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Rundfunk Verlorener Groschen

In diesem Jahr Zweigen die ARD-Sender wieder rund 28 Millionen Mark für Kultur-Institute ab. ARD-Intendanten fordern jedoch die Einstellung der Beihilfen.
aus DER SPIEGEL 39/1972

Alljährlich im Sommer erwartet der Münchner »Tukan«-Kreis eine frohe Botschaft aus dem bayrischen Funkhaus. Der Rundfunkrat teilt dann mit, daß dem Literatenzirkel erneut eine Spende von 5000 Mark zuerkannt worden ist.

Wie in Bayern wird auch in allen anderen Bundesländern die Kunst von öffentlich-rechtlichen Sendern unterstützt. Teils freiwillig, teils durch Ländergesetze dazu verpflichtet, stiften Landesrundfunkanstalten einen Teil ihrer Gebühren- und Werbespot-Einnahmen für soziale und besonders »für kulturelle Zwecke«. Der Stuttgarter Sender sieht darin »einen Ausgleich für die unterlassenen Bemühungen des Staates um die Kultur«.

Doch nun sollen diese Bemühungen eingestellt werden: Die meistert der Intendanten der »Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten (ARD) Wollen die dafür vorgesehenen 27,8 Millionen ARD-Mark zum größten Teil einbehalten. Grund: Die ARD-Länderanstalten geben bis Ende dieses Jahres rund 20 Millionen Mark mehr aus, als sie einnehmen.

Sollten die Funk- und Fernsehgebühren auch künftig teilweise »zweckentfremdet werden«, drohte deshalb der Frankfurter Intendant Werner Heß, könne das »1973 bis zur vorübergehenden teilweisen Einstellung eines ganzen Hörfunk-Programms oder des Hessischen Fernsehens führen --

Besonders die mittelgroßen Sender benötigen den Kulturgroschen selbst. Denn während etwa der reiche WDR Fördergelder abzweigen kann, ohne seine Bilanz zu gefährden, sind beispielsweise die Sender in Frankfurt oder Hamburg bereits durch den Finanzausgleich innerhalb der ARD überstrapaziert.

Insgesamt 49,8 Millionen Mark nämlich werden von den sechs großen und mittelgroßen Funkhäusern an die sogenannten armen Sender Berlin (SFB), Bremen und Saarbrücken abgeführt -- längst nicht mehr entsprechend ihrer finanziellen Kraft. So gibt der WDR weniger, als er könnte, der Hessische und der Norddeutsche Rundfunk dagegen kommen durch ihre Unterstützungszahlungen selbst ins Defizit.

Durch den Finanzausgleich, klagt Intendant ließ, »werden die reichen Anstalten noch reicher und die armen .. noch ärmer«. Deshalb fordern ließ und einige seiner Kollegen nun die Verteilung der bisherigen Kultur-Spenden an die notleidenden Sender.

Doch gegen einen neuen Finanzausgleich und die damit verbundene Gebuhrenerhöhung sperren sich die Landerregierungen. An eine Neuordnung der ARD-Finanzen ist vorderhand nicht zu denken, die Rundfunksender werden also noch eine Weile Unterstützungskassen der deutschen Kulturinstitute bleiben.

So dürfen beispielsweise die Münchner Philharmoniker auch weiterhin auf den 200 000-Mark-Scheck des Bayerischen Rundfunks hoffen, der Landesverein zur Förderung der Volksmusik kann auch künftig mit 50 000 Mark, das Musikgymnasium der Regensburger Domspatzen mit 25 000 Mark und die Kleine Komödie in München mit 9000 Mark rechnen. Regelmäßig wurde bislang auch die »medienpolitische Arbeit« der Katholischen Akademie München, der Evangelischen Akademie Tutzing und des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit je 50 000 Mark honoriert.

Der WDR, der seine Spendenempfänger bislang geheimhalten konnte, verschenkte im vergangenen Jahr 21,6 Millionen Mark. Allein die Theater im WDR-Gebiet erhielten über 5,8 Millionen, unter anderem die Kölner Bühnen 390 000, die Schauspielhäuser in Dortmund, Essen, Wuppertal je 340 000 Mark. Orchester und Museen wurden mit mindestens je einer Million bedacht -- so die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford mit 270 000 und das Ikonen-Museum Recklinghausen mit 332 500 Mark. Den künstlerischen Nachwuchs förderte der WDR mit reichlich 1,8 Millionen -- davon flossen 312 500 Mark der Schauspielschule Bochum. 265 000 Mark der Musikhochschule Köln und 225 000 Mark dem Opernstudio Düsseldorf zu. 195 000 Mark wurden für die Tänzerausbildung an der Folkwang-Hochschule in Essen aufgewendet.

Die WDR-Verwaltungsratsmitglieder -- unter ihnen Landtagspräsident Wilhelm Lenz (CDU) und Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) -- vergaßen auch nicht, ihre Freunde zu beschenken: Die parteieigenen Akademien (Konrad-Adenauer-, Friedrich-Ebert- und Wolfgang-Döring-Stiftung) erhielten 1,69 Millionen Mark für ihre Polit-Schulungen. Für die Erwachsenenbildung fielen außerdem 1,25 Millionen ab -- allein je 250 000 Mark für evangelische, katholische und sozialistische Bildungsvereine.

Seit ein Rundfunkratsmitglied die geheime Scheck-Liste des WDR kürzlich Journalisten zugespielt hat und die Zuwendungen somit publik wurden, hat der WDR nicht nur die armen ARD-Sender gegen sich, sondern auch Kulturorganisationen, die bislang leer ausgegangen sind oder die sich nicht angemessen bedacht fühlen. Protestaktionen stehen ins Haus.

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