SCHAUSPIELER Vom Schloß zur Schwarte
Adel verpflichtet, und natürlich ließen sich die Illustrierten die Chance zur Hofberichterstattung nicht entgehen. Da fasziniert in der Fernsehschnulze »Schloß Hohenstein« die Darstellerin einer Medizinstudentin ein Millionenpublikum. Sie hat blaue Augen, sinnliche Lippen und in der TV-Schmonzette ein reines Herz: Der schöne Graf (Mathieu Carrière) erglüht in Liebe. Da hatte der Seriengott etwas angerührt.
Daß der Carrière-geküßte Engel auch noch von der blaublütigen Diplomatentochter Sophie Christina Eugénie von Kessel, 28, gespielt wurde, setzte - Adel zu Adel - die mediale Phantasie in Wallung. Also fielen die Reporterscharen nach Ausstrahlung der ersten »Hohenstein«-Folgen 1993 in die Dachwohnung der Schauspielerin ein, die damals am Aachener Stadttheater engagiert war. In den Storys las man dann von der »Romantik-Frau«, dem »Edelfräulein« und vom »süßen Schmollmund« in der »bretterharten« Welt der Provinz: ein flockiger Medienbrei, von schadenfroh-schlichter Machart wie der Schaum, aus dem die TV-Serien sind - jetzt muß sich das früh hochkatapultierte Häkchen erst mal krümmen.
Mußte es auch - bloß nicht so, wie sich das die bunten Blätter so dachten. Im blauen Dunst über blaues Blut war übersehen worden, daß die Kessel alles andere als beglückt übers Anfängerglück war, in einer Serie untergekommen zu sein. Der Weg ins Theaterengagement war eine Flucht.
Nicht nur die Rolle des ewig lieben, wohlerzogenen Fräuleins von »Schloß Hohenstein« machte ihr die Arbeit zur Qual. Hinzu kam, daß die Absolventin des Wiener Max-Reinhardt-Seminars mit einjähriger Zusatzausbildung in New York früh zu ahnen begann, was sie heute weiß: »Du gewöhnst dir einen Fernsehton an, ein Plätschern, das an der Oberfläche bleibt. Du merkst nicht mehr: Wie tief kann ich gehen?«
Solche Probleme - es war die erste Erfahrung der Jungaktrice in ihrer Aachener Zeit - interessieren die TV-Branche nicht. Einmal Noblesse, immer Noblesse, das Fernsehen bombardierte Kessel mit Angeboten, die das »Schloß Hohenstein«-Image phantasielos und stur variierten. TV-Adel vernichtet Alternativen. Die Schauspielerin widersetzte sich standhaft: »Ich habe mir geschworen, so etwas nie wieder zu machen.«
Gut gebrüllt, wie es sich für eine angehende Theaterlöwin gehört. Sie sagte die Fernsehrollen ab, aber die Provinzbühne verweigerte Sinn und Tiefe. Fräulein Sophies Gespür für Schmäh - es hatte sich in der Bühne getäuscht.
Die TV-Asketin begegnete der ganzen Leere und Sinnkrise des asthmatischen Instituts Theater. Da gab es Regisseure, so unsicher wie eitel, die einfach die künstlerische Verantwortung der Schauspielerin zuschoben: »Sophie, findest du gut, wie du den Satz eben gesprochen hast? Ja? Gut, dann sprich ihn so.«
Über die ersten Enttäuschungen half sich Kessel mit den typischen Tröstungen des Jungseins hinweg: »Ich hatte das Gefühl, immer ein Stüfchen über den Dingen zu stehen, einen unbewußten Schritt weiter zu sein, die Hoffnung, eines Tages wird alles anders werden.«
Begegnet man ihr heute, dann ist nichts von der Schwester Leichtfuß zu spüren. Unaffektiert, illusionslos, bar jeden Anflugs von Larmoyanz vermag sie in schnellem Redefluß die Selbststeuerungsprobleme des modernen Schauspielerberufs auszubreiten. Wer ihr zuhört, kann alle Vorstellung vom süßen Mimenleben vergessen. Geniale Gurus, ein enthusiasmiertes Publikum, kollegialer Furor - weniges von Wilhelm-Meister-Träumen wurde für die junge Frau am Theater wahr. »Ich fühle mich überfordert«, sagt sie, »ständig allein Entscheidungen zu treffen, obwohl ich mich noch gar nicht soweit fühle.« Keine 30 und schon ganz schön weise, zwangsläufig.
Schauspieler zu sein bedeutet, folgt man Kessel, ein gerüttelt Maß an Einsamkeit, ein selbstkritisches Suchen nach eigenen Wegen, ein permanentes Wägen von Risiken, eine ständig auszutarierende Balance zwischen seltener innerer Befriedigung und den Erfordernissen des Berufs. Die opportunistisch auf Zuschauererfolg programmierte Fernsehindustrie und zunehmend konzeptionslose Theater machen aus tendenziell ohnehin egomanen Schauspielern auch noch Ego-Nomaden, Kleinunternehmer, die auf eigenes Risiko arbeiten.
Nach Aachen legte Kessel eine einjährige Theaterpause ein, konzentrierte sich aufs Fernsehen. Danach ging sie wieder in ein Theaterengagement (nach Köln), beschränkte die TV-Filmerei auf die Theaterferien (mit der Folge, daß sie seit zwei Jahren nicht einen Tag Urlaub gemacht hat) und sucht ein neues Engagement mit mehr Freiräumen - die Verbindung von Bühne und Fernsehen bleibt jedoch für die Schauspielerin ein nerviges Patchwork.
Vor allem, weil sich im ständigen Wechsel von Kamera und Guckkasten so leicht der Überblick für die eigene Leistung verlieren läßt. Und das wäre für eine Sophie von Kessel, die alles, aber vor allem sich selbst kontrollieren muß, das Schlimmste.
Der TV-Film »Alte Liebe, alte Sünde«, an diesem Montag im ZDF, war so eine Herausforderung an Sophies auf Durchschaubarkeit angelegte Welt. Das im sattgrünen Münsterland spielende Melodram - eine junge Restauratorin (Kessel) deckt die sexuellen Perversionen ihres gewalttätigen Vaters auf - bilanziert die Darstellerin nach Soll und Haben.
Manches ist da ihrer Meinung nach aufgegangen. So die Sache mit der Fettschminke. Anno Saul, der junge Regisseur, bestand gegen das Murren der Schauspieler darauf, einige Darsteller mit einer dicken, glänzenden Creme im Gesicht spielen zu lassen. Kessel: »Wir sahen aus wie die Speckschwarten. Ich dachte, die Idee geht nicht auf. Aber dem Film sieht man so Hitze, Schweiß, Erdigkeit an. Die Vergangenheit klebt an den Figuren.«
Nicht ausgeräumt sind dagegen andere Bedenken gegen »Alte Liebe, alte Sünde«. Kessel findet, daß ihre Rolle »zu zentral konzipiert« ist: »Berühmte Filme leben vom Zusammenkommen der Gegensätze. Der Zuschauer kann nur über mich in die Geschichte einsteigen, und wenn der sich nicht mit mir identifiziert, kann das superelend fad sein.«
Für die Identifikation des Zuschauers kämpft Kessel auf ihre Art. Sie knausert mit ihrer Anmut und allen weichen Seiten und gibt einen entschlossenen Racheengel, der mit der Zornesfalte im schönen Gesicht auftrumpft. Da kommt es nicht nur der Produzentin Jutta Lieck so vor, als wolle Kessel ihr »Schloß Hohenstein«-Image unter allen Umständen vergessen machen.
Auch in anderen Fernsehrollen erinnerte nichts an das Klischee vom braven Fräulein. In »Amerika« (1996) sieht man Kessel - ebenfalls in der Hitze des Sommers - als handfeste Kämpferin und ehrgeizigen Boß. Sie möbelt gegen tausend Widerstände eine heruntergekommene Dorfkneipe im gottverlassenen Osten zu einem Edelfreßtempel auf. Im »Tatort: Der kalte Tod« gar serviert die Regisseurin Nina Grosse die Schauspielerin als leichenstarres Mordopfer auf dem Seziertisch eines wahnsinnigen Pathologen: Sophie kalt, das Blau des Blutes ist da nun wirklich keine Frage des Adels mehr.
Der Adelskaste ist die Kessel im Fernsehen entflohen, aber auch der Klischeesucht des Mediums? »Bei immer neuen Regisseuren«, sagt sie, »liefere ich immer nur das ab, was ich immer abliefere.« Wie andere aus der Generation nach Fassbinder sehnt sich Kessel nach der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, nach ensembletreuen Filmemachern wie Helmut Dietl oder Max Färberböck ("Bella Block").
Im Theater hat die Wanderarbeiterin erst recht keine Heimat gefunden. Dabei erlebte sie erst jüngst ein Highlight. Sie wurde für Alexander Langs »Tasso«-Inszenierung ans Deutsche Theater in Berlin verpflichtet. Da sprang sie als Biedermeier-Schäferin mit Forke und Rechen über die Kunstrasenbühne, zerlegte auf Geheiß des Regisseurs den Goethe-Text in Wortkaskaden, deren Sinn im Tempo entschwand, und bekam von der Kritik bescheinigt, sie und ihre Kollegin hätten sich »so entsagungsvoll in ihren Part der geschwätzigen Schnepfen« gefügt, »daß sie nicht nur Lacher provozieren, sondern der Inszenierung den Mehrwert eines Gehorsams eintragen, der sich selbst dementiert«.
Sophie von Kessel steht zu ihrem bedingungslosen Gehorsam. Auch wenn sie nicht recht begreift, warum Lang einem Klassiker seine Klassizität austreiben muß. Und sei es auch der Wahnsinn des Regietheaters, so hat es immerhin Methode. Der junge Star aus der Kölner Provinz bewundert die Konsequenz und Grimmigkeit der Probenarbeit und den Mut des Regisseurs, sich vor einem rebellierenden Publikum unverdrossen zu verbeugen. »Mich hat man schon mit Tomaten beworfen«, habe Lang gesagt.
Solche Mutproben kennt sie in Köln auch. Sie weiß, was es heißt, sich in einer von der Kritik verrissenen »Wie es euch gefällt«-Inszenierung (frankfurter rundschau: »Melancholie des Unvermögens") vor leerem Zuschauersaal in der Rolle der Rosalinde zu behaupten und zu trösten. »Da spürst du dich als Schauspieler viel mehr als im Fernsehen.«
Sie lobt, was hart macht in den Zeiten, da die künstlerische Verantwortung oft wie ein Schwarzer Peter im Bühnenbetrieb herumwandert und am Ende die Schauspieler die Dummen sind. Aber Kessel will nicht verhärten. Ihren Idealismus sieht sie verwahrt »wie in einem Glaskasten«. Es sei schwer, ihn zu bewahren. »Aber wenn der verloren ist, ist alles verloren. Es gibt schon viel zu viele Beamte in unserem Beruf.«
Solche Leute verachtet sie. Nicht Adel, berechtigter Tadel verpflichtet.