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STARS »Viele unterdrückte Emotionen«

Hollywood-Star Jim Carrey, 43, über seine neue Familienkomödie »Dick und Jane«, seinen zerstörten Traum von Amerika und seine Depressionen
Von Verena Araghi
aus DER SPIEGEL 3/2006

SPIEGEL: Mr Carrey, in der Krimi-Komödie »Dick und Jane« spielen Sie einen luxussüchtigen Familienvater, der überraschend arbeitslos wird und deshalb in Schulden versinkt. Meinen Sie, dass die Welt heute über so ein Thema lachen kann?

Carrey: Natürlich. Das soziale Klima hat sich so stark verändert, dass die Komödie genau zur richtigen Zeit kommt. »Dick und Jane« ist das Remake eines Films aus den siebziger Jahren, in den Hauptrollen traten damals Jane Fonda und George Segal auf. Die Idee, die Story neu aufzulegen, hatte ich schon lange. Doch erst vor zwei Jahren wusste ich, dass ich jetzt etwas Komisches daraus machen konnte.

SPIEGEL: Das Original von »Dick und Jane« war eine Satire auf die amerikanische Gesellschaft in der Nach-Nixon-Ära. Ihre Neuverfilmung spielt im Jahr 2000 zur Zeit des ersten Bush-Wahlkampfs. Wo ziehen Sie die Parallelen?

Carrey: Nach Präsident Nixon haben die Amerikaner kapiert, wie korrupt es in ihrem Land zuging. Sie dachten, hey, so böse können wir auch sein, und wollten es den Kerlen heimzahlen. Das ist heutzutage ähnlich. Im Rückblick sehen wir, wie naiv wir alle vor der Präsidentschaft von George W. Bush waren. Wir hatten keine Ahnung, dass die große Wirtschaftsblase platzen könnte, glaubten uns in Sicherheit, bevor das World Trade Center einstürzte.

SPIEGEL: In einer Szene Ihres Films hält George W. Bush im Schlafzimmerfernseher eine Wahlkampfrede, während Sie im Bett über Ihre Frau herfallen ...

Carrey: ... ich wollte das unbedingt drin haben, weil ich zeigen wollte, was Bush für ein tolles Aphrodisiakum ist. Nein, im Ernst, die Szene sollte zeigen, wie schlimm die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind. Es scheint doch heute, als läge das Jahr 2000 schon hundert Jahre hinter uns. Auch die Ansprüche der Leute haben sich verändert. Es reicht nicht mehr, ein treusorgender Familienvater zu sein, der seiner Frau ein Haus baut und die Kinder aufs College schickt. Wenn du heute nicht Bill Gates bist, bist du eigentlich niemand.

SPIEGEL: Sie wollen jetzt nicht sagen, dass Sie ein Niemand sind?

Carrey: Doch.

SPIEGEL: Immerhin gehören Sie zu den bestbezahlten Schauspielern Hollywoods, kassieren bis zu 30 Millionen Dollar pro Film. Was machen Sie mit Ihrem Geld?

Carrey: Ich gebe gern einer Menge Menschen davon ab. Manchmal bringe ich sogar belegte Brote mit zum Set.

SPIEGEL: Klingt, als seien Sie das genaue Gegenteil Ihrer Figur in »Dick und Jane«.

Carrey: Ich mache mir in der Tat wenig aus Geld. Gerade deshalb habe ich wahrscheinlich so viel davon. Doch selbst als ich nichts hatte, habe ich mich nicht darum geschert. Früher lebte ich mit meiner ersten Frau in einem Wohnmobil, weil wir uns keine Wohnung leisten konnten. Als wir dann eine bezogen, habe ich sie völlig verrückt gemacht. Am Tag bevor die Miete gezahlt werden sollte, brüllte sie mich jeden Monat von neuem an: Woher sollen wir nur das Geld nehmen? Ich sagte dann immer: Schatz, das wird sich regeln.

SPIEGEL: Stimmt es, dass Ihr Vater mit 51 seinen Job als Buchhalter verlor und nicht mehr in seinen Beruf zurückfand?

Carrey: Diese Zeit war für meine Familie unglaublich hart. Ich war gerade zwölf, als das passierte. Plötzlich zogen wir in ein Industrieviertel am Rande von Toronto.

Meine Geschwister und ich mussten mithelfen, Geld zu verdienen. Morgens ging ich zur Schule, danach schob ich eine Achtstundenschicht in einer Reifenfabrik.

SPIEGEL: Was mussten Sie dort machen?

Carrey: Meistens habe ich geputzt. Ich wurde von den anderen Jungs ziemlich böse schikaniert. Häufig schmissen sie ihren Müll auf den Boden oder schissen ins Waschbecken, weil sie genau wussten, dass ich den Dreck wegmachen musste. Ich war zu dieser Zeit wahnsinnig aggressiv und prügelte mich oft. Zu meiner Verteidigung hatte ich grundsätzlich einen Baseballschläger dabei.

SPIEGEL: Was haben Sie als Komödiant daraus gelernt?

Carrey: Ich habe eine ganze Menge eingesteckt in meinem Leben. Aber heute nutze ich all diese Höllen, in denen ich saß, für meine Rollen. Ich könnte heute niemals komisch sein, hätte ich nicht schon Dutzende Male emotional in der Gosse gelegen. Humor entsteht in dem Moment, in dem man sich wieder aufrafft. Vielleicht werden wir gerade dann besonders produktiv, wenn wir uns selbst in unserem Leid nicht mehr ertragen können.

SPIEGEL: Sie litten eine Zeit lang an Depressionen. Wie sind Sie da herausgekommen?

Carrey: Ich saß auf vielen unterdrückten Emotionen und wusste nicht, wohin mit ihnen. Ich habe mit Ärzten gesprochen. Denen fiel aber nichts Besseres ein, als mir Antidepressiva zu verschreiben und mich wieder wegzuschicken. Sie sagten: »Mr Carrey, Ihre Depression ist eine Krankheit wie Diabetes. Ihr Gehirn produziert einfach nicht genug Serotonin. Und wenn Sie Diabetes hätten, würden Sie dann nicht auch Insulin nehmen?«

SPIEGEL: Und Sie haben die Medikamente dann genommen.

Carrey: Eine ganze Weile. Das war natürlich Blödsinn. Es ist doch so: Der Mensch kann schon eine Menge aushalten. Und je bewusster er das tut, desto weiter kommt er. Seit ich unter diesen Medikamenten stand, bin ich ein totaler Gesundheitsfreak geworden. Ich rauche und kiffe nicht mehr und trinke so gut wie keinen Alkohol. Das heißt, es ist im Grunde nichts mehr übrig, was ich noch aufgeben könnte.

SPIEGEL: Sie gelten als einer der größten Clowns in Hollywood. Wie lange wollen Sie noch witzig sein?

Carrey: Ich habe mir noch einiges vorgenommen. Ich will 120 Jahre alt werden. Wenn ich das geschafft habe, bringe ich mich um. Ihr findet dann einen Abschiedsbrief, in dem steht: Ich hab's hier einfach nicht mehr ausgehalten.

INTERVIEW: VERENA ARAGHI

* Mit Téa Leoni und Jim Carrey.

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