Unbedarft eilfertig
Reinhold Vöth, Intendant des Bayerischen Rundfunks und Verhandlungsführer der ARD beim permanenten Poker um die Senderechte im Sport, stellte höchste Eilbedürftigkeit fest. Exakt eine halbe Stunde ließ er in einem Telephonrundruf den Kollegen der Arbeitsgemeinschaft Zeit, um eine folgenschwere Entscheidung zu treffen.
Das Ultimatum - »bis 18 Uhr« - hatte ihm ein Mann gesetzt, der die harten Schnitte liebt. Tennismanager Ion Tiriac verlangte von dem Bayern einen langfristigen Übertragungsvertrag, ansonsten werde er »sofort zu Sat 1 gehen«. Die Intendanten stöhnten und ergaben sich: Stolze 36,2 Millionen Mark erhält der Deutsche Tennis Bund, der die Verhandlungen dem gewieften Rumänen übertragen hatte, bis 1994 für die Senderechte der Turniere in Hamburg und Berlin sowie der Daviscup-Heimspiele.
»Günstige Verträge«, beruhigte sich WDR-Chef Friedrich Nowottny, seien ja ohnehin nicht mehr zu haben. Wo sich die Öffentlich-Rechtlichen bisher zierten, langen sie jetzt plötzlich bedenkenlos hin, um sich von den privaten Sendern nicht länger »abhängen zu lassen« (Nowottny).
Mal legen ARD und ZDF freiwillig und vor Vertragsablauf drauf, wie vor kurzem zwei Millionen Mark beim World Team Cup in Düsseldorf. Mal forcieren sie als Hauptzahlmeister der Europäischen Rundfunk-Union (EBU) den langfristigen Einkauf internationaler Rechte, koste es, was es wolle.
So kletterte der EBU-Preis für die Olympischen Winterspiele von 18 Millionen Dollar in Albertville 1992 auf 25 Millionen 1994 in Lillehammer. Für die Sommerspiele in Barcelona werden 66 Millionen Dollar hingeblättert - Seoul 1988 war um mehr als die Hälfte billiger. Auch die Fußball-Europameisterschaften 1992 und 1996 (für 55 Millionen Schweizer Franken) sowie alle Europacup-Finals der Landesmeister und Pokalsieger bis 1996 (für 31 Millionen) gehören inzwischen den europäischen Staatssendern.
Unmittelbar nach dem flotten Tennisdeal waren noch alle zufrieden gewesen. ARD-Sportkoordinator Fritz Klein durfte wieder den platten Werbespruch vom umschmeichelten TV-Zuschauer verkünden, der in seinem Hause den »Sitz in der ersten Reihe« habe. Tiriac registrierte erfreut den Abschluß mit 20 Prozent Provision, und die Tennisfunktionäre bekundeten, selbst nach Abzug der sieben Millionen für den Verhandlungsführer bliebe dem DTB »mehr, als wir uns erhofft haben«.
Jetzt aber breitet sich in den Funkhäusern Ärger aus. Die Praktiker in den Sportredaktionen, die bei der Entscheidung nicht gefragt worden waren, machen hinter vorgehaltener Hand ("Schwachsinn") Stimmung gegen Vöth und seinen Adlatus Klein. Weil der Globalvertrag des deutschen Sports mit ARD und ZDF ohnehin noch bis Ende 1990 laufe, argumentieren sie, müßten die 36 Millionen nicht für sechs, sondern nur für vier Jahre berappt werden - was entschieden zu viel sei.
Vor allem aber hätten die unbedarft eilfertigen Theoretiker auf den Chefsesseln durchaus denkbare Widrigkeiten nicht kalkuliert. Der Tennis-Boom stehe und falle nun mal mit Boris Becker. »Was machen wir«, fragt ein Ressortleiter besorgt, »wenn der in zwei Jahren wie Björn Borg an eine Enddreißigerin aus Italien gerät und aufhört?«
Abschalten bei Langeweile ist dann nicht mehr möglich. Denn der clevere Tiriac verkaufte nicht nur die Rechte, er nötigte Vöth auch eine Sendeverpflichtung ab. Egal wer spielt, alles geht über den Bildschirm, und diese Regelung macht für den Tennismanager durchaus Sinn: Von Stund an kann er seine Werbeflächen mit einer preissteigernden Übertragungsgarantie anbieten.
Und dies um so aussichtsreicher, als die Sponsoren nun wieder zunehmend Wert auf eine bundesweite Ausstrahlung legen. So erhöhte der Schweizer Bandenwerber Cesar W. Lüthi seine Zahlungen an den Deutschen Fußball-Bund pro Länderspiel von 1,05 auf 1,3 Millionen Mark nur mit der Maßgabe, daß ARD oder ZDF live senden.
Die einstigen Skrupel, derart zum Handlanger der werbenden Industrie zu werden, sind bei den Öffentlich-Rechtlichen längst passe. Zuversichtlich wittern sie die Chance, die zunächst einmal weit vorgepreschten Privaten doch noch aushebeln zu können. Zum großen Test dafür haben sie Wimbledon erkoren.
Der Kauf der Senderechte für das englische Tennismekka war nach dem Erwerb der Bundesliga-Lizenzen im vergangenen Jahr der zweite große Coup der Bertelsmann-Tochter Ufa gewesen. Für die Europarechte bis 1993 (mit Ausnahme Großbritanniens) hatte der Konzern über 50 Millionen Mark hingelegt. In der Bundesrepublik sollte vorrangig RTL plus übertragen, ARD und ZDF waren tägliche Zusammenfassungen nach 23 Uhr angeboten worden.
Doch anders noch als bei den Australian Open im Januar oder dem Daviscupmatch der Deutschen in Prag, wo die Privaten gleichfalls die TV-Rechte besaßen, werden ARD und ZDF diesmal auf späte Schnipsel verzichten. Über Wimbledon, so eine Anweisung der Intendanten, darf in den öffentlichrechtlichen Sportsendungen - Rundfunk inklusive - lediglich »in Form einer reinen Ergebnisberichterstattung« informiert werden.
Der Hintergedanke dabei ist offenkundig: Die Boykotteure hoffen auf frustrierte Sponsoren, deren Markenzeichen so plötzlich nicht mehr bundesweit zu sehen sind. Die würden dann den Sportveranstaltern schon klarmachen, was der Preis für die Rechtevergabe an die kleineren Privaten mit sich bringt: weniger Reichweite gleich weniger Werbeeinnahmen.
Zusätzlich suchten ARD und ZDF auch die EBU zu pressen, um den Blackout europaweit auf allen öffentlichrechtlichen Kanälen sicherzustellen - allerdings vergebens. Den Staatssendern von Österreich, Portugal, Spanien, Irland und Jugoslawien ist der weiße Sport aus Wimbledon augenscheinlich heilig, sie kauften bei der Ufa Rechte ein.
Als letztes Druckmittel schließlich setzten die bundesdeutschen Frondeure ihre eigenen Rechte »intensiv und expansiv« (Klein) auf dem Bildschirm ein. So berichteten ARD und ZDF in den letzten fünf Wochen mehr als 100 Stunden live über Boris, Steffi & Co. Wenn in drei Wochen in Wimbledon der erste Aufschlag für RTL erfolgt, soll der Zuschauer daheim hinreichend tennismüde gesendet sein.
Die öffentlich-rechtliche Einschüchterung ist genau getimt. Immerhin wird in diesen Wochen wieder einmal um die Fußballrechte gestritten - eine Sportart, die dem Krisengerede zum Trotz weiterhin der Deutschen liebste TV-Unterhaltung darstellt. In der Hitliste 1988 jedenfalls rangieren unter den Top 100 gleich 19 Fußballspiele.
Eigentlich sollte der Bundesliga-Fußball schon im Herbst letzten Jahres auf die Sender verteilt werden. Doch die Gespräche schleppen sich zäh dahin. Entrüstet wirft so etwa der ZDF-Intendant Dieter Stolte den Ufa-Emissären vor, noch nie »so link« behandelt worden zu sein. Die Bertelsmänner wiederum attackieren ARD und ZDF, sie spielten auf Zeit und setzten falsche Gagenforderungen in Umlauf.
Ungeachtet solchen Hickhacks zeichnet sich für die neue Bundesligasaison eine Übereinkunft ab, die die Öffentlich-Rechtlichen etwa 28 Millionen und RTL rund 15 Millionen Mark kosten würde. Danach sollen
die Freitagsspiele (in der Regel zwei) zuerst von RTL plus und später vom ZDF übertragen werden,
von den sieben Begegnungen des Samstags vier zuerst in der ARD, drei in RTL zu sehen sein,
alle Paarungen schließlich am Abend noch einmal im »Aktuellen Sport-Studio« des ZDF erscheinen.
Was auf den ersten Blick durchaus so aussieht, als stünde Planung dahinter, ist in Wahrheit ein Flop. Denn ARD und RTL möchten sich nicht davon abbringen lassen, samstags um 18.30 Uhr und somit zeitgleich auf Sendung zu gehen. Hinzu kommt, daß im RTL-»Anpfiff« nach dem Ende der »Sportschau« Bilder auch von den ARD-Spielen zu sehen sind. Im Gegenzug verlangt die ARD, am Ende der Sportschau, die bis 19.15 Uhr verlängert werden soll, auch das RTL-Topspiel noch zeigen zu dürfen. Da muß der Fußballfan daheim, will er nichts verpassen, mit der Fernbedienung so virtuos zu Gange sein, wie kaum ein deutscher Profi es derzeit mit dem Ball vermag.
Für den Sportschau-Chef der ARD, Heribert Faßbender, ist das denn auch »eine Lösung, die am Ende nur der Videorecorder-Industrie nützt«.