WERBUNG Über Leichen
Manche bleiben gleich wie angenagelt stehen. Andere Passanten treiben erst vorbei und machen dann plötzlich auf den Hacken kehrt -- das kann doch wohl nicht wahr sein: Eine Leiche auf dem Schaufensterboden von Henri Bendel. dem schicksten der New Yorker Bekleidungshäuser, und dahinter. im flatternden Chiffon der Saison, drei andere Schaufensterpuppen, die ihre
Ähnlich Makabres spielt sich zur Zeit in den Schaufenstern anderer feiner New Yorker Modehäuser ab --Studien in schwarzem Humor, der, so das Magazin »New York«, oft genug »auf Kosten eben der Kundinnen geht, die sie anlocken sollen": Stadien einer kosmetischen Operation zum Beispiel von der Haken- zur Stupsnase, präsentiert unter dem Slogan. » Die neuen Formen«, oder: Mannequins, an die Theke einer Bar gelümmelt, in der Damen offensichtlich unter sich bleiben möchten, oder: eine Puppe in kostbarem Kaschmir vor dem Eingang eines vergammelten Stundenhotels.
Aktualitäten: Puppen, in New Yorker Abfall watend, Puppen im Gerichtssaal zu Beginn des Patty-Hearst-Prozesses und -- wohl haarscharf jenseits der Grenze auch des ausgefallenen Geschmacks -- Puppen, mit Bomben ballspielend, einen Tag nach dem Attentat auf den Flughafen La Guardia, bei dem elf Menschen starben.
Die sinistren Schaufenster-Scherze sind die Werke einiger junger Dekorateure, die erkannt hatten, daß die noble Zurückhaltung, die bislang in feinen New Yorker Einkaufsstätten vorherrschender Stil war, die Käuferblicke nicht mehr fesselt. Selbst Gene Moore, seit 20 Jahren Tiffanys Schaufenstergestalter. mußte einräumen, daß es mit der Kunst seiner Zunft »bergab gegangen war, bis diese jungen Leute daherkamen« -- Bob Currie, 27, für Bendel, Candy Pratts, 25, für Bloomingdale"s oder David O'Grady, 32, von der Boutique San Francisco.
Besonders Candy Pratts bekennt sich zu den europäischen Einflüssen von Zeitschriften wie »Vogue« oder »L'Uomo«; mit der »Vogue«-Photographin Deborah Turbeville hat sie auch ihr erstes Horror-Fenster gestaltet: Figuren mit abgeschnittenen Füßen für das Schuhgeschäft Charles Jourdan.
Deborah Turbeville gilt daher auch als Initiatorin des neuen Stils, den sie selbst so erklärt: »Man braucht heutzutage Schocks, um die Leute aufmerksam zu machen, weil sie vor lauter visueller Umweltverschmutzung nichts mehr sehen können.«
Aber sie weiß auch, daß Horror-Effekt sich schnell wieder abnutzen wird. So ahnt sie für die Dior-Kollektion, die sie demnächst in Bloomingdale"s Schaufenstern vorstellen soll, schon wieder den Kurswechsel: Präsentation »ohne alles«, vielleicht sogar- »ganz langweilig«, und das wäre dann schon wieder »der wahre Schock«.
Auch Bendels Bob Currie ist an die Grenzen seiner gestalterischen Möglichkeiten gelangt. Für Jean Muirs düstere Jersey-Kleider wollte er die Puppen in offene Särge packen. Doch Geraldine Stutz. Präsidentin von Bendel. winkte ab: »Nur über meine Leiche.«