Vom Weißen, der schwarz sein wollte
Schon wieder? Seit langem redet man uns ein, daß die Mode der fünfziger Jahre die Mode von heute sei. Wer den Plattenmarkt beobachtet, den kleinen hartnäckig lebendigen des Jazz, findet dafür viel Bestätigung. Immer mehr von den alten Platten (nicht nur die des ewigen Miles Davis) werden neu veröffentlicht. Soll das allein an der Schlauheit der Firmen liegen, denen diese Politik wenig Kosten und Mühe macht? Schließlich wird gekauft, was sie da billig produzieren. Daß es nicht billig ausschaut, dafür sorgen sie: »Digital« steht auf den Etiketten und »audiophil« - wir haben es mit Sammlerstücken zu tun.
Zu denen, deren Musik jetzt von den jungen, dem Pop entfremdeten Jazzfans der 80er Jahre wiederentdeckt werden, gehört Art Pepper, Protagonist des sogenannten West Coast Jazz, der kühlen »weißen« Spielart, wie sie damals in Los Angeles florierte. Sie galt vielen als glatt und oberflächlich im Gegensatz zum Jazz der Ostküste, dem Hardbop aus New York, der soviel kräftiger erschien und echter - und eben »schwarz«. Der weiße Musiker Art Pepper hat sehr gelitten unter dieser Zuordnung und wild dagegen gewettert.
Pepper starb 1982. Danach gibt es im Handel mehr Art-Pepper-Platten als je zu seinen Lebzeiten. Doch manches spricht dafür, daß sie nicht bloß den Trend erfüllen. Denn ein Teil der Aufnahmen, die jetzt zum erstenmal erscheinen, stammt aus Peppers letzten Jahren, und da galt die Aufschrift »West Coast« längst nicht mehr, da war er nicht mehr kühl und verbindlich, sondern seine Musik war Schmerzensmusik, Zeugnis eines kaputten Lebens, zerstört durch Rauschgift, durch Gefängnisse und Entziehungsanstalten.
Die Legendären Figuren des Jazz sind Legenden auch durch ihre Biographie geworden, durch die Aura, die sie ihnen verlieh und die, wenn der Mythos mehr als nur Reklame war, in der Musik selber zum Vorschein kam. Art Peppers Musik ist auf besondere Weise autobiographisch.
Der Pepper der fünfziger Jahre war ein durchaus konventioneller Musiker. Er spielte schöne klare Linien auf dem Altsaxophon, unprätentiös und leicht und manchmal auch nur brav. Er war kein Neuerer, sondern einer, der die Standards liebte, die Schlager des Jazz, und bis ans Ende war sein Credo: Der allein dürfe sich Musiker nennen, der das gute alte »Cherokee« beherrsche - das ist so ein Schlager.
Bis der Free Jazz kam, hat sich der Jazz weitgehend ans Schema gehalten - und zugleich propagiert, er sei ganz individuell, nichts als freier, persönlicher Ausdruck. Solcher Ideologie, die beide verklärt, das ungebundene Individuum und die bindende Norm, hat Pepper vertraut, ohne den Widerspruch zu erkennen. Er, der Außenseiter, wollte anders sein als alle anderen und doch dazugehören und von allen geliebt und akzeptiert werden. Fast inbrünstig, hat er an Konventionen geglaubt. An die musikalischen hat er sich geklammert, weil er an ihnen den Halt fand, den ihm die sozialen nicht geben konnten. Musikalisch wollte er anständig sein.
Pepper hat sein Leben aufgeschrieben. »Straight Life« heißt das Buch, das er zusammen mit Laurie, seiner dritten Frau, verfaßte. _(Art and Laurie Pepper: Straight ) _(Life. The Story of Art Pepper«. Schirmer ) _(Books, New York; 520 Seiten. )
Der Titel ist ein bitterselbstironisches Programm. Denn dieses Leben war auf andere Weise folgerichtig, als der Autor sich erträumte.
Dabei wäre er so gern ein guter Amerikaner geworden, einer, der in »gesunder Konkurrenz« obsiegt und als ein »tough guy« von sich reden macht. Als Kind wollte er Boxer werden, alle niedermachen und sich nach oben prügeln. Aber er boxte allein. Wenn ihn keiner sah, war er der Größte. Der erwachsene Art Pepper erklärt: »Ich habe nie etwas angefangen, ohne daß ich der Sieger sein wollte. Darin bin ich ein richtiger Amerikaner
- einer, der kämpft. Zu gewinnen war immer wichtig für mich.« Und er fügt hinzu, das sei vielleicht sehr kindisch.
Pepper galt als Sonderling und sehr sensibel - empfindlich aus Eigenliebe. Wie ein kleiner Junge wollte er gehätschelt und bedient sein, unselbständig, bockig, launisch. Er prahlte gern, er war ein Angeber, und er wußte es. Ob er uns erzählt, wie früh und ausführlich er dem Sex verfallen war, ob er von kühnen Einbrüchen berichtet oder sadistischen Gefängnisphantasien, immer spielt er sich auf, und noch die schrecklichsten Geschichten genießt er auch, weil er sie dem geneigten Leser zur Bewunderung vorführt. Das labile Ich rettet sich in den Größenwahn: »Ich bin jedem, den ich treffe, überlegen... der größte Liebhaber, der größte Musiker... In meinem Kopf ist das gar keine Frage: Wäre ich je verrückt geworden, dann wäre ich wahrscheinlich Jesus. Aber leider war ich nie verrückt. Ich war immer bloß total gesund.«
Art Pepper sagt, was sonst im Kino der Cowboy sagt: Er sei ein »Loner«, ein einsamer Einzelgänger. Die Welt schien ihm feindselig von Anbeginn. Die Ehe der Eltern zerbrach (der Vater war Seemann, Hafenarbeiter und auch ein Angeber), und Pepper wurde der Großmutter anvertraut, einer, wie der Enkel haßerfüllt notiert, kalten und verständnislosen Frau.
Wenn Pepper von dieser Kindheit erzählt, dann erzählt er von Alpträumen, von grausigen Gewitternächten, vom schwarzen Mann. Das Kind ist ganz allein und fürchtet sich. Wenn Pepper von seiner Arbeit berichtet, dann muß er eingestehen: »Ich habe immer noch Angst, wenn ich spiele. Das ist seltsam in diesem Beruf: Was man am liebsten tut, kann einen fast verrückt machen vor Angst.« Ein bißchen Lampenfieber? Angesichts der vielen Menschen, gegen die der Saxophonist auf dem Podium anspielt, redet er panisch und möchte sich verkriechen. Die Wirkung von Heroin wird so beschrieben, daß es die Furcht vor der Menge nimmt.
Rauschgift, sagt Pepper, war unter Jazzmusikern eine Art »kulturelle Tradition«. Damals wurde, wer keine Drogen nahm, als ein »square«, ein Spießer, angesehen. Jazz und Drogen gingen Hand in Hand, weil die Musiker dem Druck, beständig kreativ zu sein, sich anders nicht gewachsen fühlten und weil sie in einer Umgebung arbeiteten, in der das Zeug zu haben war. Das Idol Charlie Parker war süchtig, und wenn er fixte, dann mußte es »hip« und richtig sein.
Der Pianist Billy Taylor vermutet, daß viele Jazzer Rauschgift nehmen, weil »die Musik die einzige Sache ist, an die sie mit einer gewissen Reife herantreten, während sie, auf allen anderen Gebieten unreif sind«. Pepper hatte wenig Chancen, solche Reife zu entwickeln. Mit 17 heiratete er gegen den Willen der Familie, dann war er »on the road«, oft monatelang getrennt von der jungen Frau und von der Tochter. Frau und Kind, an denen er sehr hing, verließen ihn, und es wäre hochmütig, das wiederkehrende »Ich war allein, ich war allein » als Gejammer abzutun.
Pepper hat sich Unsägliches zugemutet, und die späten Photos, die Tätowierungen, der Totenschädel auf dem gebrechlichen Körper, erklären beredt, was aus dem hübschen Jungen geworden ist. Alle erdenklichen Drogen hat er gebraucht und jeden Drogenersatz. Er war ein schwerer Trinker und hat nach eigenem Zeugnis mit dem Trinken in frühester Jugend angefangen. Er beschaffte sich Kokain, vor allem aber und immer wieder und oft unter erniedrigenden Umständen Heroin.
Auf einer Tournee, mit der freundlichen Hilfe von Kollegen, fing er 1950 an mit dem Heroin, und 1953 saß er dann zum erstenmal im Gefängnis. Von den nächsten 14 Jahren verbrachte er neun hinter Gittern - Endstation San Quentin.
Pepper schildert die Gewalt, die im Alltag dieser anderen, geschlossenen Gesellschaft herrscht. Er berichtet von den Spielregeln des Überlebens, jenen besonderen Verkehrsformen innerhalb einer Hierarchie, die auf Drohungen beruht. Und er erzählt von sexuellen Nöten und der Homosexualität in dieser Männerwelt. Erzählt von grauenvollen Tauschgeschäften, davon, daß einer dem Mitgefangenen den Liebhaber abkaufen will oder den Geliebten - mit Zigaretten, Drogen, Geld und mit massiven Einschüchterungen. Pepper haßt Homosexuelle, wie er Schwarze haßt. Eine Art stolzer Homophobie kommt da ans Licht, Berührungsangst, die aggressiv nach außen geht. Überhaupt will er ein Mörder sein: Art Pepper, der Killer, Art Pepper, der Sieger.
Einer der Weggefährten, die in Peppers Buch zu Wort kommen und keineswegs in allem mit ihm übereinstimmen, argwöhnt, daß Pepper gern im Gefängnis saß. Das klingt zynisch, aber einleuchtend. Der prominente Musiker mit der verwegenen Vergangenheit war im Knast ein Halbgott und ein Objekt der Verehrung. Und die Gefängnisgesellschaft diente ihm als Familienersatz. Die Welt war überschaubar, hier war man sicher, hier war man nicht allein.
Jean Genet, der Dichter, der das Verbrechen besingt und die »schöpferische Energie« des Kriminellen, der die Grausamkeit der Strafanstalten preist, weil der Verbrecher sie suche als Lohn für seine Auflehnung, spricht von dem Willen und der Kühnheit, »ein Schicksal zu leben, das jeglicher Ordnung entgegengesetzt ist«. Peppers Biographie legt eine andere Deutung nahe, eine sehr bürgerliche. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und nach verbindlichen Normen erfüllte sich traurig in denen der Gefangenschaft.
Es gibt eine unglaublich reaktionäre Stelle in Peppers Memoiren. Pepper wütet, kaum übersetzbar, so: »Ich wußte, daß man mich einlochen würde, und ich _(1949 im New Yorker »Birdland« mit ) _(Max Kaminsky, »Hot Lips« Page, Lennie ) _(Tristano. )
wußte, daß ich ins Gefängnis käme und nicht schwach werden würde; ich würde kein Denunziant sein wie all die falschen Typen, die Nichtse, die Nullen, die sich überall rumtreiben, der Abschaum, der aus den Ritzen kriecht, die Leute, die die Musik zerstören, die dieses Land zerstören, die Welt zerstören, diese verrotteten, verschissenen, verlausten Typen, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen; die Black-Power-Typen, die einen krank machen, die stinkenden ''motherfuckers'', die sich was drauf einbilden, daß sie schwarz sind...«
Für solche Tiraden gibt es keine Entschuldigung - es gibt Gründe. Der Jazz kennt eine Art umgekehrten Rassismus: Eine weiße Gesellschaft, die Schwarze in Gettos sperrt, erzeugt ihre eigene Gegenkultur, und ein Teil davon heißt Schwarze Musik. Der weiße Jazzmusiker ist beiden Kulturen entfremdet, der weißen, europäischen, und der schwarzen, die ihn nicht dulden will.
Pepper mußte die Band von Benny Carter verlassen, weil sie eine Tournee in den Süden der USA unternahm, und als er wenigstens als Zuhörer dabeisein wollte und sich den Weg zum Podium bahnte, um die Kollegen zu begrüßen, wurde er von Schwarzen verprügelt und vertrieben. Soviel Abscheu und Verachtung habe er von Weißen nie erfahren. In San Quentin verschärfte sich Peppers Rassenhaß. Der Stolz, den er an den Schwarzen wahrnahm ("Weiße können Jazz nicht spielen"), kränkte seinen eigenen.
Eine seiner schönsten Platten ist »Art Pepper Meets The Rhythm Section« von 1957. Dann spielte er mit der Rhythmusgruppe von Miles Davis, und es wirkt geradezu rührend, wie er seine Freude darüber äußert, daß er mit diesen Schwarzen musizieren darf, und mehr noch, daß sie ihn anerkennen. »Und sie haben mit Miles gespielt! Und ich bin weiß!« Man muß anfügen, daß Pepper ausdrücklich betont, er sei nicht nur verächtlichen, militanten, sondern auch »guten« Schwarzen begegnet. Er hat farbige Musiker in seinen Bands gehabt. Aber das vergißt er, wenn er loslegt gegen die Black Power und sich in den Kopf setzt, ein Komitee zur Rettung der weißen Rasse zu gründen.
Von Musik handelt Peppers Buch kaum. Die ist das Wichtigste in diesem Leben, das spürt man in jeder Zeile, aber sie wird nicht reflektiert. Es gibt Hinweise auf die Vorbilder Lester Young und Charlie Parker, es gibt die dürren Daten der Karriere. Mit neun nahm Pepper Klarinetten-Unterricht, mit 13 spielte er Altsaxophon, mit 17 war er Profi im Stan Kenton-Orchester. Dann kamen die ersten Schallplatten, unter eigenem Namen, dann wurde die Karriere unterbrochen, und die Unterbrechungen dauerten meist länger als die Aktivitäten selbst.
15 Jahre war Pepper der Szene fern geblieben, als er 1975 wieder ins Studio ging und sein Comeback vorbereitete. Ein gewandelter Art Pepper, einer, der den neuesten Jazz wahrgenommen und sich zu eigen gemacht hatte, und das heißt vor allem: die Spielweise von John Coltrane. In San Quentin war er schwarzen Musikern begegnet, die ganz von Coltrane geprägt waren und seine Musik fanatisch wie eine Botschaft verkündeten. Sie hat ihn erreicht, dem Rassenwahn zum Trotz.
Leben und Kunst wollte Pepper stets trennen. Erst spät erst in den 70er Jahren, hat er zugelassen, daß die Spuren des Leidens in der Musik erkennbar wurden. Daher rührt die Überzeugungskraft des neuen Art Pepper, nicht daher, daß er sein Vokabular auf den jüngsten Stand brachte. Nun klang er auch schrill und unverschämt und traurig und wütend - der gute Amerikaner durfte endlich auch ein häßlicher Amerikaner sein.
Als Art Pepper 56jährig starb, schrieb Gary Giddins in der »Village Voice«, dieser Tod sei keine Überraschung, eher sei es ein Wunder, daß er so lange auf sich habe warten lassen.
Die letzten Auftritte waren die eines lebenden Leichnams. Ihm beim Spielen zuzusehen, »war eine Art grausiges Abenteuer. Seine Soli waren lauter kleine Siege. Man bezahlte dafür, man konnte sich nicht entziehen, sie hatten Spannung, ''suspense''. Trotz der gefälligen Klischees in der Musik, die er meisterhaft beherrschte, machte er uns klar, daß, ungeachtet der Gefälligkeiten und Klischees, keiner je so spielen konnte.«
Es waren immer noch die alten Schlager, aber wie Schlager klangen sie nicht mehr. Die »schöne« Musik war dahin, weil Pepper begriffen hatte, daß es nichts zu beschönigen gab.
Art and Laurie Pepper: Straight Life. The Story of Art Pepper«.Schirmer Books, New York; 520 Seiten.1949 im New Yorker »Birdland« mit Max Kaminsky, »Hot Lips« Page,Lennie Tristano.