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ATOM-EXPLOSIONEN Verschmutzter Himmel

aus DER SPIEGEL 38/1962

Es war Nacht über Honolulu. Unter den Palmen am Strand und auf den Balkons der Luxushotels warteten Hunderte von Touristen auf ein kosmisches Feuerwerk: auf die Explosion einer amerikanischen Wasserstoffbombe im All.

Punkt elf Uhr begann ein grandioses Farbenspiel. »Zuerst gab es einen Ausbruch von elektrischem Weiß«, schilderte ein Korrespondent die Lichteffekte, »es folgte ein giftiges Grün, das vielleicht fünf Sekunden andauerte, und dann kochten die Wolken in glühendem Rosa. Nach sechs oder sieben Minuten verblaßte die Glut zu einem Sonnenuntergangsschatten und schließlich zum Nichts.«

Während der Widerschein der Bombe, die - 1200 Kilometer von Honolulu entfernt - hoch über der Johnston -Insel explodierte, die Pazifik-Insulaner zwischen Australien und Hawaii erschreckte, breitete sich in den amerikanischen Beobachtungsstationen Siegesstimmung aus: Beim dritten Versuch war es am 9. Juli endlich geglückt, eine

große Wasserstoffbombe (zwei Megatonnen*) im Weltraum zu zünden.

Wochen nach dem nächtlichen Lichtspiel über dem Pazifik gestand Amerikas Atomenergie-Kommission, daß die Bombe im All höchst unangenehme Folgen gezeitigt habe:

- Seit dem 9. Juli ist die Erde von

einem neuen gefährlichen Strahlengürtel umgeben.

- Amerikanische Satelliten, mit Millionenaufwand ins All geschossen, wurden durch die neue Strahlung für weitere Forschungsarbeiten unbrauchbar gemacht.

So hat sich erwiesen, daß die Warnungen zahlreicher Wissenschaftler vor diesem Experiment berechtigt gewesen sind. »Jeder Wissenschaftler, der sich um die Erforschung der Natur unseres Sonnensystems bemüht«, hatte der englische Astronom Sir Bernard Lovell, Direktor des Jodrell Bank Observatoriums bei Manchester, geklagt, »ist entsetzt über das Vorhaben der Amerikaner ...«

Andere Forscher wiesen auf eine Resolution hin, die erst Anfang dieses Jahres von der »Internationalen Astronomischen Union« verfaßt und von Sowjets und Amerikanern gutgeheißen worden war. »Niemand hat das Recht«, hieß es in dem Beschluß, »die natürliche Erdumgebung zu stören, und die Projekte, die eine solche Möglichkeit einschließen, müssen einer internationalen Untersuchung unterzogen werden.«

Unangetastet sollten nach den Wünschen der Wissenschaftler vor allem die zwei Strahlengürtel bleiben, die als bislang größte Entdeckung der Weltraumforschung gelten (SPIEGEL 34/1961). Diese gefährlichen Raumfahrthindernisse, die der US-Physiker Dr. James Van Allen mit Hilfe amerikanischer Satelliten und Mondgeschosse entdeckte und die noch ungenügend erforscht sind, ziehen sich in Entfernungen von etwa 2000 bis 5000 Kilometer, beziehungsweise 14 000 bis 20 000 Kilometer um die Erde und hüllen sie fast von Pol zu Pol ein.

Die Meßinstrumente von US-Erdsatelliten zeigten an, daß ein ungeschützter Astronaut im äußeren Strahlengürtel fast 200 Röntgen pro Stunde empfangen würde (tödliche Dosis für den Menschen etwa 400 Röntgen).

Die Sowjet-Union und die USA haben es bislang sorgsam vermieden, ihre Astronauten auch nur der Strahlung in den verdünnten Randzonen des inneren Gürtels auszusetzen. Alle Weltraumfahrer umkreisten die Erde in sicherem Abstand unterhalb des Strahlengürtels.

Trotz der Appelle der Wissenschaftler, die Erforschung der für die Raumfahrt so bedeutsamen Strahlengürtel nicht zu stören, bestanden Atomenergie-Kommission und Verteidigungsministerium der USA darauf, große Bomben versuchsweise im All zu zünden.

Amerikas Militärs hielten für unumgänglich, eine Erscheinung zu untersuchen, die sie im Herbst 1958 bei einem Vorläufer des jetzigen Weltraumbombardements, beim »Projekt Argus«, beobachtet hatten: Kurz nach der Explosion von drei kleinen Atombomben im All waren Nachrichtenverbindungen gestört worden und Radargeräte ausgefallen. Eine Kernexplosion in großer Höhe, so erläuterte ein Experte der Atomenergie-Kommission, wirke wie ein riesiger Schleier, der sich auf die Radargeräte lege. Ein Angreifer könne somit leicht durch eine Kernexplosion die Radargeräte ausschalten, die den Gegner vor heranfliegenden Raketen warnen.

Ungerührt von den Beschwerden der Wissenschaftler und einem Appell des Uno-Generalsekretärs U Thant, gab die Atomenergie-Kommission zu, daß die Weltraumtests in der Tat »eine Störung der natürlichen Strahlengürtel verursachen« würden. Indes: Innerhalb weniger Wochen oder Monate würden alle Effekte verschwunden sein, die von der Bombe ausgelöst werden könnten.

Kühn deklarierte die Atombehörde die Nachteile ihres Bombenexperiments als Vorzüge: Die Explosion, verlautbarte die Atomenergie-Kommission, biete den Wissenschaftlern »eine Gelegenheit, wichtige wissenschaftliche Daten über die Physik der oberen Atmosphäre sowie über die Natur und die Ursache der Van-Allen-Gürtel zu erhalten«.

Strahlengürtel-Entdecker Van Allen sei auch der Ansicht, daß die Bombe nur vorübergehend den unteren Strahlengürtel verändere, erklärte Präsident Kennedy auf einer Pressekonferenz zur Rechtfertigung der Versuche. Witzelte der Präsident: »Schließlich ist es sein Gürtel!«

Als nach zwei Fehlschlägen die Bombe am 9. Juli platzte, löste sie eine Flut verärgerter Kommentare aus. »Dies war ein schwarzer Augenblick in der Geschichte der Menschheit«, grollte Sir Bernard Lovell. Der Japaner Miyaji, Chef eines astronomischen Observatoriums, nannte die Explosion einen »barbarischen Akt«. Und der Präsident der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, Mstislaw Keldisch, lamentierte: »Die Amerikaner haben den Weltraum verschmutzt. Sie haben uns damit ein wichtiges wissenschaftliches Experiment verpatzt.«

Die Veranstalter des Atomblitzes im All waren anderer Ansicht. Alle Schwarzseher hätten unrecht behalten, teilte die Atomenergie-Kommission nach dem Versuch mit: Die Strahlengürtel der Erde seien unbeschädigt geblieben, das Magnetfeld kaum erschüttert worden. Überhaupt habe die Bombe keine bemerkenswerten Störungen verursacht.

Am 19. August jedoch verkündete Strahlenforscher Van Allen eine verblüffende Neuigkeit: Die Bombenexplosion habe einen dritten, über 600 Kilometer dicken und über 6000 Kilometer breiten Strahlengürtel erzeugt, der die Erde enger als die beiden natürlichen Strahlengürtel umfasse. »Die Strahlung ist eine Sache von Bedeutung«, gestand der Wissenschaftler, »und es ist möglich, daß die Flüge mit 'Merkur'-Kapseln verschoben werden müssen.«

Verschoben wurde zunächst der Gruppenflug der sowjetischen Astronauten Nikolajew und Popowitsch. Die Sowjets schickten, so wenigstens deuteten amerikanische Behörden den Start des Sowjet-Satelliten »Kosmos VII«, einen unbemannten Späher ins All, um die neuerstandene Strahlengefahr zu erkunden. Offensichtlich stellte »Kosmos VII« fest, daß für Flüge in geringer Entfernung von der Erde keine Gefahr bestehe. Auch die Amerikaner wollen ihren fünften Astronauten, Walter Schirra, am 28. September sechsmal die Erde umkreisen lassen.

Bei Ausflügen in die weitere Umgebung der Erde oder zum Mond indes dürfte sich der neue Gürtel als hinderlich erweisen. Hatten die Experimentatoren anfangs geglaubt, der künstliche Strahlengürtel werde sich schnell auflösen, so ist dieser Optimismus längst geschwunden: »Wir erwarten«, erklärte der Physiker Brian O'Brien von der Universität Iowa, »daß der Gürtel noch viele Monate bestehenbleibt.« Andere Forscher rechnen sogar mit einer jahrzehntelangen Lebensdauer des gefährlichen Gürtels. Endgültige Klarheit soll den Amerikanern ein Erdsatellit verschaffen, den sie in Kürze

eigens zur Untersuchung des Strahlenringes ins All schießen wollen.

Inzwischen haben die Amerikaner weitere Folgen der H-Bombenexplosion eingestanden. Mindestens drei Satelliten,

- der erste in England fabrizierte Satellit, »Ariel«, den eine amerikanische Rakete ins All beförderte,

- der amerikanische Navigations-Satellit »Transit IV b« und

- sein Zwillingsbruder »Traac"*,

sind unbrauchbar geworden. Die Funkverbindung mit ihnen wurde durch die Bombe unterbrochen: Elektrisch geladene Partikel des neuen Strahlengürtels haben die Sonnenzellen, von denen die Sender mit Energie versorgt wurden, funktionsunfähig gemacht.

Mit großer Wahrscheinlichkeit hat überdies die US-Luftwaffe einige ihrer Geheimsatelliten eingebüßt, die anstelle der nicht mehr über Rußland eingesetzten U-2-Aufklärer mit Hilfe hochempfindlicher Kameras sowjetische Raketenbasen und -starts beobachten.

Fragte das amerikanische Nachrichten-Magazin »Newsweek": »Weiß die linke Hand, was die rechte tut?«

* Entspricht der Sprengkraft von zwei Millionen Tonnen des herkömmlichen Sprengstoffs TNT.

* »Transit IV b« und »Traac« wurden am 15. November 1961 mit derselben Rakete ins All geschossen. Sie umrunden die Erde gemeinsam und dienten speziellen Navigationsexperimenten.

Strahlen-Forscher Van Allen

Störfeuer im All

Wasserstoffbomben-Widerschein (nachts über Hawaii): Drei Satelliten mattgesetzt

Astronom Lovell

Sowjets schickten Späher

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