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Karl Dietrich Bracher über Franz v. Papen." "Vom Scheitern einer Demokratie" VOM MÖRDER EINER DEMOKRATIE

Professor Karl Dietrich Bracher, 46, ist Direktor des Seminars für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Er veröffentlichte unter anderem die Bücher »Die Auflösung der Weimarer Republik« und »Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur«. -- Franz v. Popen, 88. war van Juni bis Dezember 1932 deutscher Reichskanzler, 1933/34 Vizekanzler in der Hitler-Regierung, später Gesandter und Botschafter in Wien und in der Türkei. Im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozeß 1945/46 wurde er freigesprochen. Er lebt heute bei Baden-Baden.
aus DER SPIEGEL 16/1968

Als Franz v. Papen, Wegbereiter und Diener der Diktatur, vor 16 Jahren anmaßend seine Memoiren unter dem Wort »Der Wahrheit eine Gasse« veröffentlichte, hat er bei Zeitgenossen und Historikern sowenig Ruhm geerntet wie mit seiner politischen Karriere. Einen Gassenhauer der Wahrheit nannte Rudolf Pechel das penetrante Rechtfertigungsbuch des so naiven wie eingebildeten Mannes, der entscheidend zur Zerstörung der Weimarer Republik beigetragen hat. Hinter den Verzerrungen der Wahrheit wurde die unglaubliche Leichtfertigkeit erkennbar, mit der eine kleine Clique um Hindenburg die deutsche Katastrophe von 1933 ermöglichte.

Nun aber versucht sich Papen gar als Geschichtsschreiber und politischer Pädagoge, der gegen die »Schwarz-Weiß-Malerei« einer angeblich gelenkten Zeitgeschichtsforschung wettert und der »deutschen Jugend« seine Erkenntnisse als Staatsmann widmet.

Der neue Papen ist in Wahrheit durchaus der alte: auch als Historiker ein glatter Fehlschlag. Er präsentiert einen verkürzten Neuaufguß der Memoiren, vermehrt um einige private Dokumente und willkürlich ausgewählte Lesefrüchte aus der neueren Literatur. Die kritische Forschung wird mit generellen Seitenhieben auf (meist ungenannte) Historiker abgetan, zu korrigieren braucht Papen nichts. Einige eher zufällige Fußnoten sollen den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit untermauern.

Das Buch bietet nichts als den gespenstischen Nachklang der Illusionen und Fehlhandlungen einer

autoritär-reaktionären

Schicht, die längst den Anspruch verwirkt hat, die Gegenwart oder gar die Demokratie mit erhobenem Zeigefinger zu belehren.

Aber leider kann man nicht sicher sein, ob das Papen-Buch sogleich dort landen wird, wohin es gehört: auf dem Schutthaufen der Geschichte. Seine antidemokratische Ideologie kommt einer fortdauernden und wiederauflebenden nationalistischen Selbstrechtfertigung in der Bundesrepublik entgegen. Geschichtsbild und politische Wertvorstellungen beruhen auf den alt-neuen Schlagworten obrigkeitsstaatlicher Ideologie. Damals wie heute wettert Papen gegen »egoistisches Gruppendenken«, »Parteienherrschaft«, Parlamentarismus und Kompromißdenken, vor allem aber gegen die gesamte Linke und besonders die Gewerkschaften. Im übrigen trifft die Schuld am Scheitern das Ausland.

Demgegenüber glorifiziert Papen die »konservative« Politik der Rechten als angeblich nationalen und überparteilichen Dienst am Staat, schwärmt von der »moralischen Kraft einer autoritären Staatsführung«, verherrlicht kritiklos den »80jährigen Recken« Hindenburg und das Ethos der »alten Soldaten«, preist fast uneingeschränkt den Kurs Hugenbergs und des Stahlhelm. »Die Führer der nationalen Opposition« erscheinen als die eigentlichen Staatsträger, mögen sie noch so antidemokratisch agieren: Nur die Rechte gilt als überparteilich -- die Lebenslüge des Obrigkeitsstaats (Gustav Radbruch).

Während die Nationalsozialisten mit leichtem Tadel davonkommen, SA und Reichsbanner auf gleiche Ebene gestellt werden, sucht Papen vor allem seine persönlichen Rivalen zu belasten: voran Schleicher und die Führung des Zentrums, die ihren ehrgeizigen Rechtsaußen verstieß, als er auf Brünings Posten kletterte. Dabei posiert er als Unschuldslamm und großzügiger Censor Germaniae: Stresemann und Brüning gewährt er einiges Lob, freilich läßt er keinen Zweifel, daß er selbst es besser konnte oder doch gekonnt hätte, wären die bösen Parteien nicht gewesen. Sein Selbstlob enthüllt die Urteilskategorien: Er sei in der »soldatischen Schule« groß geworden, »die den Begriff der Pflicht und der reinen, personenlosen Sachlichkeit« gelehrt habe. Nichts von alledem in der Intrigenpolitik von

An Plattheit nicht zu überbieten sind die grundsätzlichen Betrachtungen zur »Auflösung der Weimarer Republik. Statt Analyse findet der Leser alle rechten Ressentiments gegen die Demokratie wieder: Wohlfahrtsstaat, Klassenkampf und »Kulturbolschewismus« schwächen die Nation, »Interessentenhaufen und Parteiklüngel« atomisieren den »Volkskörper«. Die agrarische Interessenpolitik der Osthilfe steht

* Mit Hitler und Goebbels bei der 1.-Mai-Kundgebung 1933 In Berlin.

freilich darüber: unerhört, daß man den »Sieger von Tannenberg« damit verdächtigt, wenn er sich gegen »agrarbolschewistische« Siedlungspläne der Regierung Brüning wendet.

Kurz, der »Existenzkampf des deutschen Volkes um Sein oder Nichtsein« spitzt sich immer mehr zu. Am Flaggenstreit um Schwarz-Rot-Gold sind »überzüchtete republikanische Gefühlskomplexe« schuld, am Scheitern der »antipreußischen« Weimarer Verfassung der »überspitzte Begriff der absoluten Volkssouveränität« oder gar ein »überspitzter Freiheitsbegriff«. Linke Kritik am antirepublikanischen Verhalten der Reichswehr ist kurzerhand Verunglimpfung »deutschen Soldatentums«, auch wenn es um die Machenschaften illegaler Aufrüstung geht.

Es ist eine schier endlose Blütenlese aus dem Geschichtsbuch des deutschnationalen Spießbürgers, die Papen bietet. Wenn es Parallelen zwischen Weimar und Bonn gibt, dann vor allem in der Auffassung, ein starker Staat sei einer komplizierten Demokratie vorzuziehen. Für Papen reduziert sie sich auf den forschen Anspruch, »Ordnung in das Parteigezerre ... zu bringen. Welche Schuld die Rechte, und mit ihr Papen, am Nichtfunktionieren dieser Demokratie trug, wird gänzlich verschwiegen. Papens Grundthese ist es geradezu, in Hugenberg und den Deutschnationalen das Rückgrat des Staates zu erblicken.

Die Quellen und Zitate des Buches sind ganz nach dieser Sicht ausgewählt. Leute wie Hugenberg und Schacht gelten als die unanfechtbaren Autoritäten, die anderen trifft das Verdikt parteipolitischer oder gar imker Gesinnung. Was Papen oder seine »Assistenz« an scheinbar wissenschaftlichen Belegen dafür finden, wird entsprechend zurechtgestutzt. So werden zum Beispiel meine Bemerkungen zum Verhalten der SPD 1930 verkürzt montiert, falsch zitiert und aus dem Zusammenhang gerissen; was an gründlicher historischer Kritik an der Rechten und an Papen selbst zu sagen war, wird durchgängig unterschlagen.

Mit den Fakten hapert es nicht minder. So wird behauptet, die Republik wäre ohne den Artikel 48, den es damals noch gar nicht gab, ein »Opfer der Spartakisten« geworden. Eine totalitäre Mehrheit gab es erst nach den von Papen ausgelösten Wahlen im Juli 1932. Von der Abwehr des preußischen Volksbegehrens 1931 durch demokratische Parteien und Regierung schreibt er in wildem Haß, sie hätte »kommunistischen Methoden bei der Machteroberung im Reich in nichts« nachgestanden. Kein Wort davon, daß bei dieser Kampagne Deutschnationale und Stahlheim mit Nationalsozialisten und Kommunisten gegen die Republik kämpften.

Auch sonst lamentiert er wahrheitswidrig über die »diskriminierende und schikanöse Behandlung der Rechten« und macht für die Straßenschlachten stets die KPD verantwortlich. Und Frick, der 1930 als thüringischer Innen- und Volksbildungsminister einseitigste NS-Personalpolitik betrieben und dem »Rasse-Günther« eine Professur in Jena verschafft hatte, ist für Papen noch heute ein »gemäßigter Mann, der seinerzeit die Regierung in Thüringen mit Vernunft geführt hatte«. So akzeptiert er ihn 1933 auch als Innenminister -- mit dem durchschlagenden Erfolg der Gleichschaltung. Über »eventuelle (!) Totalitätsbestrebungen der NSDAP« glaubte er sich erhaben.

Die Verfassungskenntnisse endlich gehen so weit, daß Papen Verfassungsbruch und »Notstandsregelung« kurzerhand gleichsetzt. Daß ihm die Berufung Hitlers als gänzlich verfassungsmäßig gilt, ist darob nicht verwunderlich. Er verschwendet keinen Gedanken darauf, was es konstitutionell bedeutete, dem geschworenen Feind der demokratischen Verfassung die volle Regierungsgewalt samt uferlosen Notstandsbefugnissen auszuliefern. Statt dessen beruft er sich auf jene letzte Geschichtslüge, »daß wohl eine Mehrheit des deutschen Volkes diese Regierung und das von ihr vorgelegte Programm« schon vor den Märzwahlen 1933 begrüßt hätte. In Wahrheit besaßen NSDAP und DNVP nur 42 Prozent der Stimmen, und erst die Manipulationen der Machtergreifung haben dies geändert.

Aktuell gebärdet sich Papen in der Kritik am Verhältniswahlsystem, das er ohne weitere Beweisführung als »selbstmörderisch« denunziert. Dabei unterlaufen ihm nicht nur Fehler (so placiert er die Fünf-Prozent-Klausel des Wahlgesetzes fälschlich ins Bonner Grundgesetz). Er verschweigt auch, daß unter seiner Regierung der reaktionäre Plan verfolgt wurde, das allgemeine gleiche Wahlrecht überhaupt zu beseitigen. Nun erweckt er den Anschein, als sei es um das heute so modische Mehrheitswahlrecht gegangen (das der NSDAP übrigens schon 1932 die Zweidrittelmehrheit im Parlament beschert hätte).

Ebenso scheinheilig kritisiert er, man habe den Gegnern der Demokratie gestattet, »im Vollgenuß demokratischer Freiheit diese selbst zu zerstören« -- aber dazu gehörten doch nicht zuletzt Papens deutschnationale Freunde, und kein Kanzler hat wie er in so kurzer Frist so viel zur Inflation der Wahlen beigetragen. Wenn er vom Selbstmord Weimars spricht, vergißt er nur zu gerne, daß es nicht wenige bewußte und beredte Mörder gab. Unter ihnen gebührt Papen nebst dem vielgelobten »Hugenberg und seinen Mannen« eine hervorragende Stellung.

Die Einzelbeschreibung der Entwicklung 1930 bis 1933 wärmt schließlich die längst widerlegten Legenden der Memoiren erneut auf.

Natürlich behauptet Papen im Einklang mit unseren konservativen Historikern, es habe überhaupt nur noch die Möglichkeit des Präsidialregimes ohne und gegen das Parlament gegeben, als die Große Koalition mit so verdächtiger Eile durch das rechtsorientierte Brüning-Experiment von oben ersetzt wurde. (Konsequent erhebt er Hindenburg und den Artikel 48 zu den einzigen Garanten des Staatswohls; sonst ist von der Verfassung kaum die Rede.)

Dem Zentrum macht er den grotesken Vorwurf, es habe sich zumal in Preußen zu weit nach links orientiert (als Beweis gilt ihm auch, daß der Katholikentag 1932 im industriellen Essen stattfand). So versuchte er »im Bunde mit konservativen Parteifreunden« und mit Hilfe seiner Berliner Zeitung »Germania«, die er durch Ankauf vor dem »Eindringen antireligiöser Elemente« bewahrte, das Zentrum auf Rechtskurs zu bringen.

Das Ziel war klar: Die endgültige Ausschaltung der Linken (Liberale existieren für ihn ohnehin kaum) durch eine »nationale Konzentration« forderte Papen seit 1930 unablässig. Brüning mußte fallen, da er diesen Kurs nicht entschieden genug betrieb und die versteckte Diktatur nicht der parlamentarischen Verbrämung« entledigte (Papen an Schleicher 1931). Und als Papens offen antiparlamentarischer Kurs scheiterte (der kaum zehn Prozent hinter sich hatte), brachte er konsequenterweise das Hitler-Kabinett zustande.

Auch hier wimmelt es nur so von Verfälschungen. Papen schiebt zuletzt alles auf die Intrigen Schleichers und die wirre Propaganda des »Tatkreises« um Hans Zehrer, der gewiß eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Aber die Stände-Ideologie des Papen-Kreises war nicht minder wirr. Seine eigene gewerkschaftsfeindliche Wirtschaftspolitik hält Papen der »konzertierten Aktion« Schillers für vergleichbar. Und noch einmal will er uns die phantastischen Rettungspläne seines autoritären Staates wilhelminischfaschistischer Mischung glaubhaft machen, obwohl er nun auf einige unzeitgemäße Details verzichtet.

Aber schließlich läuft doch alles darauf hinaus, daß niemand anders als Papen die entscheidenden Verbindungen zum Hitler-Kabinett geknüpft hat: im Verein mit Meißner und dem in der Verfassung nicht vorgesehenen Hindenburg-Sohn Oskar. Schon im Dezember 1932 hat Papen vor dem »Herrenklub« den Schwulst des Dritten Reiches eingeübt, den er noch heute stolz zitiert: »Nie war das Prinzip vom Führer und der Gefolgschaft wahrer, lebendiger und zwingender als in diesen Tagen ...«

Das war leicht auswechselbar. Was demokratische Führung ist, begreift Papen bis heute nicht, wenn er die unmittelbare Vorgeschichte der Hitler-Regierung gar mit Kennedys Parole der new frontiers in Parallele setzt. Schleicher habe dem deutschen Volk nichts zu bieten gehabt: Papen hat es

die »nationale Konzentration« mit Industrie, Reichslandbund, Stahlhelm, Hugenberg und vor allem mit Hitler. Als »rückgratlos wie Austern« hat er Schleicher und Hammerstein vor Hindenburg beschimpft. Das trifft zuallererst auf ihn selbst zu.

Es ist wohl kein Zufall, daß Papens Buch am 30. Januar 1933 abbricht. Nichts davon, wie vollständig er in der selbstgewählten Rolle als Kontrolleur Hitlers versagt, wie bereitwillig er auch nach Ermordung seiner Freunde dem Gewaltregime gedient hat, als Hugenberg und viele konservative Freunde längst genug hatten. Statt dessen präsentiert er im Anhang den barmherzigen Persilschein' den Brüning ihm zur Entnazifizierung 1949 ausgestellt hat -- und läßt diesem unverändert selbstbewußt noch das bombastische Regierungsprogramm vom 1. Februar 1933 folgen, mit dem die Hitler-Papen-Regierung den Weg in die Zerstörung Deutschlands und Europas begann.

Wenn das Machwerk etwas lehrt, so den Bankrott der konservativ-autoritären und nationalistischen Staats-Ideologie. Das mag im Lande Axel Springers und der NPD eine Warnung sein.

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