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Pop Vorne kurz, hinten lang

Rod Stewart, der in den kommenden Wochen durch Deutschland tingelt, kann einfach nicht erwachsen werden.
aus DER SPIEGEL 17/1991

Es gab Zeiten, da hatten es Fußballer nicht leicht. Wenn sie erwachsen wurden und nicht mehr schnell genug waren, wollte keiner mehr was wissen von ihnen. Meist waren die Fußballer zu dumm, ihr Geld richtig anzulegen - und so blieb ihnen früher oder später nichts anderes übrig, als eine Tankstelle auszurauben oder in einem Vorstadtkiosk Bleistifte zu verkaufen.

Rod Stewarts Vater hatte einen solchen Kiosk am Stadtrand von London, der Junge wußte, was ihn erwarten würde, und als ein örtlicher Fußballklub ihm einen Profivertrag anbot, sah sich Stewart junior nach etwas Besserem um: Er wollte lieber Rockstar lernen und selbst bestimmen, wann es an der Zeit sei, erwachsen zu werden und die Karriere zu beenden.

Dieser Zeitpunkt, so scheint es, ist noch lange nicht gekommen. Wenn Rod Stewart in diesen Tagen über die deutschen Bühnen stelzt, benimmt er sich nicht so, wie sich das für einen Mann von 46 Jahren gehört. Er trägt einen giftgrünen Anzug, wackelt mit dem kleinen Hintern, wirft sein Mikrofon wie ein Lasso durch die Luft und fragt sein Publikum, ob es ihn sexy finde. Seine Show heißt »Vagabond Tour«, und er ist stolz darauf. Die Zeit, das merkt man, ist für ihn schon vor Jahren stehengeblieben.

Rod Stewart ist ein Star aus den siebziger Jahren, als die Formel Sex plus Drogen plus Rock 'n' Roll noch eine Menge Spaß versprach: blonde, langbeinige Fotomodelle, endlose Champagnervorräte und eine Villa in den Hügeln von Hollywood.

Er ist der letzte naive Rock-Hedonist, einer, der sich darüber freuen kann, wenn seine Bubenträume Wirklichkeit werden. Gern betont er, wie zufrieden er mit seinem Schicksal als Mädchen- und Autosammler sei: »Ich habe das beste Leben von allen.« Kenner schätzen sein Vermögen auf 100 Millionen Dollar.

Auch mit seinen Erfolgen als Rockstar kann er sich sehen lassen. Seit 25 Jahren tritt er mit unveränderter Frisur (vorne kurz, hinten lang) an, seit Jahren setzt er den immergleichen Sound und Rhythmus zu immer neuen Hits zusammen - doch nach wie vor sind seine Konzerte ausverkauft, und die Platten werden vergoldet.

So bequem hat er nicht immer gelebt. Es war um das Jahr 1970 herum, als Rod Stewart die britische Pop-Musik erneuerte. In einer Zeit, in der die meisten Gruppen unauffällig vor sich hin werkelten, in Jeans und T-Shirts herumsaßen und versuchten, das kollektive Bewußtsein mit progressiver Rockmusik zu erweitern, zerstörte Rod Stewart, angezogen mit Satinhosen, Plateauabsätzen und Seidenschals, die Hippie-Idylle und brachte, vor David Bowie und Roxy Music, mit handfesten Soulballaden und überdrehten Rockstücken den Glamour und die Aufregung auf die Bühne.

Doch die große Anerkennung als Künstler blieb ihm erspart. Zum einen, weil seine Band »The Faces« nie mehr sein konnte als ein wilder, ausgelassener Haufen von Trinkern, die am liebsten in der Kneipe saßen, mit Frauen rummachten und mit Dartpfeilen warfen. Zum anderen, weil Stewart selbst nie mehr sein wollte als ein Prolet, der das große Los gezogen hat. Gefragt, was ihn im Leben interessiere, antwortet der Schloßbesitzer Stewart: »Fußball, Alkohol und Weiber - genau in dieser Reihenfolge.«

1975 verließ er England und zog sich, der Steuern wegen, nach Los Angeles zurück. Folgerichtig nannte er seine damalige LP »Atlantic Crossing«. Sie machte ihn zu einem Superstar, zum Sexsymbol des Rock 'n' Roll. Die kühne Symbolik des Plattencovers hatte sich erfüllt - dort zeigte sich Stewart mit einem rosa Trikot, einem Fußball unterm Arm und einer Bierflasche in der Hand, King-Kong ähnlich, in der neuen Welt einfallend. Zu groß für sein Underdog-Image, zu groß für die »Faces«, mit denen er sich zerstritt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er die Solo-Karriere immer als Hobby gesehen, jetzt war sie sein Schicksal, seine große Chance - die er nicht wirklich nutzte. Meist blieb er im süßlichen, amerikanischen Schlagerbrei stecken. »Sailing«, »Every Beat of My Heart«, es klang, als würde Stewart an seiner Sentimentalität ersticken.

Aber selbst auf seinen mittelmäßigen Platten fanden sich immer noch Stücke, mit denen er die alte Form erreichte, wo sich noch einmal der alte, unbeholfene, proletarische Romantiker offenbarte: »You are the greatest football team ever seen«, singt er in einem Liebeslied, »du bist die größte Fußballmannschaft, die ich je gesehen habe« - und hält das für ein Kompliment.

Von all den Hoffnungen des Rock 'n' Roll ist er derjenige, »der aus seinem riesigen Talent am wenigsten gemacht hat«, schreibt der amerikanische Musickritiker Greil Marcus. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gehört er zu den wenigen, die ihre eigene Legende überlebt und heute noch Erfolg haben. Nach zahllosen Affären, darunter mit dem Filmstar Britt Eklund, hat Stewart jetzt das Model Rachel Hunter, 21, geheiratet; er trinkt nicht mehr so viel, daß er den ganzen Tag im Bett liegen muß, und er hat eingesehen, daß es besser ist, sich auf dem Fußballplatz als an seiner Frau abzureagieren. Manchmal, so wird berichtet, zündet er zu Hause sogar ein Kaminfeuer an.

Rod Stewart ist der Fußballer als Popstar und umgekehrt. Sonnenbankgebräunt, graue Strähnchen im blondgefärbten Haar, ein Goldkettchen um den Hals, die Hände in die Hosentaschen gestemmt, spielt er den ewigen Stenz. Seine Band behandelt er mit der lässigen Kameradschaftlichkeit eines Mannschaftskapitäns, und er schafft es, selbst trostlose Hallen in brodelnde Stadien zu verwandeln, wo die Zuschauer seine Gassenhauer mitgrölen.

Mit bald 50 Jahren wartet Rod Stewart immer noch darauf, daß die Pubertät einmal zu Ende geht. Längst ist er ein Profi. Und wenn er nicht als Frank Sinatra der Hooligans in die Geschichte eingeht, dann als Paul Gascoigne der Popmusik. o

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