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THEATER Unter Null

Werden Deutschlands Theater zu aufwendig betrieben? *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Wenn sie durch das Schauspielhaus ging, so erinnert sich Hamburgs ehemalige Kultursenatorin, dann wuselten dauernd viele Leute herum - Sekretärinnen, Boten, Buchhalter, Schlosser, Elektriker. Da glaubte Helga Schuchardt manchmal, sie sei »in einem Großbetrieb, der sich nebenbei den Luxus einer Bühne leistet«.

Intendant Peter Zadek braucht eben ordentlich Personal. In seinem Deutschen Schauspielhaus beschäftigt er allein acht Tontechniker; für das richtige Licht sorgen 21 Mann: acht Beleuchter, neun Oberbeleuchter, drei Beleuchtungsmeister und ein Inspizient als Chef der Beleuchtungstruppe.

Kein Wunder, daß es Zadek und seinen Finanzchef Ulrich Schwab wie ein Keulenschlag traf, als der Hamburger Senat, weil die Kasse leer ist, sich auch am Kulturetat vergriff. Läßt sich denn ein großer Betrieb wie das Deutsche Schauspielhaus überhaupt noch führen, wenn ihm von den 28 Millionen Mark Subventionen 2,3 Millionen gestrichen werden?

Offenbar nicht. Nun könne er, jammerte Zadek, in der Spielzeit 1988/89 nicht die vorgesehenen Neuinszenierungen bringen. »Ein riesiges Armutszeugnis« stelle sich die Stadt aus, befand Generalmanager Ulrich Schwab, der die Finanzexperten im Rathaus für »die Inkarnation hanseatischer Pfeffersäcke« hält.

Doch vergangene Woche zeigte sich, daß alles so bleiben darf, wie es war - nur eben ein wenig anders. Die Pfeffersäcke gaben ein wenig nach und die Kulturmacher auch. Zadek kann nun doch fünf neue Inszenierungen herausbringen; wenn er dabei mit dem Geld nicht auskommt, hilft ihm die Stadt. Er möchte aber bitte - so beschloß der Aufsichtsrat der Neuen Schauspielhaus GmbH - ein bißchen sparsamer bei den Bühnenbildern sein und keine neuen Schauspieler engagieren. Im nächsten Jahr darf Zadek-Nachfolger Michael Bogdanov dann mit der Stadt um Geld feilschen.

Das Stück, das derzeit in Hamburg läuft, ist nicht neu. Es wird seit vielen Jahren immer dann gespielt, wenn Städte, die ihre Finanzlöcher stopfen müssen, auch die Zuwendungen an Theater und Opern reduzieren wollen.

Theaterleute werten Etatkürzungen gern als Zeichen schieren Banausentums, wenn nicht gar als Anschlag auf ihre künstlerische Freiheit. Schließlich, so ihr Argument, sind bei den großen Bühnen etwa 90 Prozent des Etats festgezurrt: Rund 80 Prozent gehen an Personalkosten drauf; die Sachkosten - vom Scheinwerfer bis zur Heizung - verschlingen zehn Prozent. Die restlichen zehn Prozent seien die notwendige Manövriermasse, um aufwendigere Produktionen zu ermöglichen und um freie Künstler zu engagieren.

So wie Zadek im Schauspielhaus haben schon andere Intendanten - geübt im Dramatisieren - den drohenden Kulturverfall prophezeit. Verächtlich beklagte der Essener Schauspieldirektor Hansgünther Heyme ein »operettös bestimmtes« Kulturverständnis der Stadtväter, die ihm die Mittel zusammenstreichen wollen. Mit dem verbliebenen »Popel-Etat« könne er nicht arbeiten.

Der Würzburger Intendant Achim Thorwald kündigte zum Sommer dieses

Jahres vorzeitig seinen Vertrag, weil jetzt »der absolute Nullpunkt unterschritten« sei. Die Stadt hatte nämlich angekündigt, den bisherigen Theater-Zuschuß von 9,75 Millionen Mark in diesem Jahr um 400 000, danach um 1,5 Millionen Mark zu kürzen.

Unter Theaterfreunden gilt es als selbstverständlich, daß auch hochverschuldete Städte ihre Bühnen so zu alimentieren haben, wie es die künstlerische Oberleitung für notwendig hält. Kultur ist Staatsaufgabe.

Die Intendanten von München bis Hamburg haben ihre Häuser im Laufe der Jahre immer aufwendiger ausgestattet. Von 1960 bis 1985 nahm die Zahl der von ihnen beschäftigten Künstler um rund 1000 zu - um 7500 Beschäftigte aber stieg im gleichen Zeitraum das Personal in den Bereichen Technik und Verwaltung.

Folge: Die Theater verlangten immer höhere Zuschüsse. Nach einer Studie, die der Deutsche Bühnenverein Ende vergangenen Jahres anfertigte, wurde 1959 im Schnitt jede Theaterkarte mit 8 Mark subventioniert - 1984 schon mit 90 Mark. Inzwischen legt in Städten wie Frankfurt der Steuerzahler mehr als 200 Mark für jedes Billett drauf.

Geld, so scheint es, spielt keine Rolle, wenn es um die künstlerische Freiheit geht. Weil Zadek gern lange probt, bekam er eine eigene Probebühne in Hamburg-Billstedt für 100 000 Mark jährlich. Fünf Monate übte er seine »Lulu«-Inszenierung ein - weil er dazu aber auch öfter die Hauptbühne im Schauspielhaus brauchte, fielen eben dort Vorstellungen aus.

Für die Inszenierung der »Herzogin von Malfi« bestellte Zadek olivgrüne Uniformen. Als die fertig waren, gefiel dem Intendanten die Farbe nicht mehr - weg damit.

So großzügig geht nicht nur Hamburgs Zadek mit staatlichen Mitteln um. Münchens Staatsoperndirektor Wolfgang Sawallisch kann es noch besser.

Als Sawallisch im vergangenen Jahr den »Ring des Nibelungen« herausbrachte, wurde zusätzlich eine kleine stumme Nebenrolle erfunden. Dafür ließ die Operndirektion aus London einen Künstler namens Robert Tear einfliegen: Der Sänger, der den Mund nicht aufmachen mußte, kassierte pro Aufführung 3000 Mark plus Spesen.

Die Gage des stummen Sängers war freilich - das muß zur Ehre des Direktors gesagt werden - in den Produktionskosten kaum zu spüren. Allein für die 188 Kostüme gab Sawallisch mehr als eine Million Mark aus. Durchschnittskosten pro Kostüm: 5532 Mark.

Vor allem ein aberwitziger Ausstattungsaufwand bringt die Theater jetzt, da fast überall Subventionen gekürzt werden, in die finanzielle Klemme. Dieter Angermann, Direktor des Deutschen Bühnenvereins, empfahl, die Häuser »sollten nach Sparmöglichkeiten im technischen Bereich und im Verwaltungsbereich suchen, die sich ja, gelinde gesagt, auch ungewöhnlich stark ausgedehnt haben«.

Das sei unmöglich, beteuern dagegen die Intendanten und ihre Finanzchefs. Werner Hellfritzsch, Verwaltungsdirektor der Deutschen Oper am Rhein: »Wir haben eine so dünne Personaldecke gerade in der Verwaltung und Technik, daß bei einer Kürzung das System zusammenbräche.«

Die These, Theater könnten keine Mark einsparen, ohne die Qualität zu senken, ist freilich umstritten. »Theaterkosten sind dehnbar wie Gummi«, weiß Lutz Kilzer, Theater-Referent der Hamburger Kulturbehörde.

Selbst Experten im Deutschen Bühnenverein kritisieren inzwischen »die hochgeschraubten Erwartungen an Bühnenbilder und Technik«. So hätten sich viele Theater, darunter auch das Hamburger Schauspielhaus, beispielsweise eine »extrem kostspielige Beleuchtungstechnik« zugelegt.

Nach Einsparungsmöglichkeiten sucht derzeit beim Bremer Theater ein Team der Beratungsfirma McKinsey. In Hamburg haben Wirtschaftsprüfer der Treuverkehr AG gerade ihr Gutachten mit einigen Beanstandungen vorgelegt: Beispielsweise könnten die Handwerker und Techniker etwas zügiger arbeiten, meinen die Wirtschaftsprüfer, die im Schauspielhaus die in anderen Betrieben üblichen Arbeitszeitwerte vermißten.

Doch wohin mit den Schlossern, Schreinern, Elektrikern, Malern? Die Techniker sind wie die Verwaltungsangestellten im Theater gleichsam öffentlich Bedienstete und damit faktisch unkündbar. Sie werden nach ganz ähnlichen Tarifen besoldet, wie sie die ÖTV aushandelt.

Weit stärker als die Tarife des technischen und administrativen Personals stiegen in den letzten Jahren die Gagen der Künstler. Preistreibend wirkten vor allem die Forderungen der Stars. Und wer will schon auf die verzichten?

Doch vielleicht sind die Stadtkämmerer, die den Bühnen die Subventionen kürzen, nicht nur Banausen, sondern auch noch schlechte Rechner. Die Leute vom Theater jedenfalls haben inzwischen eine interessante These entwickelt: Je höher die Zuschüsse, desto mehr fließt in den Stadtsäckel zurück.

Detailliert rechnet beispielsweise Horst Mesalla, Generalintendant des

Schleswig-Holsteinischen Landestheaters, den Flensburger Stadtvätern vor, wie rentierlich sie ihre 3,3 Millionen Mark, die Subvention für das Theater, angelegt haben.

Da sind allein 213 000 Mark an Lohnsteuern hereingekommen, die in der vergangenen Saison die Theater-Beschäftigten zahlten, da flossen Gebühren, die das Theater an die Feuerwehr zahlen mußte - genug, um dort zwei Arbeitsplätze zu finanzieren. Busunternehmer und Taxifahrer, Gastronomen und Smoking-Verleiher verdienen an den Theaterbesuchern.

Statt Subventionen zu streichen, so die These, sollten die Kommunen mehr für ihre Theater ausgeben - es kommt viel mehr zurück.

»In den Händen von Theaterleuten«, so folgert das Fachblatt »Die Deutsche Bühne« ganz klar, können sich Steuergelder »auf bislang unerforschte und ungeahnte Weise vermehren«.

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