NOBELPREIS Verfluchter Deutscher
Für sein Roman-Mammut »Der Stille Don« bekam er 1941 den Stalinpreis und den Titel »Meister des Worts«. Für den Kolossalroman »Neuland unterm Pflug« bekam er 1960 den Leninpreis. Für sein quali- und quantitativ monumentales Gesamtwerk bekam er am Freitag letzter Woche den Literatur -Nobelpreis 1965.
Michail Alexandrowitsch Scholochow, 60, hat auf die Nobelierung gewartet. Als Nikita Chruschtschow 1959 die USA durchreiste, nahm er den Renommier -Romancier Scholochow mit, um ihn aufzunobeln. Der Autor revanchierte sich: Er begann eine Chruschtschow-Biographie. Nach Chruschtschows Sturz war die Arbeit vertan.
»Der bedeutendste Epiker russischer Zunge« ("Die Zeit") kannte derlei politische Fährnisse. Bereits mit 15 Jahren hatte der Kosakensohn aus Weschenskaja am Don in der Roten Armee gegen Weißarmisten gekämpft.
Danach wollte er Ingenieur werden, wurde aber Lehrer, Schauermann, Maurer, Buchhalter und Feuilletonist und beschrieb in der Zeitung ein »Gottesurteil« und ein »Muttermal«.
Der Kosaken-, Kriegs- und Revolutionsroman »Der Stille Don« (1928 bis 1940 erschienen) machte Scholochow zum Weltliteraten. Der überzeugte, plötzlich prominente Kommunist muckte gegen Stalins drastische Reformen - und entrann - nur knapp der stalinistischen Mordmaschinerie: Eines Nachts (1937) klopfte ein Kosakenfreund ans Scholochow-Fenster und warnte. Scholochow floh in ein Versteck.
28 Jahre später, an seinem 60. Geburtstag, wurde der Autor mit der Weltauflage von 41 Millionen Büchern (Übersetzungen in 73 Sprachen) mit dem zweiten Leninorden behängt. Grund: »Hervorrangige Verdienste um die Entwicklung der Sowjet-Literatur.«
Tatsächlich entwickelte Scholochow nicht die typische sowjetische Literaturspezies des »sozialistischen Realismus« (Scholochow: »Der Teufel weiß, was sozialistischer Realismus ist"); er gehört zu den großen russischen Realisten wie Turgenjew, Gogol und Tolstoi.
Scholochow beschreibt weniger die Kombinate, Komsomolzen, Kollektive und edlen Kommunisten als die alten Themen wie Liebe, Tod, Natur, Land und Leute, Krieg und Frieden. So im »Stillen Don":
Sobald Grigori das Schnarchen des Hausherrn hörte, zog er die Stiefel aus und ging zu ihr. Sie machte ihm neben sich Platz auf dem Wagen, dessen Vorderräder abgenommen waren, und als sie den Schafpelz überzog und ihre seine Grigori berührten verstummte sie. Ihre Lippen ... rochen nach Zwiebel und unverschwendeter Frische. In ihren
schlanken braunen Armen verbrachte Grigori wollüstige Stunden bis zum Morgengrauen. Voller Kraft preßte sie ihn die ganze Nacht an sich, liebkoste ihn unersättlich, biß ihm lachend und scherzend die Lippen blutig, und von ihren Küssen und Bissen blieben auf Grigoris Hals, Brust und Schultern lila Flecke und die winzigen Spuren ihrer kleinen Raubtierzähne.
Als harter Ideologe produzierte sich der Sowjet-Oberst Scholochow später im Zweiten Weltkrieg. Er veröffentlichte »Die Schule des Hasses«, eine Sammlung von Frontberichten und Kriegsgeschichten. Und er pflegte seinen Deutschen-Haß. Noch vor ein paar Jahren beschimpfte er den DDR-Autor Erwin Strittmatter in Moskau: »Scher dich zum Teufel, verfluchter Deutscher!«
Im eigenen Land schert sich Scholochow, Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU und des Obersten Sowjet, nicht um die Prominenz. Er lebt immer noch in Weschenskaja, fängt um vier Uhr morgens zu schreiben an (zur Zeit am Roman »Sie kämpften für das Vaterland") und geht abends am Don angeln.
Am 10. Dezember wird Scholochow nach Stockholm fahren und Urkunde, Goldmedaille und den Nobel-Scheck über 220 000 Mark entgegennehmen.
Er ist, nach Iwan Bunin (1933) und Boris Pasternak (1958) dann der dritte russische Schriftsteller mit Nobelpreis.
Literatur-Nobelpreisträger Scholochow (M.)*: Nachts klopfte ein Kosak ans Fenster
* Während eines Besuchs in Rostock