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SCHALLPLATTEN NEU IN DEUTSCHLAND Umzingeltes Opfer

Johann Sebastian Bach: »Ein Musikalisches Opfer«; Concentus Musicus Wien; Leitung: Nikolaus Harnoncourt. Telefunken SAWT 9565 -- B; 21 Mark.
aus DER SPIEGEL 53/1970

Bogengeräusche auf Tiroler Geigen das 17. Jahrhunderts, Atemholen vor den vibrierenden Tönen einer spätbarocken Traversflöte und die klirrende Mechanik eines altniederländischen Cembalos werden von der Stereo-Perspektive derart verstärkt, daß der Hörer den Eindruck gewinnt, er sitze zwischen den Instrumenten -- ein von Musik umzingeltes Opfer.

Dieses Verfahren praktiziert das unwienerischste Wiener Ensemble, der »Concentus Musicus« des auf historische Treue versessenen Nikolaus Harnoncourt.

In Begleittexten rechtfertigt Harnoncourt sein Instrumentarium »als durch Bach nahegelegt«, der 1747 sein »Musikalisches Opfer«, eine Huldigungsgabe an den damals 35jährigen Alten Fritz, streng auf sechs Notenzeilen ohne Besetzungsvorschrift drucken ließ. Friedrich der Große, den homophonen Artigkeiten des frühen Rokoko mehr zugetan als der altväterlichen Polyphonie Bachs, hatte den Thomaskantor durch ein Fugenthema herausgefordert, das sich fugierter Verarbeitung widersetzt.

Doch Bach beschämte den Auftraggeber durch sechsstimmige Bewältigung der vertrackten Aufgabe und rächte sich obendrein an dem flötespielenden Monarchen: Er setzte die für Flöte gedachten Kontrapunkte so schwierig, daß sie ein Amateur kaum spielen konnte. So erweist sich Bachs Werk als schöpferisches Hin und Her subtiler Bosheiten zwischen Musikern, zwischen Fallensteller und Opfer. So traf auf den König der Titel des Stückes zu, den Harnoncourt nun nach dem Original der Widmungsvorrede zitiert: »Ein musikalisches Opfer«.

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