Film über lesbisches Leben in der DDR Eine dramatische Wucht

Szene aus "Uferfrauen": Kein Anspruch auf Vollständigkeit
Foto:Anne Misselwitz / dejavu film
Eine Frau steht am Rostocker Wall und beschreibt, dass dort, in den Parkanlagen am Kröpeliner Tor, zu DDR-Zeiten ein bekannter Schwulentreff gewesen sei, eine Klappe. "Wo haben sich denn die Lesben in Rostock getroffen?", will die Regisseurin aus dem Off wissen. Die Frau muss lachen: "Ja, das hätte ich auch gern gewusst, dann wär' ich schneller mit meinem Coming out fertig gewesen."
Die Szene ist der Auftakt zu "Uferfrauen", einem Dokumentarfilm von Barbara Wallbraun über lesbisches Leben in der DDR. Dieser will das Nirgendwo aus der ersten Szene mit Geschichten füllen, mit Lebensbeschreibungen von sechs Protagonistinnen, von denen die Rostockerin Pat eine ist - der Erzählung geht es um eine Gesamtschau, eine Art kollektive Biografie.
Der Schnitt (Jana Teuchert) verbindet die einzelnen Interviews entlang der Chronologie des Heranwachsens. So erzählt Christiane aus Berlin, wie sie sich als kleinste Schwester von acht Brüdern als Kind die Haare kurz schneiden lässt, um als Junge beim Boxen durchzugehen – und wenig später beim Küssen eines Mädchens.
Dann folgt Pats Erinnerung, in der Schule erkennt sie eine lesbische Deutschlehrerin, ohne einen Begriff von Homosexualität zu haben. Sie sucht mit ihr das Gespräch, um sich aufgehoben und verstanden zu fühlen.
Carola aus Dresden wiederum entflieht der Strenge und Gewalt des Elternhauses frühestmöglich in eine Ausbildung zur Rinderzüchterin. Sie lebt in einem Internat in ländlicher Abgeschiedenheit, raucht nicht, trinkt nicht, wie alle um sie herum, liest Bücher, was keiner tut. Und hört von der "Lesbe vom Nachbardorf", die ein paar Jahre älter ist und ihr Interesse, besser: Begehren weckt.
Bewusst subjektiv
Die Art und Weise, wie diese Geschichten ineinandergreifen, sich unterscheiden, ergänzen, und dabei an der Chronik eines Lebens schreiben, das größer ist als die Biografie einer Person, ist an der Idee einer Oral History geschult: Regisseurin Wallbraun geht es nicht um Statistiken, nicht um mediale Bilder und Spuren davon, wie sich in der DDR Homosexualität gesellschaftlich erzählen ließe. Ihr Film schreibt Geschichte von unten, bewusst subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Das ist die klare und nachvollziehbare Perspektive von "Uferfrauen", die über weite Strecken so gelungen Dichte produziert, dass man sich daraus ableitbare Rimini-Protokoll-Abende vorstellen könnte – etwa unter dem Titel "Der erste Kuss". Was die kollektive Anordnung allerdings einengt, ist logischerweise der geringere Raum, den individuelle Erfahrungen bekommen.
Diese entwickeln aber gerade im Fall von Carola und Elke aus Halle eine unglaubliche Kraft, eine dramatische Wucht, die einen aus dem Knäuel des Kollektiven hinaustreibt an die Enden von sehr einzelnen und dünnen Fäden, an denen das hängt, was wir Leben nennen: Wie Carola später von der Party erzählt, auf der sie die "Lesbe aus dem Nachbardorf" unbedingt verführen will und ihr das schließlich gelingt. Und wie sie nach dem Moment des Glückes im Horror ihres Elternhauses aufwacht, das damit nicht umgehen kann und sie in die Psychiatrie abschieben will.

Szene aus "Uferfrauen": Das Leben in seiner ganzen Fülle
Foto: Julia Hönemann / dejavu filmOder wie eben Elke über das nahe Sterben der großen, kranken Liebe Nanni spricht, von der etwas bleiben soll. Ein Kind, das die Kranke selbst aber nicht kriegen kann, weshalb dann Elke schwanger wird wie in einer Fügung – und der Junge, der nach Nannis Tod auf die Welt kommt, ihr das Fortleben sichert, weil er der jungen Frau noch etwas anderes abverlangt als Trauer, Schmerz und Verzweiflung.
Bei der Geschichte von Elke am Saale-Ufer sind Bilder von Wald und Wasser zu sehen, um die berührende Rede nicht nur über Talking Heads zu illustrieren. An solchen Stellen ist spürbar, was der Film hätte sein können, wenn er sich nicht aufs Kollektive, sondern das Individuelle verlegt hätte.
Trotzdem muss man würdigen, was Barbara Wallbraun aus ihren Gesprächspartnerinnen herausholt. Das vermeintlich Prekäre ist der Klammer im Untertitel des Films anzumerken: "Lesbisches L(i)eben in der DDR". Dass sich nicht recht zwischen "Leben" und "Lieben" entschieden werden kann, hat womöglich auch damit zu tun, dass lesbische Biografien durch die Liebe als allgemeineren Aggregatzustand des Fühlens als anschlussfähiger vermutet werden für ein heterosexuelles Publikum.
Man müsste allerdings mit enormer Ignoranz und Angst geschlagen sein, um in "Uferfrauen" etwas anderes zu sehen als das Leben in seiner ganzen bewegenden Fülle.