
Vatikan-Soap "Borgia": Sex, Lügen und Gebete
ZDF-Historienserie "Borgia" Der Papst, das Ferkel
Leidenschaft auf den ersten Blick - da scheinen sich zwei gefunden zu haben: Das sündengeile moderne Fernsehen und eine vermeintlich nur sündenfrohe Epoche am Ende des Mittelalters. An diesem Montag beginnt im ZDF das europäische Mammutprojekt "Borgia". Die beeindruckenden Randdaten: unvorstellbare 25 Millionen Euro Produktionsvolumen, tausendundeine Fackel, zwölf Kilometer prachtvolle Kostümstoffe, der Vatikan als Sperrholz-Kulisse, nachgebaut in den Barrandov-Studios von Prag. Puh.
Sechs geschlagene Hauptabende lang (eine Dokumentation kommt auch noch hinzu) geht es um Rodrigo Borgia (1431-1503), der als Papst Alexander VI. zeigt, was eine rechte Sündenharke ist. Und wer vom Suhlen vor dem Pfuhl Petri nicht genug bekommt, der braucht nur bis zum 9. November zu warten. Dann beginnt bei ProSieben eine weitere "Borgia"-Serie des amerikanischen Abo-Senders Showtime unter Leitung von Neil Jordan mit Oscar-Preisträger Jeremy Irons als aasiger Mitra-Natter. Brutal weiß raucht es also in diesem TV-Herbst aus dem Schirm. Habemus Papas, habemus Paten, Ave Mafia Sancta.
Alle Brünnlein fließen rot, wenn es jetzt im Zweiten mit den Borgias losgeht. Ein leckerer Renaissance-Jüngling peitscht sich in der ersten Szene vor dem Altar für jede seiner Missetaten. Wenige sind das nicht, die der junge Caesare Borgia begangen hat. Der gestriemte Rücken zeigt es. Und es wird nicht die letzte lustvolle Selbstbestrafung bleiben. Man spürt: Die Hoffnung auf durchgreifende Besserung und Reue ist bei diesem frommen Teufelsbraten vergeblich. Seine Leidenschaften kann er nicht besiegen, selbst wenn er es wollte. Solche Verdammte sind Movie-Manna.
Sado-Maso bis an die Grenze des Jugendschutzes
Auch in der nächsten Szene tropft es rot. Es ist diesmal nicht masochistische Sündenlust, es ist Mutter Natur: Lucrezia Borgia (Isolda Dychauk) bekommt ihre erste Menstruation. Und - das Fernsehen im Farbrausch - es rötelt schön weiter. Das sinistere Kardinalskollegium, das den schwächlichen Papst Innozenz VIII. (Udo Kier) bevormundet, erglänzt in giftig-schönstem Purpur. So erröten müssten die Würdenträger eigentlich vor Scham für ihre Gottlosigkeit, aber Schuld und Sünde sind in der hier gezeigten Gottes-Firma namens Kirche ein Fremdwort.
Es geht in "Borgia" um Macht, Ruhm und Geld für jeden einzelnen und dessen Clan. "Heiliger Vater", so suggeriert der Film, ist ein Blowjob für geile Aufsteiger, der Vatikan eine Räuberhöhle, der Glaube eine Ware, bald wird sie im großen Stil als Sündenablass zu Geld gemacht. Das "Denver"-, "Dallas"- und "Sopranos"- Medium Fernsehen schnappt sich instinktsicher solchen historischen Traumstoff und lässt sich von Bedenken, hier könnte die geschichtliche Überlieferung übertrieben haben, nicht von der Beute ablenken. Es springt fünfhundert Jahre zurück zu dem, was es für Fleisch von seinem Fleisch hält.
Soll man da nicht zulangen, wo es - als Historie getarnt - für Öffi-TV-Verhältnisse schwer Krasses zu zeigen gibt? Moribunde werden zu Heilzwecken von einer Hexe mit Schweinescheiße bestrichen. Dem siechen Papst schiebt eine Amme ihre prallen Brüste in den Mund, die Muttermilchkur misslingt trotzdem, der Alte stirbt. Dafür werden Ohren abgeschlagen, Handrücken durchgenagelt, und noch viel mehr Sado-Maso hätte man wohl als historische Authentizität getarnt unterbringen können, wenn es den spießigen Jugendschutz von heutzutage nicht gäbe.
An Zynismusmangel muss der Zuschauer auch nicht leiden. Kreuze werden zwar unaufhörlich geschlagen, Kruzifixe rücken ins Bild, aber auch der dümmste Serienkonsument begreift sofort: Im operativen Geschäft haben die ehedem obersten Seniorbosse, Vater, Sohn und Heiliger Geist, nichts mehr zu bestimmen. Der Vatikan ist in die Hände miteinander verfeindeter alt- und neureicher Aufsteiger gefallen. Alles Sagen und aller Segen kommt vom obersten Paten noster.
Es wird gemordet, gevögelt und geheuchelt - aber warum?
Nehmen wir für einen Moment an, dem wäre historisch so gewesen. Welche Haltung nimmt ein Unterhaltungsstoff erzählendes Fernsehen zu solchem Epochenverfall ein? Die Ken-Follet-Verfilmung "Die Säulen der Erde" verlegte sich auf eine märchenhafte Heldenerzählung von den braven Domerbauern, die trotz mittelalterlichem Intrigenspiel und allseits herrschendem Aberglauben unsterbliche Frömmigkeit aus Stein ins Heute retten.
Aber was will das ZDF-Borgia-Spiel? Etwa mehr als zu beweisen, dass es mit Grusel- , Sinnen- und Ausstattungszeigelust den State of the Art des Moviegenres aufs Süffigste erfüllen kann? Je länger da in den schönsten Farben gemordet, gevögelt, gelogen und geheuchelt wird, desto deutlicher schiebt sich die Sinnfrage in den Vordergrund: Was soll das Ganze?
Als bloße Folie für den Exhibitionismus des modernen TV-Movies ist die Epoche der Renaissancezeit eigentlich zu bedeutend. Ohne spaßbremserische Bildungshuberei muss man daran erinnern, dass im Quattrocento das Mittelalter überwunden, Amerika entdeckt, der Buchdruck erfunden wird. Dass die Maler wie die Götter zu pinseln lernen und die Verehrung der Antike alles Kleinteilige auf Weltniveau bringt. Dass der Mensch sich - wie sagt man es unpathetischer? - selbst als Natur entdeckt, zu der nicht nur schafsköpfige Gottergebenheit gehören, sondern auch Heimtücke, Leidenschaft und Lust an Grausamkeit. Zumal im Italien des 15. Jahrhunderts, in dem Großmächte wie Spanien und Frankreich und die Clans der Städte um die Macht ringen.
Alles Laster- und Lotterleben hat auch einen verzweifelten Hintergrund: Der Kirchenstaat ist marode, schwebt nicht unberührbar über der Geschichte, sondern kann nur überleben, wenn er sich bisweilen gottlos in einer gottlosen Welt verhält. Zu Spott und Hohn, zu voyeuristischem Überlegenheitsgefühl von uns Heutigen besteht kein Anlass. Auch die Schurken haben ein Recht auf Tiefenschärfe.
Schweinchenschlau im roten Gewand
Darin liegt die Enttäuschung des ersten Teils von "Borgia". Statt einer Entführung in eine andere geheimnisvolle Welt paradieren die Soap-bekannten Schurken und Schranzen. Der Drehbuchroutinier Tom Fontana flutet den Zuschauer mit zahllosen Figuren, die man aus jeder Seifenoper zu kennen meint. Gute Granden, böse Konkurrenten, ungezogene Neffen, kecke Mädels, ungezügelte Arroganz, Aufsteigertum wider Standesdünkel.
Und ein unglaublich frecher Nepotismus: Mit 16 kann einer Kardinal werden, ein dickliches Schweinchenschlau im roten Gewand, wenn es nur aus dem richtigen Familienclan stammt. Klar, dass der Held Rodrigo, die Spinne im unheiligen Netz, viel auf dem Wege zum Papst-Job zu spinnen hat. Die Borgias brauchen Posten, die Konkurrenten Schläge, der Tod des amtierenden Petri-Nachfolgers genaue Planung. Das Handling der Wollust mit der komplizierten Weiberwirtschaft aus illegitimen Verbindungen darf keine Minute zu viel beanspruchen.
Es ist ein Rätsel, warum sich ein für den ersten und den zweiten Teil verantwortlicher Klasse-Regisseur wie Oliver Hirschbiegel ("Der Untergang") im Opening der Riesenunternehmung dem Diktat des sammelwütigen Drehbuchs unterworfen hat. Um keinen baren Busen zu verpassen? Um die Ängste der Produzenten zu bedienen, Tiefgang könnte die Quote mindern? An keiner Stelle wird in diesem ersten Teil ein Fenster aus dem engen Soap-Gehäuse ins Freie geöffnet. Wir sehen eine Renaissance ohne Aufbruchsanmut, ohne die Frühlingsluft einer neuen Zeit - was für eine Enttäuschung.
Allein John Doman überzeugt als naiver Clan-Teufel
Erst der zweite Teil, in dem die Papstwahl Rodrigos geschildert wird, ist ein Wurf Hirschbiegels. Aus dem berechenbaren Soap-Ablauf wird eine bitter-ironische ganz ungöttliche Komödie. Das Konklave erscheint als Intrigantenstadl. Eingemauert in der Sixtina giften schrullige Männer einander an, bis sie zu Potte kommen und Rodrigo die nötigen Stimmen zur Papstwahl bekommt. Das ist alles wunderbar verrückt, als wolle die Serie sich zu einem Gemälde einer fremden Epoche weiten und den Ungeist der Nähe zur heutigen Soap-Kultur exorzieren.
Und da zeigt es sich, dass einzig der Rodrigo-Darsteller John Doman ("The Wire") das Zeug hat, die TV-Konventionalität zu überwinden. Donan ist der naivste und natürlichste Clan-Teufel, der sich denken lässt. Er spielt den Paten auf dem Stuhl des Jesusstellvertreters mit einem sardonischen, kaum wahrnehmbaren Lächeln. Er ist die Unschuld vom Lande der in der Renaissance aufkommenden Machtbegeisterung.
Was hätte sich für all den Aufwand für ein wunderbares Zeitporträt zelebrieren lassen, ein Stück über den Aufbruch in eine neue Zeit, in die Wiedergeburt des Menschen, zur mentalen Stärkung mitten in der heutigen Depression. Dazu gehören das Ernstnehmen des Vergangenen, eine gewisse nie sklavische historische Demut.
Nicht gerade die Stärke des nur seiner Routine vertrauenden Unterhaltungsfernsehens.
"Borgia", 17., 19., 20., 24., 26. und 27. Oktober, jeweils 20.15 Uhr, ZDF
"Der Fall Borgia" (Dokumentation), 19. Oktober, 22.25 Uhr, ZDF