INTERVIEW Verhör des Ministers
Auf den Mattscheiben deutscher Fernsehgeräte taucht die Physiognomie des Bundesinnenministers Schröder auf. Das Porträt verschwindet - dafür erscheint eine Gruppenaufnahme von vier Journalisten. Nachdem ein »Chairman« das Thema bekanntgegeben hat -
Matthias Walden, stellvertretender Chefredakteur des Senders Freies Berlin:
»Schröders zweite Torheit nach dem KP-Verbot, das Ein- und Ausreiseverbot für kommunistische Funktionäre«-,
schnellen die Journalisten gezielte Fragen gegen den scharfgescheitelten Minister ab.
Sie werden nicht mit der für deutsche Fernsehjournalisten typischen Ergebenheit gestellt, sondern prasseln gnadenlos auf den Minister ein, der sich eher wie ein Angeklagter im Kreuzverhör ausnimmt.
Daß dieses und ähnliche Fernseh-Interviews bislang, nur von den Programmplanern skizziert wurden und den Bundesbürgern vorenthalten blieben, ist ausnahmsweise weder dem Innenminister noch den Journalisten anzukreiden. Vielmehr war es der Fernseh-Koordinator Clemens Münster, der die Anregung zu solchem Minister-Verhör als »Biertischidee« abtat.
Indes, was Münster lediglich als »Biertischidee« erscheint, ist eine in Amerika seit Jahren bewährte und Millionen Zuschauer fesselnde Sendereihe: »Meet the Press« (etwa: Stellen Sie sich der Presse), ein Fernseh-Florett der NBC, in dem zu fechten auch schon der Bundeskanzler und der SPD-Kanzlerkandidat Brandt gehalten waren.
In dieser aktuellen Programmfolge sieht sich jeweils ein Politiker je einer Haupt- und Zusatzfrage von vier Journalisten ausgeliefert. Der Chairman, vom Sender gestellt, läßt sich vor Beginn des Verhörs die Fragen vorlegen.
Walden: »Larifari-Fragen schmeißt er weg. Nur scharfes Verhör ist erwünscht.«
Dieses amerikanische Vorbild schien den Leuten vom Sender. Freies Berlin (SFB) nachahmenswert. Sie erwarben von NBC die Rechte, heuerten einen Vertreter der großen amerikanischen Sendegesellschaft als Berater an und trugen ihre Absichten eines spätsommerlichen Tages der Ständigen Programmkonferenz des Deutschen Fernsehens vor.
Warum der SFB diese Sendung ins Deutsche Fernsehen einzubringen gedachte, vermag Walden gleich dreifach zu begründen:
- »Erstens, weil sie in Amerika sehr
erfolgreich ist;
- zweitens, weil wir sie für sehr gut durchdacht halten;
- »drittens, weil wir glauben, daß die Devotion deutscher Interview-Journalisten endlich abgebaut werden müßte zugunsten des amerikanischen Prinzips harter Fragen.«
Freilich hatten die unternehmungsfreudigen Berliner nicht mit der Trägheit westdeutscher Fernseh-Funktionäre gerechnet. Der Vorschlag wurde abgelehnt, weil die Sendereihe »einen Fachjournalismus zur Voraussetzung hat«,
wie er »bei uns einfach nicht gegeben ist« (Münster). Der Koordinator äußerte die Befürchtung, daß es in Deutschland
»einfach nicht genug Leute gebe, »die Interviews von dieser Gründlichkeit führen könnten«.
Nachdem er somit bezweifelt hatte, daß sich im ganzen Bundesgebiet und
in Westberlin vier Journalisten auftreiben ließen, die imstande wären, unkonformistisch je zwei Fragen zu stellen, richtete er seinen Blick nach Bonn und fragte sich, »ob es bei uns genügend Prominente gibt, die für derartige Befragungen in Frage kommen«.
Die Berliner sahen sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, daß »sie keinen konkreten Vorschlag« gemacht hätten.
Die Idee, mäkelte Münster, genüge nicht.
Es müßte schon eine »ausgereifte Konstruktion vorliegen, wenigstens ein Plan für die nächsten vier bis fünf Sendungen«. So begehrte die Programmkonferenz zu erfahren, wer denn interviewt werden solle.
Da den Berlinern bei dieser aktuellen Sendung ein Turnus von vier Wochen vorschwebte, mußten sie passen: Wen sie in vier bis fünf Monaten aus der aktuellen Situation heraus interviewen würden, vermochten sie tatsächlich nicht zu sagen.
Nachdem die Freien Berliner schmollend in ihre Frontstadt zurückgekehrt waren, attackierte Westberlins Boulevardblatt »Der Abend, in einer Glosse ("Angst vor Grips?") die Programmkonferenz: »Sind es wirklich nur sachliche Gründe . . . oder ist es etwa die schon krankhafte Angst, eine andere Anstalt könne vielleicht mal etwas Besseres produzieren ...?«
Tatsächlich hat der »doch eigentlich recht kleine und finanziell etwas mühsame SFB« (Walden) in letzter Zeit einige Sendungen durchgesetzt, die
»hart an die Grenze seines finanziellen Leistungsvermögens gingen«. Im Gegensatz zu den kümmerlichen Unterhaltungsbeiträgen des Senders verrieten die aktuellen Anstrengungen des SFB Tatendrang und Einfallsvermögen. Das Fernsehpublikum verdankte der Frontstadt-Station:
- »Die schönsten Jahre meines Lebens«, eine kritische Sendung über das Unwesen der Traditionsverbände;
- eine (polemische) Gegenüberstellung persischer Kaiserpracht und persischer Armut;
- »Hilfe für Agadir«, einen »Feuerwehr«-Bericht über die Erdbeben -Katastrophe;
- »Schwarz-Rot-Gold in Übersee«, eine dreigeteilte Untersuchung der SED -Aktivität in Afrika, Südamerika und Asien;
- »Die große Debatte«, eine Blitz-Übersetzung der Fernsehdiskussionen mit den US - Präsidentschaftskandidaten.
Während diese Anstrengungen »von den anderen Anstalten kollegial respektiert« würden (Walden), blieb dem »Meet the Press«-Projekt die kollegiale Zustimmung versagt. Wetterte »Der Abend": »Die Bayern vor allen Dingen waren es, die sich völlig unzugänglich zeigten.«
Und obgleich Koordinator Münster, Fernsehdirektor des Münchner Senders; treuherzig bekannte, »eine solche schlagharte Interview-Sendung würde weder mit Höfer noch mit Wessel kollidieren, glaubten die SFB-Leute den Grund für der Bayern Unzugänglichkeit alsbald erkannt zu haben: Nachdem die Programmkonferenz den Berliner Vorschlag zerredet hatte, glich Wessel seine 14tägliche Stammtisch-Diskussion ("Unter uns gesagt") dem »Meet the Press« -Muster an; er lud ab sofort regelmäßig prominente Politiker zum Mitschnacken ein, in der letzten Sendung beispielsweise Ludwig Erhard,
Walden: »Das war nicht fair, aber es kratzte uns nicht, denn er macht es ja nicht nach amerikanischem Muster, sondern mehr nach der Art des Herrn Wessel.«
Die Berliner setzten ihre »Meet the Press«-Idee auf eine Warteliste, in der festen Überzeugung, »daß sie eines Tages wieder hochkommen muß, ganz einfach, weil sie gut ist«.
Dieser Tag ' ist nun nahe gerückt.
Schon im Januar will der SFB sein erstes Verhör in dem Zweiten Programm vorführen, das der Hamburger Sender vom 1. Januar 1961 an auf regionaler Basis auszustrahlen gedenkt. Hamburg hat für sein - noch umstrittenes -
Experiment bereits eine entsprechende Koproduktion mit den Berlinern eingeplant.
Noch im Dezember soll im Hamburger Studio Generalprobe sein. Walden:
»Nur für den Sandkasten wird sich ja
kein Politiker zur Verfügung stellen wollen. Vielleicht finden wir einen Kollegen, der genug Humor hat, den Alten zu spielen, den wir dann mit unseren Fragen durchlöchern.«
Des Koordinators Bedenken, daß die Prominenten sich dem Fernseh-Verhör nicht stellen würden, teilt Walden nicht:
»Sie würden nur einmal kneifen. Ein zweites Mal könnten 'sie's sich nicht leisten.«
Fernseh-Redakteur Walden
Kein Larifari mehr
Berlins Brandt (r.) in »Meet the Press": Bedenken gegen deutsche Fassung