RUNDFUNK Verquollene Lösung
Franz Thedieck, Intendant des Deutschlandfunks, sieht sich peinlich reich beschenkt -- die Bundespost will ihm 36 neue UKW-Sender einrichten. »Aber so viele«, entsetzte sich der Funk-Chef, »haben wir nie beantragt; die brauchen wir auch gar nicht.«
Was Thedieck nicht brauchen kann. haben die anderen deutschen Hörfunksender dringend nötig: Für ihr seit langem geplantes gemeinsames Autofahrer-Programm sind bislang ungenutzte Sendefrequenzen erforderlich.
Frei-Raum auf der Radioskala, der mit handelsüblichen Rundfunkgeräten der Bundesrepublik erschlossen wird, steht noch im UKW-Bereich zwischen 100 und 104 Megahertz zur Verfügung. Auf eben jene Wellenlängen hatte die ARD für ihren Verkehrsfunk spekuliert, der ursprünglich schon in diesem Jahr Autobahnfahrer an Staus vorbeilotsen sollte, mangels Frequenzen aber vertagt werden mußte.
Denn die Teilung des Äthers ist ein Vorrecht der Bundespost, und Postminister Georg Leber zeigte wenig Eile, für die vom Verkehrsminister Leber protegierte Autofahrerwelle den brachliegenden UKW-Bereich freizugeben. Erst für Mitte nächsten Monats hat er 16 europäische Fernmeldeverwaltungen zu einer Konferenz nach Darmstadt eingeladen, bei der er mit den Nachbarstaaten um Wellen handeln will.
Zur Vorbereitung dieses Treffens verteilte Lebers Staatssekretär für die Postverwaltung, Kurt Gscheidle ohne die sonst übliche Rücksprache mit den betroffenen Sendern und ohne Konsultation der Landesregierungen -, die Frequenzen auf dem Papier: 45 Sender an »Gaststreitkräfte« und »Sonstige«, 36 an den Deutschlandfunk, und nur 28 statt der beanspruchten 60 für den Verkehrsfunk.
Post-Karten, die inzwischen an die Konferenzteilnehmer verschickt worden sind, lassen zudem nicht erkennen, ob nun die Gemeinschaft der Landessender, das Leber-Ministerium selbst oder ein Dritter die Autofahrerwelle betreiben soll. Denkbare dritte Kraft: der Deutschlandfunk.
Dieser 1960 mit Sitz in Köln gegründete Bundessender. der sich vor allem »als eine Brücke nach drüben empfindet« (Thedieck), strahlt sein 14-Sprachen-Programm bislang auf Mittel- und Langwellen aus. Um von ein paar Randstationen »abends besser in den benachbarten Grenzbereich vorstoßen zu können«, hatte er sich 1966 auch um Ultrakurzwellen beworben, aber an eine Versorgung etwa ganz Süddeutschlands mit starken 100-Kilowatt-Stationen, wie sie der Gscheidle-Plan vorsieht, war »nicht im Traum gedacht« (Thedieck).
Thediecks Kollegen, die ohnehin bei der Post einen »herrscherlichen Geist mit einer Art Burggrafen-Attitüde« am Werk sehen (so der WDR-Hörfunk-Direktor Fritz Brühl), schreckten auf, als ihnen Anfang Juli bei einer ARD-Konferenz in Frankfurt das seltsame Konzept vor Augen kam. Obwohl Thedieck seine Unschuld beteuerte ("Mir ist das auch völlig unverständlich"), argwöhnten sie, es solle ein im ganzen Land hörbarer, der Bundesregierung höriger Sender installiert werden. HR-Intendant Hess nannte das Vorhaben »verfassungswidrig« und schlug vor, notfalls solle die ARD-Mehrheit ihren Beitrag zum Deutschlandfunk-Etat streichen (1971: 28 von 49 Millionen Mark).
Nach solchem Echo relativiert Gscheidle, dem Ambitionen auf den Intendantenposten des Deutschlandfunks nachgesagt werden (Gscheidle: »Unsinn"), seinen eigenen Entwurf als eher »verquollene Lösung«. Doch an der Absicht. dem Kölner Sender »gewisse Prioritäten einzuräumen«, hält er fest.
Aber wem sollten die wohl zugute kommen? Die Hörer in der DDR jedenfalls, das wichtigste Publikum des Deutschlandfunks, können ein Programm zwischen 100 und 104 Megahertz gar nicht empfangen. Die Skala ihrer Radios ist schon bei 100 Megahertz zu Ende.