Zur Ausgabe
Artikel 66 / 82

UNGLÄUBIGE WELT

aus DER SPIEGEL 21/1970

Wir alle werden unterwandert. Vom Feind. Der uns vernichten will. Gnadenlos. Aber wir sind zu gutgläubig, um diese Gefahr zu durchschauen. Nur einer hat die tödliche Drohung erkannt -- ein dunkelblonder, helläugiger Siegfried namens David Vincent. Er will, wie ein Sprecher im ZDF erläutert, »eine ungläubige Welt davon überzeugen, daß die lautlose Invasion bereits begonnen hat«.

Am letzten Dienstag -- im ZDF nach 21 Uhr -- stand Vincent mit einem Polizisten vor der Midlands-Akademie. Der Leiter der Hochschule, Professor Dr. Reynard, gab sich ahnungslos. »Eine Verschwörung zum Sturz unserer Regierung hier auf unserer Akademie? Das ist doch nicht Ihr Ernst!« Verdächtiges war nicht zu finden. Im ersten Raum Studenten, die studierten, im nächsten eine Chemie-Vorlesung und im dritten ein Tischtennisspiel. Der Polizist, scheinbar umsonst bemüht, ist verärgert. Und David Vincent beteuert verzweifelt: »Sie haben hier alles verändert. Ich schwöre es Ihnen, sie haben alles verändert.«

Das ist Vincents schlimmes Geschick. Keiner glaubt ihm, daß er dem Feind auf der Spur ist. Einem außerirdischen Feind, der nun schon dreimal dienstags für das ZDF vom Planeten Wega

kam. Mit eigenen Augen hatte Vincent tags zuvor gesehen, daß in der Akademie gelehrt wurde, wie man »die Gesellschaftsordnung von innen heraus zerstören« kann (ZDF-Mitteilung). Es ging dort zu wie an vielen Universitäten -- die Wegaleute haben ihre Stützpunkte überall. Im ersten Raum lehrte eine Soziologenstimme, Furcht und Feigheit der Menschen zur unvermeidlichen »Unterwerfung der menschlichen Rasse« zu benutzen. Im zweiten Raum mokierte sich eine Dozentenstimme über die mangelnde Abwehrbereitschaft der Menschheit. die sich -- abstrus! -- fürchtet, die Wasserstoffbombe einzusetzen.

Und im dritten Raum gab Professor Reynard selbst bei eindeutiger Beatmusik und typischen Tanzverrenkungen praktische Unterweisungen im Unterwandern. Eine Studentin übte Intim-Agitation, indem sie ihrem Tanzpartner zuflüsterte, »die ganzen Polizisten« seien »bloß scharf auf Macht« und der »Polizeistaat« stehe vor der Tür. Das fand der Wega-Professor zu dick aufgetragen -- raffiniert muß man beim Unterwandern sein! -- und tadelte: »Liebes Kind, viel zu fanatisch ... Wenn wir ihr (der Menschen) Herz vergiften wollen, wenn wir Vernichtung säen wollen, müssen wir unbedingt überzeugend sein und ernsthaft.« Ein anderer Unterwanderer-Kommilitone macht es besser. Er agitierte übungshalber: »Ich meine, warum machen sie so einen Wirbel wegen LSD und Marihuana. Ist doch albern. Wir lassen uns doch von denen nichts vorschreiben.« Der Professor zufrieden: »Sehr gut, das war sehr gut.«

Warum die Invasoren von der Wega uns Menschen vernichten wollen, braucht die neue ZDF-Serie nicht zu erläutern. Es sind Fremde, also Feinde. Und sie sind noch gefährlicher als damals die Juden. Diese konnte man von weitem an ihren Nasen überführen. Auch die Wega-Leute haben menschliche Gestalt angenommen. Man erkennt sie aber nicht an der Nase, sondern an einem abgespreizten Finger. Bezeichnend: In ihren Adern fließt kein Blut.

Verräterisch noch ist eine andere Eigenschaft: Die Wega-Leute berufen sich auf rechtsstaatliche Grundsätze. Wega-Akademie-Leiter Professor Reynard verlangte tatsächlich einen richterlichen Haussuchungsbefehl, als der Polizist ankam, um die Akademie zu durchsuchen. Der zeigte zwar seinen Befehl, aber gab deutlich zu erkennen, was er von solchen Formalitäten hält: »Ich dachte, wir würden ohne einen solchen Wisch auskommen.«

Solcher Formel-Kram -- informierte das Wega-Spiel schon in seiner zweiten Folge -- kann das Leben kosten. Vincent ist sicher, daß kein Menschenblut in den Adern der Frau von Luft-Abwehr-Major Keller fließt. Doch dieser vertraut ihr naiv, und der Sicherheitsoffizier beruft sich auf fehlende Vollmachten: »Das übersteigt meine Befugnisse. Ich kann sie nicht zwingen, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen.« Kurz darauf richtet die Majorsfrau ihre Pistole gegen ihren vertrauensseligen Mann.

Dies lehrt uns das ZDF-Wega-Spiel: Wir dürfen nicht dulden, daß man David Vincent wie einen Psychopathen behandelt, nur weil er überall den Feind entdeckt. Wir müssen mit ihm gemeinsam »seinen einsamen Kampf kämpfen«, mißtrauisch gegen jeden anderen. Denn selbst das eigene Eheweib kann der Feind sein.

Otto Köhler

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 66 / 82
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren