Hartmut Rosa

Debatte über Waffenlieferungen Wir werden unweigerlich schuldig

Hartmut Rosa
Ein Gastbeitrag von Hartmut Rosa
Wer nun so tut, als wäre Gewalt das ethisch einzig Richtige, der spielt schon Putins Spiel. Waffenlieferungen können nur die absolute Ausnahme sein – als barbarischer Rückfall in einen archaischen Zustand.
Eine Taube über dem belagerten Charkiw am 1. Mai: Eine katastrophische Ausnahmesituation

Eine Taube über dem belagerten Charkiw am 1. Mai: Eine katastrophische Ausnahmesituation

Foto: Ken Cedeno / UPI Photo / IMAGO

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In einem sind sich fast alle Beobachter des entsetzlichen Krieges in der Ukraine einig: Putin darf nicht siegen. Seine Mittel der Gewalt, der Zerstörung, des Mordens und Tötens dürfen nicht triumphieren über das Selbstbestimmungsrecht der Völker, über Menschenrechte, Demokratie, Pluralismus und Meinungsfreiheit. Diese Auffassung teile ich vollkommen.

Indessen mache ich mir große Sorge um die Mittel, mit denen wir versuchen, Putins Sieg zu verhindern. Ich meine damit weniger die Panzer und Gewehre, sondern die intellektuellen und politischen Mittel. Bundeskanzler Scholz hat in einer epochalen Rede vor dem Bundestag am 27. Februar von einer Zeitenwende gesprochen . Worin besteht sie?

Hört man den führenden Politikern und den Meinungsmachern in SPIEGEL, »Zeit« und anderen Leitmedien zu, drängt sich der Eindruck auf, damit sei gemeint, dass das Zeitalter der Abrüstung, des Verhandelns, der Verträge, der friedlichen Annäherung durch Handel, der Diplomatie und der vorsichtigen Vertrauensbildung ein für alle Mal vorbei sei. Endlich, so scheint es, so klingt es, kommen auch die friedensbewegten Deutschen zur Vernunft und sehen ein, dass Waffen und Rüstung, Panzer und Raketen das Mittel zur Friedenssicherung und damit der Weg in die Zukunft sind, nicht das Reden, Verhandeln und Vertrauen.

Zum Autor
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Thomas Mueller / IMAGO

Hartmut Rosa, 56, lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist einer der bekanntesten deutschen Soziologen. Sein Buch »Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung« wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet.

Ist das so? Sind Gewalt, Panzer und Raketen die Mittel der Zukunft? Ist das die Zeitenwende? Dann bedeutet dies: Putin hat sein Ziel erreicht. Putin hat gewonnen. Ab jetzt wird aufgerüstet, alle Rüstungsbegrenzungsbemühungen wie INF-Vertrag und andere Abkommen gehören in die Tonne, alle Verhandlungsformate wie das Minsker Abkommen (um dessen Durchsetzung sich leider niemand jemals wirklich ernsthaft bemüht hat, auch der Westen nicht) waren nur ein Irrweg. Es würde bedeuten: Ab jetzt sprechen wir mit Russland und am besten auch mit China nur noch in der Sprache der Gewalt und der Stärke.

Das würde bedeuten, gegen Russland Krieg zu führen, wenn auch nicht ganz unmittelbar, so weit soll die Zeitenwende dann doch nicht gehen, aber mittelbar, mittels der heroischen ukrainischen Kämpfer. Wer aber sagt, dass die Zeit des Abrüstens und Verhandelns vorbei ist, kann nicht nur auf Panzer und Artillerie setzen, er muss auch nuklear aufrüsten, er darf auch vor Chemiewaffen und biologischen Waffen nicht zurückschrecken, denn den Russen ist nicht zu trauen, den Chinesen auch nicht, Verhandlungen und Verträge gehören der Zeit vor der Wende an.

»Dieser Weg wird die Menschheit geradlinig in den Abgrund stürzen.«

Es bedarf wirklich keiner großen Geisteskraft, um zu erkennen, dass dieser Weg die Menschheit geradlinig in den Abgrund stürzen wird. Einerseits weil die Vernichtungskraft immer größer wird und wir nach den Erfahrungen mit Männern wie Putin und Trump nicht den leisesten Zweifel mehr daran haben können, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis eine fanatisierte, irrationale Horde hüben oder drüben den Knopf drückt oder bis eine unbeabsichtigte Eskalationsspirale in Gang gesetzt wird, die zu verhindern das ursprüngliche Ziel jener Abrüstungsvereinbarungen war, die jetzt von allen großen Atommächten reihenweise außer Kraft gesetzt werden.

Andererseits deshalb, weil keines der großen Menschheitsprobleme – Klimakrise, Pandemien, Artensterben, wachsende Ungleichheit – auf diese Weise gelöst werden kann; im Gegenteil, sie werden sich in einem neuen Zeitalter des Kalten Krieges und der Aufrüstung alle verschärfen.

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Angesichts dieser Realitäten kann man nur fassungslos auf die nahezu euphorische Begeisterung sehen, mit der selbst und gerade ehemals Friedensbewegte nun nach Waffen, Rüstung, Militär und Konfrontation und nach dem Ende aller Kooperation mit dem Gegner rufen.

Was sie nicht sehen oder nicht sehen wollen: Sie machen unfreiwillig Putin zum Sieger. Sie geben die Waffen und Stärken des Westens freiwillig und kampflos auf. Verhandeln, Kompromisse schmieden, Vertrauen bilden – alles dahin. Unser Mittel der Wahl ist nun auch Gewalt. Putins Logik hat gewonnen, seine Sprache hat gesiegt, gekämpft wird nun mit seinen Mitteln.

Eisige Finsternis und Härte

Gewiss, ich weiß, diese Argumentation allein ist zu einfach. Putins Panzer sind nicht mit Worten und Sonnenblumen, auch nicht mit Verhandlungsangeboten zu stoppen. Die Ukraine zur Kapitulation aufzufordern, um unsere moralischen Gewissheiten oder unseren alten Lebensstil zu retten, ist zynisch. Das kann niemand wollen. Und: Die Ukraine nur mit leichten Waffen zu versorgen, die das Leiden und die Niederlage hinauszögern, aber nicht stoppen können, ist ebenso zynisch, ist unverantwortlich. Es kann also richtig sein, in dieser Lage Waffen zu liefern, auch schwere.

Dies ist eine verantwortungsethische Entscheidung in einer moralischen Zwangslage zwischen »diabolischen Mächten« in einer politischen Polarnacht von »eisiger Finsternis und Härte«, wie es Max Weber in seiner Rede von der Politik als Beruf ausgedrückt hat. Weber hat aber keinen Zweifel daran gelassen, dass eine solche Entscheidung ethisch niemals klar und eindeutig sein kann, dass sie uns unweigerlich schuldig werden lässt, weil wir in einem ethischen Dilemma existenzieller Tragweite gefangen sind.

Wer jetzt so tut, als wäre Gewalt das ethisch einzig Richtige, das moralisch unbedingt Gebotene, und als müsste jeder, der daran noch zweifelt, zweifelsfrei ein Lump sein, der spielt schon Putins Spiel, der übernimmt schon dessen Geisteshaltung. Ich bin überzeugt, dass auf lange Sicht die Menschheit nur eine pazifistische Gesinnung retten kann, bei der in letzter ethischer Konsequenz der eiserne Wille steht, im Zweifelsfall lieber selbst zu sterben, als andere zu töten – denn jeder Krieg ist barbarisch und geht mit Kriegsverbrechen einher; jeder.

Aber eine solche Gesinnung kann man nicht und niemals von anderen verlangen, schon gar nicht aus gut geheizten Bürostuben und Hörsälen heraus. Klar muss aber sein, dass eine solche Waffenlieferung, wenn sie denn sein muss, ein solcher De-facto-Kriegseintritt, nur eine katastrophische Ausnahmesituation sein und bleiben kann, ein einmaliger entsetzlicher Rückfall in einen archaischen Zustand.

Wer diesen barbarischen Rückfall aber dazu nutzt, flugs ein neues Zeitalter der Gewaltmittel auszurufen und dieses auch gleich noch im Grundgesetz festzuschreiben, der macht Putin zum großen Sieger.

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