Samira El Ouassil

Valentinstag Vermüllte Romantik

Samira El Ouassil
Eine Kolumne von Samira El Ouassil
Ich bin keine Beziehungshasserin. Dennoch: Ich verachte den Valentinstag, dieses Jahr sogar ganz besonders. Aus drei Gründen.
Liebesschloss in München: Ökonomisierung unserer Liebe

Liebesschloss in München: Ökonomisierung unserer Liebe

Foto: Peter Kneffel / picture alliance / dpa

Grund 1: Man verkauft mir irgendwelchen Müll als Liebesbeweise, gleichzeitig behandeln wir andere Menschen wie Müll.

Der Valentinstag ist ein Staubsaugervertreter, der Sie freundlich lächelnd daran erinnert, dass auch Sie das Recht haben, Romantik zu kaufen.

Und nicht nur das, der Staubsaugervertreter überzeugt Sie davon, dass diese seriell hergestellte und verkaufte Romantik, also diese gewinnmaximierend produzierte Massenware, die er da im Koffer hat, das perfekte Symbol für die Einzigartigkeit der romantischen Begegnung ist. Man kann natürlich die von der katholischen Kirche und der deutschen Romantik gerne beworbene Idee der einen großen Liebe an sich bezweifeln (Anthropologinnen, Biologinnen, Soziologinnen und Statistikerinnen würden das Konzept eines einzigen Seelenverwandten auf jeden Fall ein klein wenig entzaubern) – aber diese einfallslose Einförmigkeit der Liebesbeweise hat die Liebe in keinem Fall verdient.

Als überzeugendstes Beweisstück führe ich das lächerliche Liebesschloss an, den Inbegriff aller vermüllten Romantik. Ein schwerer, metallener Gebrauchsgegenstand aus dem Baumarkt, in welchem symbolhaft für immer und ewig die eine Liebe eingeschlossen werden soll. An den Brücken rosten die Teile dann in Millionenzahl vor sich hin, um in einem Meer aus Schlössern ihre behauptete Bedeutsamkeit zu verlieren. Überhaupt ist ein Schloss als Symbol der Liebe wie ein Wandervogel mit Flugangst: Sie einschließen zu wollen, ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was sie auszeichnet.

Mein Ausbruchsvorschlag aus der Ökonomisierung unserer Liebe lautet: gegen das Geschäftsmodell mit anlassloser, nicht kalendarisch vorherbestimmter Nächstenliebe rebellieren, indem man Menschen Geld spendet, die keine Liebe von der Gesellschaft erfahren, und von der Politik oft nur uneingestandene Verachtung. In Deutschland sind 17 obdachlose Personen erfroren . Und da ist, wie bei vielen Unterstützungen, die unromantischste tatsächlich die effektivste: Spenden. Nehmen Sie das Geld, das Sie für Blumen und Schokolade ausgeben würden und fragen Sie die Person, die Sie damit eigentlich beschenken wollten, ob man es dem Kältebus oder anderen Einrichtungen zukommen lassen könnte.

Grund 2: Man verkauft mir irgendwelchen Müll als Liebesbeweise, und gleichzeitig fordern wir von Liebenden, die Legitimität ihrer Liebe zu beweisen.

Es ist immer noch keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, lieben zu können, wen und wie man möchte. Das zeigen die Reaktionen auf das Coming-out der 185 Schauspieler*innen in der Süddeutschen Zeitung unter dem Namen »actout« .

Sowohl das Wegwischen in Form betonter Gleichgültigkeit und exponierten Unverständnisses – »Ich habe kein Problem mit denen, sie können im Privaten doch machen was sie wollen« – als auch die Homo- und Transphobie in den Kommentaren belegen die Notwendigkeit der Sichtbarmachung. Denn ähnlich wie der Rassismus hat sich auch die Queerfeindlichkeit verändert. Eine gönnerhaft herausgestellte Toleranz denkt sich in ihrer jovialen Akzeptanz besonders fortschrittlich. Diese gesellschaftlich nach wie vor hingenommene, weil subtilere Homophobie »toleriert« die sexuelle Orientierung gnädig als ein »Privatvergnügen«, eine »legitime Wahl«. Das bedeutet allerdings, dass man einer Person zwar das Recht auf eine Wahlfreiheit nicht absprechen will, ihr aber nicht zugesteht, einfach zu sein, wer sie unter anderem ist: lesbisch, schwul, bisexuell, non-binär, trans.

Und das ist ein fundamentaler Unterschied. Denn nicht die Existenz einer Person wird akzeptiert, sondern nur das eigene Ermessen, was man einer Person zugesteht. Von der in derlei Aussagen enthaltenen Homophobie, dass sexuelle Orientierung ein »gewählter Lifestyle« sei, ganz zu schweigen – aber die Diskussion hatten wir ja bei Friedrich Merz schon. Ja, es existiert eine Dringlichkeit, diese Selbstverständlichkeit zu erreichen, denn die Zahl homophober und transphober Angriffe steigt , wie das Anti-Gewalt-Projekt Maneo gezählt hat, etwa in Berlin 2019 um ein Drittel . Das Lieben in Deutschland ist noch nicht frei und für manche in ein schwereres Schloss gesperrt als für andere.

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Grund 3: Man verkauft mir irgendwelchen Müll als Liebesbeweise und wühlt gleichzeitig im Müll anderer nach Liebesbeweisen.

Das übergriffige Ausschlachten von Beziehungsdynamiken durch Boulevardblätter und in den sozialen Medien, wenn ein Paar sich in einer Veränderung, Krise oder Trennung befindet, ist eine andere Form der Ökonomisierung der Liebe. Eine perfidere: Sie verkauft die Liebe anderer Menschen für uns in Form von Klickstrecken, Social-Media-Tratsch und kollektiven Erregungsangeboten. Das ist in seiner Hyänenhaftigkeit an und für sich schon der Liebe unwürdig, aber dank ökonomisch, publizistisch und menschlich befeuerter Netzwerkdynamiken kommt noch ein Narrativ hinzu, das sich seit Eva und Pandora nicht verändert hat: Die. Frau. Hat. Schuld. Als sich Prinz Harry und Meghan Markle vom britischen Königshaus lossagten, war es selbstverständlich der »Megxit«. Die manipulative Frau vertrieb den hilflosen Mann aus dem Buckingham Paradise.

Vor einigen Tagen erschien ein Doku-Porträt über Popsängerin Britney Spears auf der Streaming-Plattform Hulu mit dem Titel »Framing Britney Spears«. Die Produktion zeigt, wie die Sängerin vom Kindesalter an auf allen Ebenen von Fans, KritikerInnen, Musikindustrie, JournalistInnen und Justiz erst ausgebeutet und dann hängen gelassen wurde. Es wird ergründet, wie auch Justin Timberlake mit seinem Musikvideo zu »Cry me a River« ökonomisch und künstlerisch davon profitierte, Spears als Antagonistin zu zeichnen und die Erzählung fortzuführen, sie habe die Schuld am Ende der Beziehung. Medien und Social-Media-Plattformen verdienen noch zu viel Geld an Misogynie, als dass es sich für sie lohnen würde, weniger frauenfeindlich zu sein.

Solange wir eine Ökonomie gestatten, die davon profitiert zu behaupten, Frauen seien Schuld am Ende der Liebe, und die sie auf »die Partnerin von« reduziert, solange es noch eines Massen-Coming-outs bedarf, um Normalität für die Idee herzustellen, dass jede und jeder offen so lieben können muss, wie sie und er liebt, solange die Wirtschaft die Liebe in Kitsch und Schuldgefühl einsperren will – solange kann ich diesen einen Tag im Jahr, der ausschließlich der Liebe gewidmet sein soll, nicht ernst nehmen.

Hinweis der Redaktion: Wir haben korrigiert, dass sich die Zahl der erfrorenen Obdachlosen nicht nur auf Berlin, sondern auf ganz Deutschland bezieht.

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