Sitten Über Bord
Immer mehr alte Leute wollen dereinst nicht auf dem Friedhof liegen, sondern in einem Seemannagrab. Hauptgrund: Sie haben niemand, der die Pflege ihrer letzten Ruhestätte übernimmt.
Andere wollen ihren Hinterbliebenen die Verwaltung und die Gebühren für einen Friedhofsplatz ersparen. Aber auch überzeugte Wasserratten, religiöse Spinner und See-Romantiker zeigen sich interessiert daran, dereinst nach ihrem Ableben über Bord zu gehen.
Bislang ließ das »Feuerbestattungsgesetz« von 1934 derartige Ausnahmen vom »Friedhofszwang« nur bei Berufs-Seefahrern zu.
In Hamburg freilich wird seit einiger Zeit großzügiger verfahren: Auf Antrag eines Angehörigen ist es dort gesetzlich gestattet, »die Versenkung von Aschenurnen auf See« zuzulassen. Voraussetzungen für die Genehmigung, die die zuständige Behörde erteilt:
* Einäscherung der Leiche in einem Hamburger Krematorium;
* Bestätigung einer Reederei, daß die beschwerte Urne von einem dazu befugten Kapitän außerhalb der Drei-Meilen-Zone versenkt wird.
Der Wunsch nach Anonymität, so scheint es, spielt bei dem neuen Hang zu feuchten Funeralien eine weitaus größere Rolle als etwa die angestammte Verbundenheit zur See. »95 Prozent der Anfragen«, so bestätigt Regierungsamtmann Günter Suerbier. »kommen aus dem Binnenland.«
Ein Ehepaar aus Trier begründet beispielsweise seinen Antrag auf ein gemeinsames Seemannsgrab: »Wir mochten unsere Kinder nicht mit der 25jährigen Pflege des Grabes belasten.« Und ein 80jähriger Mann aus Niedersachsen klagt: »Ich habe niemanden, der mir einmal Blumen bringt.«
Ein Altersheim-Insasse aus Iserlohn möchte »aus ethischen und moralischen Gründen« auf hoher See beigesetzt werden, und eine Frau aus Mannheim erkundigt sich nach den Kosten. Denn: »Ich bin bei der AOK.«
Obwohl die Bestattungs-Gesetzgebung den Sonderwünschen nun nicht mehr im Wege steht, wird freilich kaum einer der Antragsteller in einem Seemannsgrab bestattet werden. Es scheitert, scheint es, an der Reederei.
Eine Beisetzung auf See erfolgt nämlich nach einem festen Zeremoniell. Es sieht unter anderem vor, daß volle Fahrt gestoppt, die Flagge auf halbmast gesetzt und die Position der versenkten Urne ins Logbuch eingetragen wird. »Und dazu«, so Gerhard E. Simonsen von der Hapag-Lloyd« »sind wir allenfalls einmal für einen alten Kap-Hornier bereit.«
Im übrigen sind »sich Hamburgs Reeder einig, keine »See-Beerdigungsinstitute« werden zu wollen. Vorerst ist die feine Zunft noch nicht bereit, an diesem Dienst am Nächsten zu verdienen.
Das freilich mag sich ändern. In den USA hat sich das Urnenversenken längst schon zu einem blühenden Erwerbszweig entwickelt (SPIEGEL 4/ 1972). Und Helmut Teschen, Technischer Direktor bei der Oldenburg-Portugiesischen Dampfschiffs-Rhederei, gibt immerhin zu: »Es könnte ein ganz gutes Geschäft werden.«
* Beisetzung von Lady Mountbatten im Ärmelkanal, 25. Februar 1960.