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»UND BEDECKTE SICH MIT GEDÄRMEN«

aus DER SPIEGEL 25/1965

Hermann Nitsch, 38, geboren in Wien, verficht seit acht Jahren seine Idee des »O. M. Theaters« (Orgienmysterientheater). Es handelt sich dabei um Veranstaltungen, die in der Bundesrepublik und in Amerika unter der Schlagwort »Happening« bekanntgeworden sind: um planmäßig aneinandergereihte Schockler-Handlungen. In Wien hatten Nitsch und sein Kollege Otto Mühl Pech: Eine ihrer »O. M. Theater«-Vorstellungen wurde von der Wiener Polizei beendet. Nitsch wurde zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt. Der Polizeibericht meldete:

Um 18.30 Uhr stellte sich Otto Mühl auf den Gehsteig der Perinetgasse seines Kellerlokales, vor welchem ein alter Spiegel angebracht war, und warf zwei Ziegelstücke gegen den Spiegel. Der Spiegel zerbrach, und der Eingang zum Kellerlokal wurde frei ...

In dem Keller, an dessen Seitenwänden verrostete Eisenteile, Draht und Spiegelbruchstücke lagen, war die westlich gelegene Stirnseite mit weißer Leinwand ausgekleidet. Dort befand sich auch eine mit einem weißen Stoff überzogene Liegestätte, und davor hing an einem Strick und einem Fleischerhaken vom Plafond ein geschlachtetes Lamm. Neben der Liegestätte standen mehrere Kübel, in denen sich die Eingeweide eines Tieres, vermutlich eines geschlachteten Lammes, befanden.

Nitsch, der zu Beginn der Veranstaltung auf der Liegestätte lag und mit einem weißen Tuch bedeckt war, stand auf, nahm die Eingeweide aus einem Kübel und warf sie auf ein Tuch, welches unterhalb des aufgehängten Lammes ausgebreitet war. Er zerriß mit seinen Händen diese und verwendete auch eine Schere zur Zerkleinerung der Gedärme. Dann zerkaute er eine weiße Blume, vermutlich eine Teerose, und spie die zerkauten Teile auf die Eingeweide.

Dann ergriff Nitsch einen Mauerhaken und hieb mit diesem auf das abgehäutete Lamm ein, wodurch Fleischfetzen und Blut sich vom Tierkörper ablösten und gegen die Leinwandauskleidung spritzten ...

Das Lamm fiel in die Zuschauermenge, welche auf diesen Vorfall mit Gelächter reagierte. Dann legte sich Nitsch auf das Bett und bedeckte sich mit zerkleinerten Gedärmen. Die Kleidung des Nitsch, welche aus einem weißen Hemd, dunkler Hose und schwarzen Halbschuhen bestand, sowie die Liegestätte und die Auskleidung der Stirnseite des Lokals, wurden während der oben geschilderten Tätigkeit stark mit schleimigen Gedärmen beschmutzt. Nitsch wurde überdies aus einem Kübel mit einer roten, blutähnlichen Flüssigkeit überschüttet.

Schließlich bot Nitsch, sowie die Liegestätte, sowie die Auskleidung der Stirnseite des Lokales einen derart widerlichen Anblick, der Zuschauer veranlaßte, das Lokal zu verlassen.

Während der Darbietung nahm Nitsch ein Getränk zu sich, wobei es

sich vermutlich um Wein gehandelt hat. Er machte auch einen alkoholisierten Eindruck.

Die Aktionen der beiden Veranstalter hatten, wie ja auch in ihrem Programm angekündigt worden war, einen sinnlich-perversen Einschlag und waren offensichtlich darauf abgestellt, bei den beiden Akteuren nach und nach sinnliche Erregungen durch das Zerfleischen des Tierkörpers, das Spritzen des Blutes, Wühlen in den Gedärmen hervorzurufen.

Die Akteure stießen von Zeit zu Zeit Schreie aus, welche ebenfalls sinnlich wirkten bzw. sinnlich wirken sollten.

Über Auftrag des Herrn Stadthauptmannes wurde um 19 Uhr die Perinetgasse geräumt. Anschließend wurde die Veranstaltung im Lokal, deren Ende für 20 Uhr angekündigt worden war, vorzeitig polizeilich geschlossen und die hausfremden Personen aus dem Lokal gewiesen.

Um 20 Uhr verließen Nitsch und Mühl das Lokal, nachdem sie es versperrt hatten. Hierauf entfernten sich auch die letzten Zuschauer, und um 20.15 Uhr bot die Perinetgasse das normale Straßenbild.

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