
"Unsere Mütter, unsere Väter": In den Ruinen der Menschlichkeit
ZDF-Weltkriegsepos Glaube, Liebe, Hitler
Die Frage mit der Kollektivschuld im "Dritten Reich" ist weitgehend geklärt, die der individuellen weitgehend ungeklärt. Wer hat mit seinen Eltern, Großeltern, Urgroßeltern je das Gespräch geführt, in dem offen über das punktuelle moralische Versagen der Alten gesprochen wurde? Die Geschichte des "Dritten Reichs": durchleuchtet bis zu Hitlers Hund. Die eigene Familiengeschichte: ein tiefer schwarzer Krater.
Die Scham lässt die Alten schweigen, deren Lebenslügen verbittern die Jungen. Wie wurden Mama und Papa, Oma und Opa Teil eines verbrecherischen Systems? Und wurden sie es aus Verblendung, aus Verführung, aus schierer Verzweiflung? Solche Fragen hat man nie gestellt, und wenn doch, dann hat man keine Antwort darauf bekommen: Hast du einen Menschen erschossen? Hast du einen Freund verraten? Hast du Sex mit einem Nazi-Bonzen gehabt? Und hat dir dieser Sex Spaß gemacht?
Der Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", der ab Sonntag im ZDF ausgestrahlt wird, geht nun detailliert solchen Fragen nach, die in keinem Geschichtsbuch stehen und die doch notwendig sind, um den Nationalsozialismus in seiner ganzen Wirkungsmacht zu verstehen. In dem Weltkriegsepos, das eine neue Art von Zeitgeschichtsdrama im deutschen Fernehen etabliert, ist Faschismus ein System, das sich über alle Lebensbereiche erstreckt: über die Freundschaften, die Liebe, die Sexualität.
Mit Judenhassern gegen Nazi-Schweine
Erzählt wird aus der Perspektive von fünf 20-Jährigen, die sich am Anfang nicht wesentlich von heutigen 20-Jährigen unterscheiden: Man träumt von Karrieren und Abenteuern, man glaubt an die ewige Freundschaft und lacht über die Verbote, die einem irgendwelche Nazi-Spießer machen wollen. Swing darf nicht gehört werden? Gehen wir eben in den Keller und drehen dort das Grammofon umso lauter auf. Das Verbot, so funktionierte Jugendkultur schon damals, gibt dem Sound nur die richtige Würze. Es ist das Jahr 1941, das "Dritte Reich" beginnt seinen Feldzug gegen Russland. Kein Grund für die fünf Freunde, ihren Übermut und ihren Lebensglauben zu verlieren.
Ein paar Monate später ist alles anders. Der Literaturfreund Friedhelm (Tom Schilling), der Krieg am Anfang als Zeitverschwendung empfindet, hat sich in den Sümpfen Russlands in eine Tötungsmaschine verwandelt. Die Krankenschwester Charlotte (Miriam Stein) hat im Feldlazarett eine jüdische Frau an die SS verraten. Wilhelm (Volker Bruch), der idealistische Wehrmachtssoldat, hat einen russischen Kriegsgefangenen per Genickschuss hingerichtet. Und Gelegenheitssängerin Greta (Katharina Schüttler) hat sich von einem Gestapo-Mann vögeln lassen. Zum einen, um ihren jüdischen Freund zu retten. Zum anderen, um ihre Karriere im NS-Unterhaltungsapparat voranzutreiben. Passte beides irgendwie zusammen. Seit Fassbinder wurde nicht mehr so furios und doppelbödig über die Verführungskraft des Nationalsozialismus berichtet.
Die Grenzen zwischen Aufbegehren und Mitläufertum, zwischen Überlebenskunst und Täterschaft sind in "Unsere Mütter, unsere Väter" fließend. Moralische Überlegenheit? Findet sich bei keinem der Charaktere. Nur der jüdische Schneider Viktor (Ludwig Trepte), für den sich Sängerin Greta ohne sein Wissen prostituiert, ist eindeutig Opfer. Aber auch er gerät in einen Strudel der Selbstverleugnung. Nachdem er während der Deportation geflohen ist, findet er Unterschlupf bei polnischen Partisanen - doch auch die sind glühende Antisemiten. So kämpft Viktor mit den Polen gegen die Nazis, darf sich aber nicht als Jude zu erkennen geben.
Wie in "Unsere Mütter, unsere Väter" (Regie: Philipp Kadelbach, Buch: Stefan Kolditz) fünf Lebensläufe nebeneinander gesetzt und in ihrer ganzen Ambivalenz ausgeleuchtet werden, das hat man im deutschen Fernsehen so noch nicht gesehen. Gerade der erste Teil erzählt nach Vorbild von US-Serien in schneller Taktung von einem Nebeneinander von Freundschaft, Verrat und Kriegsgräueln. Und das ausgerechnet an einem Sonntagabend, wo sonst in entschleunigten Rührstücken schöne Menschen in schönen Landschaften rumstehen. Respekt ans ZDF für dieses Programmier-Bravourstück. Parallel zum Film wurde ein Motion Comic entwickelt , ebenfalls von Drehbuchautor Kolditz verfasst.
Fast zehn Jahre saß Teamworx-Produzent Nico Hofmann an dem Projekt, inspiriert von der Geschichte seiner Eltern, angestachelt von Steven Spielbergs 2001 produzierter Weltkriegsserie "Band of Brothers". 14 Millionen Euro kostete das Projekt. Rückblickend wirken all die Teamworx-Eventmovies zur deutschen Geschichte wie Fingerübungen für dieses Mammutwerk: Wo Hofmann-Zweiteiler wie "Die Luftbrücke" oder "Die Flucht" in ihrer Annäherung an die sogenannten Menschen hinter der Geschichte oft latent relativistisch waren, da gelingt es in "Unsere Mütter, unsere Väter", ganz nah an die Charaktere zu gehen - und gerade aus dieser Empathie heraus ihr Schuldigwerden nachzuzeichnen.
Wer hätte gedacht, dass diese Forderung hier einmal stehen würde: bitte mehr von solchen Weltkriegs-Eventmovies.
"Unsere Mütter, unsere Väter", Sonntag, Montag und Mittwoch, jeweils 20.15 Uhr, ZDF