Eine Bundesstraße auf dem Weg nach Transkarpatien. Die Straßen sind die Lebensadern des Landes. Hier trifft man sich, hier wird Obst und Gemüse gehandelt, hier wird geredet und gespielt. Jetzt rollen Panzer über diese Lebensadern und Bomben reißen Wunden in den Asphalt.

Eine Bundesstraße auf dem Weg nach Transkarpatien. Die Straßen sind die Lebensadern des Landes. Hier trifft man sich, hier wird Obst und Gemüse gehandelt, hier wird geredet und gespielt. Jetzt rollen Panzer über diese Lebensadern und Bomben reißen Wunden in den Asphalt.

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Ruslan Hrushchak

Ukraine-Bildband So schön war es gerade eben noch

Zehn Jahre hat Ruslan Hrushchak die Ukraine und ihre Menschen fotografiert. In diesen Tagen erscheint sein Bildband. Und nichts ist mehr, wie es war.
Von Frauke Hunfeld

Eigentlich wollte er nur seine große Familie fotografieren, seine Eltern, die Geschwister seiner Eltern, seine Cousins, Tanten und Onkel. Ruslan Hrushchak lebt schon so lange in Deutschland, dass er sich gefragt hat: Was werde ich meinen Kindern erzählen können von ihrer Heimat, von ihren Verwandten, von meinen Wurzeln, die ja auch ihre sind? Was kann ich ihnen zeigen, woran werden sie sich erinnern?

Doch dann dehnte er die Reisen aus und entdeckte seine Heimat neu. Die Ukrainer von heute – wer sind sie? Wie leben sie? Der Konflikt um die Ostukraine beschwert das Land nun schon im achten Jahr, aber bisher hatte das Leben noch Platz für kleine Freuden. Sein Bildband »The Road Beyond«  sollte ein Buch des Friedens werden, ein Koffer voller Erinnerungen und auch voller Wehmut. In diesem März erscheint nun Hrushchaks Buch und die Welt ist eine andere. Fassungslos hält er das erste Exemplar in den Händen, und es ist das Dokument einer Nation am Abgrund geworden. Ein Bildband über Menschen, die gerade noch ein ganz normales Leben hatten und nun vor Raketen und Panzern fliehen oder ausharren. Eine Erinnerung an ein Land in Europa, das es so bald nicht mehr geben wird.

Petro, hier in seiner Küche, lebt vom Verkauf antiquarischer Bücher auf dem Markt von Kolomyja

Petro, hier in seiner Küche, lebt vom Verkauf antiquarischer Bücher auf dem Markt von Kolomyja

Foto: Ruslan Hrushchak

Hrushchaks Eltern leben in Drohobytsch, 90 Kilometer von Lwiw entfernt Richtung Karpaten. Seine Mutter hat einen Friseursalon. Sein Vater ist Mechaniker, 69 Jahre alt. Er musste nach dem Unglück in Tschernobyl zum Arbeitsdienst in die verseuchte Region. Er ist der letzte Liquidator von Tschernobyl seines Jahrgangs, der noch am Leben ist. Sein Bruder lebt mit Familie in Lwiw, Freunde und Verwandte sind übers Land verteilt. Sie alle wissen nicht, wie ihr Leben in einigen Wochen oder Monaten sein wird. Und ob es überhaupt noch sein wird.

Fischer auf dem Fluss Dnipro in Kiew. Fischen ist Volkssport in der Ukraine, eine Mischung aus Meditation und Geselligkeit.

Fischer auf dem Fluss Dnipro in Kiew. Fischen ist Volkssport in der Ukraine, eine Mischung aus Meditation und Geselligkeit.

Foto: Ruslan Hrushchak

Begleitet werden Hrushchaks Bilder von einem Gedichtzyklus der preisgekrönten Schriftstellerin und Filmemacherin Iryna Tsylik. Sie erzählt auf ihre Weise von ihrem verwundeten Land, in dem trotz aller Verluste die eigenen Erfahrungen und die Erinnerungen vergangener Generationen immer bei ihr sind.

Iryna Tsylik harrt in diesen Tagen in Kiew aus. Ihr elfjähriger Sohn ist bei ihr, ihr Mann hat sich der Armee angeschlossen, um sein Land zu verteidigen. Tsylik will die Ukraine nicht verlassen. Ruslan Hrushchak hält täglich Kontakt zu seinen Eltern, Geschwistern und Freunden. Kurz hat er überlegt, ob er sich ebenfalls freiwillig zu den Waffen meldet. Aber er hat vier Kinder und er hofft, von Deutschland aus durch seine Arbeit nützlicher zu sein.

Andrij und Ivan

Andrij und Ivan

Foto: Ruslan Hrushchak

Andrij und Ivan treffen sich stets zur Weihnachtszeit, um gemeinsam Lieder zu singen. Früher waren sie zusammen in einem Chor.

St.-Georgs-Kirche

St.-Georgs-Kirche

Foto: Ruslan Hrushchak

Die hölzerne St.-Georgs-Kirche in Drohobytsch wurde im 16. Jahrhundert erbaut. Seit 2013 ist sie Weltkulturerbe. Ob sie den Krieg übersteht, ist ungewiss.

Basilianerkloster

Basilianerkloster

Foto: Ruslan Hrushchak

Ein kranker Mann im Basilianerkloster der ukrainisch-griechisch-orthodoxen Kirche in Krechiv bittet um heiligen Beistand. Die Basilianergemeinschaft geht auf den griechischen Mönch Basilius zurück, der um 330 geboren wurde und zu den bedeutendsten Figuren des frühen Christentums gehörte.

Ganusia und Nastia

Ganusia und Nastia

Foto: Ruslan Hrushchak

Die Schwestern Ganusia und Nastia in den Karpaten. Obwohl sie eigentlich nicht sehr weit voneinander entfernt wohnen, ist der Weg beschwerlich und die beiden Frauen können sich nur sehen, wenn jemand die waghalsige Fahrt mit dem Auto hoch in die Berge auf sich nimmt. Manchmal passiert das monatelang nicht.

Zug nach Lwiw

Zug nach Lwiw

Foto: Ruslan Hrushchak

Früh am Morgen im Zug zur Arbeit in die Großstadt Lwiw. Die Stadt, die auf Deutsch Lemberg genannt wird, hat etwa 730.000 Einwohner und ist das wichtigste Zentrum der Westukraine. Die Spuren ihrer polnischen und österreichisch-ungarischen Vergangenheit sind noch überall in der Stadt zu finden.

Kola

Kola

Foto: Ruslan Hrushchak

Kola ist stolz auf sein Lebensprojekt: In der Gegend von Wolhynien hat sein Sohn mit dem Bau des eigenen Hauses begonnen. Den Dachstuhl haben sie eigenhändig errichtet.

Das Buch

The Road Beyond, Fotografien von Ruslan Hrushchak mit Gedichten von Iryna Tsilyk, Hardcover mit Prägung, 225 x 230 mm, 120 Seiten + 20 Seiten auf Pergamentpapier, Kominek Books, ISBN 978-3-9819824-9-7, € 50,00

Von jedem verkauften Buch gehen 10 Euro an die Not- und Katastrophenhilfe in der Ukraine.


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