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ZDF-Melodram: Trauer am Traumstrand

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ZDF-Offensive am Sonntagabend Hawaii gibt's jetzt auch in hässlich

Alles Pilcher, oder was? Eben nicht: Das ZDF hat seinen Sonntagabend renoviert und zeigt dort jetzt statt Schmier- und Rührstücken auch mal moderne Melodramen. Etwa das Requiem "Das Paradies in uns" vor Hawaii-Kulisse - große Gefühle ohne große Heucheleien.

Aloha. Wer auf Hawaii landet, kriegt am Flughafen zur Begrüßung erst mal einen Blumenkranz um den Hals geworfen, ganz egal, weshalb er auf die Inselgruppe gekommen ist. So ergeht es auch Christiane und Mathis Jacobi (Katja Flint und Martin Brambach). Ihr Sohn hatte einen Surfunfall und wird seitdem vermisst; unwahrscheinlich, dass er noch lebt. Trotzdem hängt ihnen ein alter Freund erst mal ein buntes Geflecht um, so sind nun mal die Regeln im Paradies, Widerstand zwecklos. Das Ehepaar lächelt schief.

Es sind solche kleinen widerborstigen Szenen, mit denen das Trauermelodram "Das Paradies in uns" aus dem Gros ähnlicher Genreproduktionen heraussticht. Zugleich symbolisiert diese kleine widerborstige Szene eine Qualitätsoffensive in der Sonntags-Primetime des ZDF. Früher, da tuckerte hier "Das Traumschiff" ins Glück, und wenn da jemand auf Hawaii einen Blumenkranz um den Hals gehängt bekommen hat, dann jubilierte er gefälligst. Früher, da fuhren die großen Schicksalsschläge auf die Figuren in den Rosamunde-Pilcher-Filmen nieder, in denen junge Witwen und traurige Grafen waidwund von den Klippen Cornwalls ins aufgewühlte Meer starrten.

Südseeglück, Meeresrauschen und Schicksalsschläge gibt es auch weiterhin in der Sonntags-Primetime, aber die Erzähltechniken haben sich verfeinert. Für die deutsche Fernsehkritik ist der Sendeplatz ja ein weißer Fleck. Oder auch ein rotes Tuch, wie man will. Wer gibt sich noch die Mühe, die Filme zu sichten, nach all dem Müll, den man dort jahrelang unter dem Motto "Herzkino" vorgesetzt bekommen hat. Tränendrücker, Weepies, Schmierentheater. Alles Pilcher, oder was?

Jenseits der Zwangsbeglückung

Eben nicht. Oder nicht mehr. Oder zumindest nicht mehr ausschließlich. Inzwischen laufen in der "Herzkino"-Reihe auch Filme, die bei allem massiven Meeresrauschen Raum für Zwischentöne lassen. Auch hat sich das Figurenpersonal verändert, das Familienbild von anno dazumal wurde aufgebrochen. Wo die Handlung früher auf die immer gleiche Mama-Papa-Kind-Zwangsbeglückung hinauslief, existieren jetzt die unterschiedlichsten sozialen Konstellationen: glücklich Geschiedene und fröhlich zusammengewürfelte Patchwork-Clans, alleinerziehende Väter und selbstbewusste Karrieremütter. Das Melodram erwächst hier oft aus modernen Lebenszusammenhängen, es geht auch mal um Jobverlust, Burnout und Selbstoptimierungswahn. Der ZDF-Sonntag ist in der Gegenwart angekommen.

Innerhalb dieser Berieselungszone birgt das neue Konzept durchaus Risiken. Der gesellschaftliche Spiegel im deutschen Fernsehen? Das ist ja wohl der zeitgleich in der ARD laufende "Tatort". Doch unter der Ägide der Fernsehspielchefin Heike Hempel, die schon den extrem schnell geschnittenen ersten Teil des Weltkriegsepos "Unsere Mütter, unsere Väter" auf den Sonntagabend programmierte, gewinnt auch das Zweite an diesem Tag in der Primetime an Relevanz. Und die Zuschauerzahlen bleiben stabil - trotz über die Jahre stetig anziehender "Tatort"-Quoten bei der Konkurrenz.

Was natürlich auch an den hohen Schauwerten liegt. Das Requiem "Das Paradies in uns", das an diesem Sonntag läuft, fährt mit aufwühlenden Impressionen aus der hawaiischen Hauptinsel Maui auf. Am Anfang gibt es einige exzellente Surfszenen, später verliert sich die Mutter immer wieder im Blick auf das Meer, das ihren Sohn verschluckt hat. Regie führte Judith Kennel, die schon die ZDF-Krimireihe "Unter anderen Umständen" verantwortete, am Buch schrieb Christoph Silber, der einige der besten Hamburger "Tatorte" miterdacht hat. Die beiden nehmen das Genre des Melodrams ernst, suchen für den schier unlösbar erscheinenden inneren Konflikt bildliche Entsprechungen. Doch trotz der für das Genre obligatorischen Hochglanzbilder ist die Inszenierung rissig.

Der Liebesakt als Rache am Tod

Damit kein Missverständnis aufkommt: "Das Paradies in uns" ist kein Autorenkino, kein verstörender Trip in seelische Abgründe. Der Film gehorcht der Abfolge Schicksalsschlag-Trauer-Wiedererweckung, aber innerhalb dieses Rahmens gibt es einige ungewohnt freisinnige Momente. Etwa wenn die trauernde Mutter in ihrem Schmerz einen One-Night-Stand mit einem alten Freund hat - ohne dass das zu schwierigen Beziehungsproblemen mit dem Mann führt.

Trauer braucht ein Ventil, der Liebesakt wird zur Rache am Tod. Fast fühlt man sich an die Antoine-Doinel-Filme von François Truffaut erinnert, in denen der Verlust einer geliebten Person unverzüglich mit trotzigem Beischlaf gekontert wird.

So wird "Das Paradies in uns" zu einem Lichtblick innerhalb der "Herzkino"-Reihe. In den nächsten Wochen sind weitere Filme zu sehen, in denen moderne Inhalte in die alte Melodramformel geschmuggelt wurden. Im November aber, das soll hier nicht unerwähnt bleiben, läuft dann erst mal eine weitere Rosamunde-Pilcher-Verfilmung: "Alte Herzen rosten nicht", gedreht wurde in Cornwall, die Hauptrollen spielen Ilja Richter und Ursula Monn.

Sagen wir mal so: Es ist noch ein weiter Weg, bis das ZDF mit seinen Melodramen wirklich im Paradies angekommen ist.


"Das Paradies in uns", Sonntag, 20.15 Uhr, ZDF

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