Zweite Staffel von »Der Pass« Opfer des eigenen Erfolgs

Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek in »Der Pass«: Das Böse im Blick
Foto: Hendrik Heiden / SkyEs gibt Serien, die lassen sich unbegrenzt fortsetzen, ohne dass sie dabei Schaden nehmen. Das Element der Wiederholung liegt schließlich in der Natur seriellen Erzählens, warum also sollte man zum Beispiel »Unser Sandmännchen« beenden, das seit 1959 wacker produziert wird und mittlerweile bei über 20.000 Episoden angelangt ist?
Andere Serien haben ein wesentlich kürzeres, dafür umso intensiveres Leben. Die Thriller-Reihe »Der Pass« von Sky etwa hätte nach acht sagenhaft abgründigen Episoden die Stille nach dem Schuss verdient gehabt, mit dem sie endete.
Aber die Mechanismen im Fernsehgeschäft funktionieren anders, es geht um Abo-Zahlen und darum, Zuschauer bei der Stange zu halten. Erfolg kann zum Fluch werden, die Show muss weitergehen. Deshalb klopft nun die Fortsetzung an wie ein ungebetener Gast und verwässert einen edlen Stoff zu bräsigem Einheitsbrei.

Dominic Marcus Singer in »Der Pass«: Bilder von berückender Schönheit und großer Beklemmung
Foto: Hendrik Heiden / SkyNicht, dass die erste Staffel aus sich heraus besonders originell gewesen wäre. Im Gegenteil, als sie vor drei Jahren startete, schien eher Fernsehroutine vorprogrammiert, schließlich handelte es sich um die x-te Neuverfilmung der erfolgreichen dänisch-schwedischen Krimireihe »Die Brücke«. Höchstens die Besetzung mit Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek ließ aufhorchen.
Aber »Der Pass« entpuppte sich als raffinierte »Sieben« -Variante in Serienform, eine nachtschwarze, radikale Thriller-Parabel auf die menschliche Verkommenheit, die es schaffte, über Stunden die Spannung zu halten und noch in den letzten 15 Minuten überraschte und verstörte.
Nun, in der zweiten Staffel, geht wieder ein Serienkiller um im alpinen Grenzgebiet zwischen Deutschland und Österreich. Diesmal meuchelt er ausschließlich Frauen. Und die morbide Atmosphäre des ersten Teils ist gleich wieder präsent in den heruntergedimmten Bildern von gurgelnden Wasserfällen, finsterem Tann und tot glotzenden ausgestopften Hirschköpfen an den Wänden eines kalten Schlosses.
»Der Pass 2« ist kein Komplettreinfall wie die zweiten Staffeln von »Top of the Lake« oder »True Detective«, bekannte Beispiele für gefeierte Serien mit fragwürdiger Fortsetzung. Die ersten beiden Folgen versprechen sogar eine noch radikalere Erzählanlage als die erste Staffel: Nun ist nicht erst nach der dritten, sondern schon nach der ersten Folge klar, wer der Mörder ist.
Die Fabel vom Schiach, einer Sagengestalt, die einsam durch die Wälder streift und hier eine Rolle spielt, sowie das visuelle Tableau öffnen Angsträume, die man lieber nicht betreten möchte. In einer einfachen Totalen von verschneiten Berghängen schwingen Beklemmung, Einsamkeit und Leiderfahrung mit, die weit über die Bilder hinausweisen.
An den Widrigkeiten des Lebens Laborierende
Über Umwege finden die Ermittler Stocker (Jentsch) und Winter (Ofczarek) wieder zusammen, die deutsche Kommissarin traumatisiert von den Erfahrungen aus Staffel Eins, der österreichische Beamte außer Dienst und gehandicapt wegen einer Kugel im Kopf. Zwei an den Widrigkeiten des Lebens Laborierende, von der Angst getrieben, wieder zu spät zu kommen und schuldig am Tod des nächsten Opfers zu werden. Natürlich kommen sie wieder zu spät.
Aber reicht das für weitere acht Folgen und über sechs Stunden Material? Eindeutig nein. Spätestens ab der dritten Episode wird klar, dass die Erzählung auf der Stelle tritt, dass hier lediglich eine existierende Hülle mit Atmosphäre ausgekleistert wird. Allein an der konstruiert wirkenden Tatsache, dass die beiden gezeichneten Hauptfiguren nun schon wieder einem Serienkiller begegnen, trägt Staffel Zwei so schwer, dass sie nie vom Fleck kommt. Zumal sich die Auflösung des Falls diesmal immer spannungsloser hinzieht.

Winter mit Yela Antic (Franziska von Harsdorf)
Foto: Hendrik Heiden / SkyAber der Clou des Vorgängers war ja gerade, dass er die Mörderjagd lediglich als Folie nahm für ein Psychogramm von zwei Polizisten, wie man es in dieser Intensität noch nie im deutschen Fernsehen gesehen hatte. Beide machten auf ihre Art eine ergreifende Entwicklung durch, er vom melancholischen Säufer mit Kontakten zur Unterwelt zum engagierten Ermittler, sie von der engagierten Ermittlerin mit Motivationssprech über eine Reihe von Demütigungen zum Opfer eines mitleidlosen Polizeiapparats und schließlich eines Soziopathen mit Sendungsbewusstsein.
Stocker und Winter waren zwei Figuren mit literarischer Tiefe und emotionaler Authentizität, gespielt von zwei Bühnenschauspielern mit beinahe schmerzhafter Präsenz. Die zweite Staffel macht aus ihnen zwei Figuren eines sich ausdehnenden Serienuniversums, die sich nur noch entwickeln, um dieses Universum in Gang zu halten. Glaubwürdig ist daran nichts mehr, berührend erst recht nicht.
Am Ende deutet sich sogar an, dass es eine dritte Staffel geben könnte, weil Winter sich dringend noch um die Dämonen seiner Kindheit kümmern muss. Ach, man wünschte, er dürfte in die verdiente Frühverrentung gehen.