Die Geschichte zweier Männer
Der Film, der SPIEGEL ONLINE als Rohschnitt vorliegt, setzt dann ganz auf Personalisierung. Erzählt wird die Geschichte von Assange und Domscheit-Berg, die zusammenarbeiten und die Weltöffentlichkeit faszinieren - bis es zum Bruch zwischen den beiden kommt. Assange wird porträtiert als ein Genie, das mit seiner Arroganz aneckt und sich zunehmend isoliert.
Auch aus den Redaktionen von "New York Times", "Guardian" und SPIEGEL gibt es mittlerweile Berichte über die bisweilen anstrengende und von Misstrauen geprägte Kooperation mit Assange. Der Film, der die Zusammenarbeit der drei Redaktionen "Medienkartell" nennt, greift diese Berichte auf. So berichtet SPIEGEL-Redakteur Holger Stark, wie sehr Assange sich seiner eigenen Wirkung bewusst ist und wie er sich inszeniert.
Schließlich zeichnet die Doku, immer wieder untermauert durch Zitate von Domscheit-Berg, das Bild einer Organisation, die sich womöglich überholt hat: WikiLeaks ist geschwächt durch internen Streit, durch die Starallüren ihres zum Medienheld avancierten Anführers. Der Internet-Briefkasten für anonyme Einsendungen, über den WikiLeaks neues Material zur Veröffentlichung gesammelt hat, ist nicht mehr erreichbar.
Ein Film wie ein Nachruf
Zwar loben der "Freitag"-Herausgeber Jakob Augstein und SPIEGEL-Chefredakteur Georg Mascolo WikiLeaks, die Verdienste des Netzwerks um Enthüllungen korrupter Eliten in der arabischen Welt klingen an. Doch das wirkt im Kontext des Films schon wie ein Nachruf. Die Idee war gut, die Welt bereit, aber wie geht es weiter?
Darauf hat "Weltmacht WikiLeaks? Krieg im Netz" eine klare Antwort: Während Assange als "Egomane" und "Besessener" tituliert wird, darf Domscheit-Berg den sympathischen, reflektierten Aufklärer mit hehrem Ziel geben. Er wird gezeigt, wie er auf dem Wirtschaftsforum in Davos die Plattform OpenLeaks vorstellt, die als Briefkasten für geheime Informationen dienen soll, die anonymisiert an Kooperationspartner durchgereicht werden.
Die Sanduhr, die in der NDR-Dokumentation in Anlehnung an das Logo der WikiLeaks-Website als Stilmittel eingesetzt wird, verstärkt den Eindruck zusätzlich: Assange und seine Organisation werden womöglich auch künftig noch eine Rolle spielen. Den Zenit hat WikiLeaks aber offenbar überschritten.
Ob diese These hält oder ob die Rückkehr des Geheimnis-Ritters Assange die Filmemacher eines besseren belehrt, wird sich zeigen. Immerhin hat Assange mehrfach erklärt, brisante Daten einer US-Großbank zu besitzen. Derzeit lotet er offenbar neue Medienpartnerschaften aus, um das Material in Szene zu setzen. So pointiert der Film in seiner zweiten Hälfte also auch ist - abschließende Antworten kann er nicht liefern.
"Weltmacht WikiLeaks? Krieg im Netz": Mittwoch 23.45 Uhr, ARD