Zuwanderungs-Talk bei Illner Schlichtweg schamlos

Bayerns Innenminister Herrmann (CSU): Populistische Parolen
Foto: ZDFDebatten über Zuwanderung sind hierzulande selten erbaulich. Schnell ist Populismus im Spiel - zumal dann, wenn die CSU die Sache angezettelt hat.
Die Partei ist in Wahlkampflaune - in Kommunen und über das EU-Parlament wird demnächst abgestimmt - und lädt die politische Stimmung mit allerlei unschönen Stereotypen auf von Stütze-Abzockern und Kriminellen, faulen Armutsflüchtlingen aus Bulgarien und Rumänien, speziell Sinti- und Roma.
Es wird auf die böse EU-Kommission gewettert, die irgendwelche Leitfäden formuliert, für deren Folgen die armen Deutschen zahlen sollen, obwohl sie doch nicht das "Sozialamt Europas" sind, wie es der Innenminister des Südstaats, Joachim Herrmann, jetzt bei Maybrit Illner ausdrückte.
Die Moderatorin blieb nicht unbeeindruckt, und so hieß der Titel ihrer Sendung: "Armut auf Wanderschaft - wie viel Freizügigkeit können wir uns leisten?" Als sei Freizügigkeit irgendein heikler Luxus und nicht ein essentieller Wert des neuen, freien Europas.
Zuwanderer durch Hungerlöhne ausgebeutet
Und da das Thema nicht einmal für einen richtig handfesten, ersten Krach in der Großen Koalition zu taugen scheint - immerhin soll eine Staatssekretärsrunde über Maßnahmen gegen möglichen Missbrauch von Sozialleistungen beraten -, durfte man schon Zweifel spüren, ob in dieser Talkshow etwas Erträgliches herauskommen würde.
Erstaunlicherweise war das der Fall. Denn erstens saß da auch Grünen-Chef Cem Özdemir, dessen Parteivorstand sich unmissverständlich gegen europafeindliche Stimmungsmache und Diskriminierung positioniert hat und für den die bayerische Parole "Wer betrügt, der fliegt" schlichtweg "schamlos" ist. Zweitens und vor allem aber sah sich Wahlkämpfer Herrmann einem Widerpart gegenüber, den er, der Law-and-Order-Mann, vermutlich eher an seiner Seite gewünscht hätte.
Denn Rainer Wendt, der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, bot ihm besonders vehement Paroli, sprach von einer "skurrilen Debatte" angesichts der Tatsache, dass die Politik die tatsächlich existierenden Probleme seit Jahren kenne, aber nichts tue, und warf dann die sehr berechtigte Frage auf, wie es sich denn eigentlich mit jenen womöglich schlimmeren Betrügern verhalte, die die Armutseinwanderer durch Unterbringung in Schrottimmobilien und Hungerlöhne ausbeuteten. Diese dubiosen Unternehmer und Subunternehmer, die die Sozialsysteme durch kalkulierte Aufstockung missbrauchten, flögen zwar, "aber höchstens in Urlaub".
Hart an der Grenze
Und der Minister solle doch bitte einmal sagen, wie er sich die Rückführung betrügerischer Einwanderer denn praktisch vorstelle. "Sollen wir die mit dem Bus über die Grenze bringen? Dann sind sie in ein paar Stunden wieder da." Ohnehin gebe es ein massives Vollzugsdefizit aufgrund des Personalabbaus. Herr Herrmann quittierte dies mit einem von etlichen "Ja, aber"-Sätzen, die auch schon mal zum Inhalt hatten, dass in Bayern sowieso alles besser sei als beispielsweise in NRW.
Von dort, genauer aus Duisburg, stammt nicht nur Herr Wendt, sondern auch Sabine Keßler. Sie berichtete über die Veränderungen des Alltags in ihrer Straße durch die Anwesenheit von Sinti und Roma. Das tat sie sehr konkret und so anschaulich, dass es hart an einer gewissen Grenze war, aber doch immer noch Gutwilligkeit den Grundton vorgab, auch wenn die Moderatorin sich zu der Frage bemüßigt fühlte, ob es schon rassistisch sei, manche Dinge deutlich zu benennen.
Es war gut, dass auch eine sehr nüchterne Praktikerin zugegen war in Gestalt von Franziska Giffey, sozialdemokratische Stadträtin im notorischen Problembezirk Berlin-Neukölln. Weit entfernt von jeglicher Sozialromantik warb sie dafür, sich mit allen Mitteln um Integration und Bildung gerade der Schwächsten, der Kinder, einzusetzen. Aber es sei nun mal "eine Wanderung von prekären in prekäre Verhältnisse". Und die Kommunen stießen dabei an das Limit dessen, was finanzierbar ist.
Die gut Ausgebildeten sind sogar in Bayern willkommen
Und dann wieder war man, so als brauche man das zur eigenen Beschwichtigung, bei den ganz anderen Einwanderern, den gut Ausgebildeten, den Ärzten und Technikern, die alles andere im Sinn haben, als mittellos in Hartz IV zu drängen und die selbstverständlich auch in Bayern sehr willkommen sind, wie sich der Minister zu betonen beeilte, weil Deutschland ja schließlich zu überaltern drohe und zahlende Zuwanderer für seine Sozialsysteme brauche.
Dass diese Fachkräfte dann allerdings in ihren Heimatländern fehlen, was die dortigen Schwierigkeiten für die zurückbleibenden Armen noch vergrößert, ist die andere Seite solchen Denkens.
Daran zu erinnern blieb Dzoni Sichelschmidt vorbehalten, der zu den Roma gehört, einst aus dem Kosovo flüchtete und heute Bildungsberater in Hamburg ist. Damit gelangte die Runde letztlich sogar zu einer Art Konsens - nämlich darüber, dass es vorrangig darum gehen muss, mit den zur Verfügung stehenden EU-Mitteln die Lebensverhältnisse in den betreffenden Ländern so zu verbessern, dass ein menschenwürdiges Dasein möglich ist - insbesondere für die Sinti und Roma, dieses geschundene, unterdrückte, allenthalben diskriminierte Volk. Es waren teils bittere Worte, die sich die anderen von Dzoni Sichelschmidt anhören mussten.
So wurde denn einiges gerade gerückt in einer Auseinandersetzung, in der es wie fast immer ums Geld geht, aber doch nicht nur, sondern auch um Werte wie Humanität und Moral und die Idee von Europa. Und sie muss geführt werden trotz bayerischer Wahlkämpfe, gerade weil sie sich nicht mit simplen weißblauen Parolen auflösen lässt.