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RAUSCHGIFT / ENTZIEHUNG Von innen

aus DER SPIEGEL 47/1970

Die Jungen gehen alle vor die Hunde«, prophezeite Dr. Rudolf Klaue, Direktor der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in West-Berlin.

Die Jungen, jugendliche Rauschgiftsüchtige, weilten zur Entziehungskur in Klaues Klinik. Doch die Ärzte in »Bonnies Ranch« (Berliner Junkie-Jargon) wissen, daß sie den jungen Suchtkranken kaum helfen können. »Die Rückfallquote«, so konstatierte Stationsärztin Dr. Lilian Barth, »beträgt 99 Prozent« -- und so ergeht es jugendlichen Drogenabhängigen in den meisten westdeutschen Großstadt-Kliniken.

Vielerorts in der Bundesrepublik haben deshalb Experten und Laien begonnen, neue Methoden zur Bekämpfung der -- besonders unter Teenagern und Twens grassierenden -Rauschmittelsucht zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen:

* In München gründete der ehemalige Hasch-Händler Joachim Wolf, 22, das Rauschgift-Informationszentrum »Prop«; Wolf und seine Mitarbeiter betreiben eine Druckerei, in der Aufklärungsschriften produziert und zugleich süchtige Jugendliche beschäftigt werden.

* In Reitbrook bei Hamburg richtete die Hausfrau Elke Garbe, 27, eine Wohn-Kommune für junge Rauschgiftsüchtige ein; im Wohnheim des »Projekts Reitbrook«, einem ehemaligen Schulgebäude, genießen die Insassen völlige Freiheit, werden aber von Ärzten, Psychologen und Pädagogen betreut.

* In Hamburg etablierte der Ex-Student Hermann Prigann, 28, einen »Verein zur Bekämpfung der Rauschgiftgefahr e. V.«; Prigann plant eine überregionale Hilfsorganisation, die in mehreren westdeutschen Großstädten Behandlungszentren für jugendliche Drogenabhängige unterhalten soll.

Den Weg zu solchen Experimenten hat eine Studie vorgezeichnet, die im Sommer von dem Berliner Mediziner Professor Friedrich Bschor und seinen Mitarbeitern vorgelegt wurde.

Bei der Drogensucht unter den Jugendlichen, so das Fazit der Forscher-Recherchen, handele es sich um ein neuartiges gesellschaftliches Phänomen, dem von außen schwerlich beizukommen sei: Wer den jungen Fixern wirksam helfen wolle, müsse in das Untergrund-Milieu hinabsteigen und gleichsam von innen her mit der Rettungsarbeit beginnen.

Erfahrungen In den Zentren der Drogen-Bewegung bestätigen die Thesen der Berliner Forschergruppe. Längst haben Behörden und Privatorganisationen in New York, London und Kopenhagen offene Sammel-Lokale für die Suchtgefährdeten eingerichtet. Dort finden die Jugendlichen, die meist mißtrauisch In ihrer Protesthaltung gegen die Erwachsenenwelt verharren, die vertraute Underground-Umgebung -- Beatmusik, Pop-Journale und langhaarige Helfer.

Auf ihre intime Kenntnis der Rauschgift-Szene vertrauen auch die westdeutschen Hilfswilligen, die derzeit mit ähnlichen Versuchen beginnen. Monatelang hat Vereinsgründer Prigann in München, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg das Fixer-Milieu studiert. Außerdem besuchten er und seine Mitarbeiter Rauschgift-Hilfszentren In London und Kopenhagen: Nach dem Vorbild der dort schon seit Jahren existierenden »Release Centers« wollen die Hamburger nun in der Bundesrepublik ein Netz von Rettungsstationen aufziehen.

Prigann, der selber mit Halluzinogenen wie LSD experimentiert hat und zu dessen Vereinskollegen auch ehemalige Morphiumsüchtige zählen, fand vor allem in Kopenhagen Modelle erfolgreicher Süchtigen-Hilfe -- etwa ein »Allaktivitätshaus«, wo Drogenabhängige Beatmusik-Gruppen bilden oder auf Lichtorgeln spielen können: Auf diese Weise gelingt es, apathische Rascher und Fixer aus dem Sucht-Bann zu lösen. In einem anderen Hilfszentrum, dem »Kreativ-Institut«, werden Süchtige auf einen -- möglichst schöpferischen -- Beruf vorbereitet, nachdem sie zuvor ambulant oder In »Therapie-Höfen« auf dem Land behandelt worden sind.

Mehr als 70 Prozent der »Release«-Patienten werden in Kopenhagen von ihrer Sucht geheilt, so bestätigt der dänische Rauschgift-Experte Niels Andersen. Auf eine ähnlich hohe Erfolgsquote hoffen Prigann und seine Mitarbeiter. Sie wollen nicht nur Wohnkollektive und Treffpunkte für Süchtige einrichten, sondern auch Aufklärungsfilme drehen und ein Rauschgift-Magazin für Jugendliche herausgeben, das alle zwei Monate erscheinen soll.

Zudem möchten die Vereinsgründer einen Beitrag zur Erforschung der Suchtkrankheiten leisten: In »therapeutischen Wohngemeinschaften« sollen junge Drogensüchtige, von Fachleuten angeleitet, einzeln und in Gruppen behandelt werden. Neue Therapie-Methoden sollen dabei entwickelt und erprobt werden.

Die Behandlung, glaubt Prigann, müsse den Süchtigen vor allem die »im Individuum wirksamen gesellschaftlichen Mechanismen« einsichtig machen -- die sozialen Bedingungen, die bei den Jugendlichen die Rausch-Neigung auslösen. Unterstützung für den Versuch, Gesellschaftskritik und Süchtigen-Hilfe zu kombinieren, suchte Prigann bei Hamburgs radikalen Linken allerdings vergebens: Rote Zellen und »Salz«, das »Sozialistische Arbeiter- und Lehrlingszentrum«, sehen in Priganns süchtigen Schützlingen keine potentiellen Kampfgenossen.

Aber auch die Behörden der Hansestadt begegneten Prigann bislang mit Zurückhaltung. Zwar sprachen sie Priganns Verein nach gründlicher Prüfung das Prädikat »gemeinnützig« zu -- Geld aber stellten sie nicht zur Verfügung. So beschränkt sich der Verein einstweilen auf die Hilfe bei Notfällen: Die Nothelfer beraten besorgte Eltern und verstörte Fixer oder LSD-Schlucker; für gefährdete Süchtige vermitteln sie Klinikbetten In Hamburger Entziehungsstätten.

Daß derlei improvisierte Hilfsdienste nicht ausreichen, halten die Kenner der Drogen-Szene für ausgemacht. Im bevorstehenden Winter, so fürchtet Prigann, werde die Lage der Jugendlichen Süchtigen kritisch werden- »seit Apotheken-Einbrüche schwieriger geworden sind, haben sich viele von ihnen bewaffnet«.

Für bewaffnete Süchtige aber werde sich zunehmend die Polizei interessieren. Prigann: »Dann ist für uns nicht mehr viel zu machen.«

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