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Jörg Hartmann als Ermittler Faber: Kommissar Kamikaze

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Wut-"Tatort" aus Dortmund Wenn der Kommissar die Keule schwingt

Er kloppt mit dem Baseballschläger Autos kaputt, säuft sich in Assi-Kneipen ins Delirium: Jörg Hartmann gibt seinen Ruhrpott-Cop Faber entfesselt wie einst Götz George seinen Schimanski. Das ist furios - und dramaturgisch fatal. Wenn er nicht bald Hilfe bekommt, bringt er sich selbst ins Grab.

Wer ein Auto komplett mit dem Baseballschläger zerlegen will, braucht Wut. Viel Wut. Kommissar Peter Faber schlägt zum Einstieg in den zweiten Dortmunder "Tatort" auf dem Schrottplatz auf einen Kombi ein, bis davon nur noch ein Klumpen Blech übrig bleibt. Dann macht er etwas, was man bei ihm noch nicht gesehen hat: Er lächelt kurz. Die Wut tut ihm gut.

Das gilt auch für Faber-Darsteller Jörg Hartmann selbst. Im Interview mit der Illustrierten "In" wetterte er gerade gegen das neue Darsteller-Duo Nora Tschirner und Christian Ulmen, die 2013 für ein neues "Tatort"-Revier in Thürigen vor der Kamera stehen. Das klinge, so sein verächtliches Vorab-Verdikt, nach "Nackter Kanone".

Hartmann ist also auf bestem Wege, in Dortmund das zu werden, was Götz George vor 30 Jahren mit seinem Schimanski in der Nachbarstadt Duisburg war. Einer, der aufräumt mit den Arrangements im "Tatort"-Land. Authentisch, hart und ein bisschen soziopathisch soll Hartmanns Faber sein. Der Ruhrpott rumort, immer noch.

Ähnlich dem grandios abgewrackten Schimanski sieht auch Faber gelegentlich wie ein Penner aus. Im neuen Fall steigt er in Müllcontainer, um darin nach Tatwaffen zu suchen. Später lässt er sich dann mit einem verdächtigen Streifenbullen am Tresen einer Assi-Kneipe volllaufen, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Am Ende ist er so besoffen, dass er über eine Autobahnüberführung kriecht. Da versucht er sich über die Brüstung zu hieven, um sich in die Tiefe zu stürzen. Dann fehlt ihm aber doch die Kraft, das Delirium rettet ihm das Leben.

Scarface lässt grüßen

Faber, der Psycho im kotbraunen Parka, ist zweifellos einer der stimmigsten neuen "Tatort"-Ermittler der letzten Jahre. Zumindest auf dem Papier. Das Pathologische und der Ermittlerinstinkt sind bei dem Kommissar, der auf Pillen unterwegs ist, seit Frau und Kind bei einem Autounglück starben, eng verzahnt. Die Welt ist krank, wer könnte sie besser verstehen als ein Kranker? Und so pöbelt, prügelt und provoziert sich Faber für die neue Folge mit dem schön anachronistischen Titel "Mein Revier" durch Dortmunds raue Nordstadt, wo ein Verteilerkampf zwischen alteingesessenen Türken und jungen Bulgaren tobt.

Doch ach, so wahrhaftig dieser "Tatort" daherzukommen versucht, so konstruiert wirkt die geballte Gewalt darin. Was sich auf Papier gut liest, sieht vor der Kamera gewollt aus. Am Anfang wird ein Türkengangster erschossen, der vor einem Schreibtisch voll Koks sitzt und schnieft wie einst Al Pacino in "Scarface". Als die Polizei eintrifft, ist sein toter Körper rot besprenkelt - nur sein entblößtes Genital, so teilt einer der Forensiker mit, ist frei von Blut. Ein Hinweis darauf, dass der Gangster bei seiner Ermordung oral befriedigt wurde.

Also muss sich eine junge Polizistin zur Rekonstruktion der Tat in Blowjob-Stellung vor die immer noch im Stuhl sitzende Leiche knien. Da, höhö, freuen sich die männlichen Kollegen. Hätte sich natürlich auch genauso gut einer der Kerle vor die offene Hose des Opfers hocken können. Aber die Macher vom Dortmunder "Tatort" nehmen nun mal jede politisch unkorrekte Pointe für ihren Milieu-Klopper mit.

Gelackte Türken, dreckige Bulgaren

Was erstmal nicht verwerflich ist, die Welt ist nun mal voll von politisch unkorrekten Pointen, man wäre blöde, würde man sie nicht einsammeln. Aber wie Autor Jürgen Werner und Regisseur Thomas Jauch, die Schöpfer des Dortmunder TV-Reviers, die Gags in diesem "Tatort" als Analyse-Instrument in die Handlung integrieren, ist zum Teil fahrlässig.

So trifft Ermittler Faber in einer Szene auf einen schmierigen türkischen Unternehmer, der Bulgaren für ein paar Euro kriminelle Jobs machen lässt, um sie dann zu horrenden Preisen in den Abrissimmobilien der Nordstadt wohnen zu lassen. Und was sagt der Gangster-Geck zum Cop: Früher hätten die Türken die Drecksarbeit für die Deutschen gemacht, heute drückten die Türken eben die Drecksarbeit an die Bulgaren ab.

Klingt wie eine Pointe, die schlüssig die sich wandelnden Migrationsströme und die damit einhergenden veränderten Kräfteverhältnisse in Deutschland auf den Punkt bringt. In Wirklichkeit jedoch werden hier Wohlstandsmigranten gegen Lumpenmigranten ausgespielt. Der Türke als gelackter Pimp, der Bulgare als sein ungewaschener Handlanger, das übermittelt ein bedenkliches Bild in Deutschland lebender Ethnien.

Zumal die Bulgaren in ihren Elendsquartieren wie Tiere hausen, die zu träge sind, um ihren Unrat aus den Höfen zu entsorgen: Die Nordstadt sieht im neuen "Tatort" aus wie die Bronx 1980. Gegen das ausgefeilte Setting der ersten Faber-Episode, das zwischen altem Pott und neuer Hightech-Industrie angelegt war, kommt die zweite ziemlich plump daher. Alles so kaputt hier.

Und das betrifft auch die Figuren: Jeder schreit jeden mit "Arschloch" an. Was bei Schimanski Anfang der achtziger Jahre noch provokanter Ausbruch aus dem Beamtenapparat war, verkommt hier zur Floskel. Außerdem hatte Schimanski ja immer sein Kindermädchen Thanner dabei, der wieder aufstellte, was sein Kollege beim Wüten gegen das System umgeschmissen hatte. Und der ihm nach dem schlimmsten Absturz noch immer mit dem Schürzchen ein Süppchen kochte.

Dieser Gegenpart fehlt dem Dortmunder Haudrauf Faber. Wenn ihn keiner retten will, dann springt er irgendwann wirklich von der Brücke. Kommissar Kamikaze aber soll leben - schon um es all den nackten Kanonen des "Tatort" zu zeigen.


"Tatort: Mein Revier", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

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