ZDF-Film "Der Raketenmann" Überflieger der Nazis
Als am 3. Oktober 1942 zu Versuchszwecken erstmals ein Vorläufermodell seiner V2 aufsteigt, funkelt am Raketenkörper eine Zeichnung der "Frau im Mond". Ein historisches Detail, das die gesamte Widersprüchlichkeit des Wernher von Braun auf den Punkt bringt: Wie weltentrückt muss man sein, um eine zukünftige Massenvernichtungswaffe mit so einem putzigen Motiv zu schmücken?
Träumer und Karrierist, Weltraumschwärmer und Todeskonstrukteur: Stefan Brauburger und Dirk Kämper leuchten in ihrem Dokudrama "Der Raketenmann" alle Facetten des Forschers aus, der seine Visionen unter Hitler ebenso zu verwirklichen verstand wie später unter Kennedy.
Kann der Mann, dessen Wirken maßgeblich zur ersten bemannten Mondlandung vor 40 Jahren beitrug, etwas dafür, dass seine Erfindungen missbraucht wurden? Ja, sagen die Filmemacher, die in ihrem Biopic dezidiert mit Spielszenen, Zeitzeugeninterviews und historischem Filmmaterial nachzeichnen, wie Braun sich immer wieder bewusst als militärischer Impulsgeber hervorgetan hat, um seine Ziele durchzusetzen.
Dabei geht es doch so niedlich los: Mit dem Teleskop starrt der kleine Wernher sehnsüchtig zum Mond, und im Berliner Tierpark fährt er einen sprengstoffbetriebenen Bollerwagen zu Bruch. 1929 sieht er dann Fritz Langs Science-Fiction-Mär "Die Frau im Mond", arbeitet wenig später bei Langs technischem Berater Hermann Oberth, einem frühen Raketenkonstrukteur, als Assistent. In dem von ihm mitgegründeten "Verein für Raumschifffahrt" lässt er schließlich in Berlin-Reinickendorf erste Objekte mit Raketenantrieb mit viel Krawumm in den Himmel steigen.
Vernichtend ehrgeizig
So wird die Reichswehr auf den charismatischen Eigenbrötler aufmerksam. Geld gibt es dann erstmal doch nicht, aber Braun hat Lunte gerochen: Wenig später nimmt der junge Visionär auf eigene Faust Kontakt mit dem Heereswaffenamt auf, wo er relativ schnell Forschungsaufgaben zugewiesen bekommt. Er ist gerade mal 25 Jahre alt, da wird ihm 1937 für mehrere hundert Millionen Reichsmark in Peenemünde an der Ostsee von den Nazis ein eigenes Forscherreich samt Kraftwerk errichtet.
Zum Mond wollte Hitler erstmal nicht, die Entwicklung von Trägersystemen für seine Waffen hatten Vorrang. Und Braun, das wird in der "Der Raketenmann" genau aufgeschlüsselt, bediente bewusst die Wünsche und Phantasien seines Herren.
Ende 1942 - an der Ostfront schlägt die Stimmung um - träumte Hitler von bis zu 1800 V2-Flugkörpern täglich, die im Feindesland für Schrecken sorgen sollten. Raketenhandlanger Braun wusste zwar, dass das illusorisch war, versprach aber, alles Menschenmögliche dafür zu tun - und schreckte dabei auch nicht vor dem Unmenschlichen zurück: Von der SS forderte er Kriegsgefangene, um des Führers Zielvorgaben nachzukommen.
Gerade in diesem Punkt demontieren die Filmemacher das Bild Brauns als Wissenschaftler, der über all seinem Basteln den Blick für die Wirklichkeit seiner Zeit verloren hätte. Dafür berufen sie sich auf jüngste Forschungen, die belegen, dass er sehr bewusst wirtschaftliche Komponenten von Hitlers Massenvernichtungsmaschinerie in seine eigene Planung einfließen ließ.
Mondsüchtig und mordstüchtig: Als dem Weltraumträumer Ende des Zweiten Weltkriegs im Harz bei Nordhausen eine unterirdische Fabrik zur V2-Produktion errichtet wurde, sollen in den Stollen an die 3000 KZ-Häftlinge gestorben sein. Er selbst sagte später immer wieder, er habe davon nichts gewusst. Eine Lüge, wie im "Raketenmann" anhand neuer Aktenaufarbeitung nachgewiesen wird.
Der Mann war mindestens so sehr Entrepreneur wie Erfinder. Wie mit einer Ware verfuhren er und seine Mitarbeiter denn auch 1945 mit ihrem Wissen. Gegenüber den Amerikanern, so heißt es einmal im Film, "tritt er eher als Geschäftsmann denn Kriegsgefangener auf". Man übersieht freundlicherweise seinen SS-Rang und übernimmt ihn bald in die eigenen Dienste.
In White Sands bei El Paso wird ihm ein eigenes Forschungszentrum errichtet, ein Jahr später steigt die erste V2 von amerikanischem Boden auf. Schließlich befand man sich im Wettlauf mit den Sowjets, die sich nach dem Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland ihrerseits deutsches Raketen-Knowhow einverleibten.
Opportunist kosmischen Ausmaßes
Auf Arte ist zurzeit der aufwendige BBC-Vierteiler "Wettlauf zum Mond" zu sehen (nächste Folge: Samstag, 18. Juli, 21,50 Uhr), in dem die Eroberung des Weltraums vor allem als Duell zwischen Braun und dem Russen Sergej Koroljow in Szene gesetzt wird. Das ZDF hingegen konzentriert sich ganz auf den Deutschen, der bald die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und ohne Umschweife seine Mondflugpläne auf die ideologischen und militärischen Gegebenheiten seines neuen Heimatstaates abstimmte.
Um Werbung für seine Sache zu machen, skizziert er zum Beispiel schon in den frühen Fünfzigern den vom Alptraum einer roten Invasion geplagten Amis ein im All stationiertes Waffensystem, mit dem man "massive Vergeltung" üben könne. Und um den Ehrgeiz seiner neuen Landsleute zu befeuern, hielt er flammende Reden für einen interstellaren Pioniergeist: "Sollen wir warten, bis auf dem Mond die rote Fahne hochgeht?"
Auf diese Weise wurde der "Missile Man von Braun" ("Time Magazine") auch in den Staaten zur zentralen Figur beim Wettlauf um den Mond.
Dabei mag ihm die während der Nazi-Zeit verinnerlichte Kenntnis geholfen haben, dass es keine Gelder für die Forschung gibt, wenn sich diese nicht auch nicht militärisch nutzen lässt. So durfte die von ihm entwickelte Jupiter C 1958 den ersten amerikanischen Satelliten ins All schießen - jene Rakete, die zuvor als Mittelstrecke-Trägersystem für Atombomben entwickelt worden war.
Fortschrittswille und Vernichtungskraft, sie fanden in der Person des Wernher von Braun eine sonderbare Verbindung. Folgerichtig durchzieht das Fernsehporträt "Der Raketenmann" bis in die schönsten und sehnsüchtigsten Impressionen des Braun-Reiseziels Mond hinein die Erkenntnis: Unschuld sieht anders aus.
"Der Raketenmann. Wernher von Braun und der Traum vom Mond", Dienstag. 14. Juli, 20.15 Uhr, ZDF