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BÜCHER NEU IN DEUTSCHLAND Üppige Kruppe

Apollinarre: »Die elftausend Ruten.« Rogner & Bernhard; 224 Seiten; 18 Mark.
aus DER SPIEGEL 21/1970

Nach der Mutzenbacherischen Sozialpornosophie hat der für antiquarische Lustliteratur zuständige Verlag nun eine weitere anonym verfaßte Literaturlustbarkeit aus dem Giftschrank geholt und als Urheber des vermutlich diskret gemeinten Vergnügens den Frühsurrealisten Guillaume Apollinaire (1880 bis 1918) namhaft gemacht: Unter dem im Original anzüglicheren Titel »Les onze mille Verges« -- verges (Ruten) klingt wie vierges (Jungfrauen) -- treibt der Décadence-Literat alles auf den pornographischen Gipfel, was ihm an nachsadistischer Verderbnis angeboten wird. Und das ist auch so um 1907 eine ganze Menge.

Denn Fürst Vibescu, der unermüdliche Held des Ruten-Reißers, verteilt seinen »rumänischen Samen« im Boudoir so ausgiebig wie im Schlafwagen, im Bordell wie im Kriegerzelt, mit Pariserinnen und Japanerinnen, mit Knaben und Kutschern, sowie -- auf daß es richtig komisch sadistisch sei -- auch mit Babys, Leichen, Hunden und Vampiren, neben denen beispielsweise die »üppige Kruppe« einer »Deutschen aus Braunschweig« geradezu stimulierend wirkt. Am Ende freilich ereilt den Fürsten das verdiente Schicksal: Er wird, mit Ruten, versteht sich, zu Tode geprügelt.

Ob Schlüsselbuch oder Parodie oder beides -- der riskante Surreal-Sex funktioniert bei aller Drastik mit der befremdlichen Wackelbildkomik verregneter Stummfilmstreifen. Späteren surrealistischen Manifestationen voraus, die -- wie bei Andre Breton -- das Blutbad zum Ästhetikum deklarieren, folgt hier der Exitus dem Koitus auf dem Fuße.

Aber von höherer Verulkung, nicht einmal de Sades, kann -- wiewohl beabsichtigt -- kaum die Rede sein. Von Louis Aragons Vorwort abgesehen, ist diese makabre Potenz-Posse literarisch doch einigermaßen anspruchslos.

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