Wahlplakate der Grünen Optimistisches Chlorophyll

Baerbock und Habeck lachen wie Hundehalter, kurz bevor sie »Der tut nix, der will nur spielen!« rufen müssen: Die Grünen haben ihre Wahlplakate vorgestellt – ihr Zielpublikum ähnelt dem der Union.
Eine Stilkritik von Arno Frank
Grüne Wahlplakate: Was macht eigentlich die SPD?

Grüne Wahlplakate: Was macht eigentlich die SPD?

Foto: Michael Kappeler / dpa

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Was ist eigentlich mit der SPD? War da schon was, kommt das noch? Nach den Strategen von der Union haben am Montag jedenfalls die Grünen ihre Kampagne für 2021 vorgestellt. Schon recht, es wird auch in diesem Lager der allerdigitalste Wahlkampf aller Zeiten ausgerufen, mit Instagram und so – besonderes Augenmerk gilt aber den Plakaten.

Würden diese Plakate schlaff und deprimiert aussehen? Weit gefehlt! »Frisch und optimistisch« sollten sie sein, »mit einem klaren Fokus auf die großen Herausforderungen unserer Zeit«. So erläuterte es Michael Kellner, politischer Geschäftsführer der Partei, neulich der taz.

Allein die Farbe schon ist frisch wie eine junge Linde, deren Blätter nach kurzem Landregen von der Sonne geküsst werden. Kein giftiges Neongrün, kein krötenhaftes Warzengrün, kein »Das letzte Bier hätte ich mir besser gespart!«-Grün. Sondern optimistisches Chlorophyll, wie es – zumindest in der Natur – die gelbe oder gar blaue Konkurrenz mühelos zum Verschwinden bringt.

Vielleicht sind solche Sätze auch egal

Die weitere Farbpalette bietet keine Spielereien wie bei der Union, wo ein dünner Rand aus Schwarz, Rot, Gold sehr viel Weiß zu rahmen hat. Die Grünen bleiben grün in der Grundfarbe, die Schrift ist ein kursiviertes Weiß. Fotos sind hier keine Farbfotos, sondern mutmaßlich umweltfreundliche Abstufungen von Grau, das auch mal (Haare und Hose von Robert Habeck) bis zur Schwärze sich verdunkeln kann.

Ergänzt sind alle Plakate mit dem gelben Tupfer der stilisierten Sonnenblume. Als Pflanze auf dem Feld ist die Sonnenblume gewöhnlich schönwettersüchtiges Teil einer gleichgeschalteten Masse. Als politisches Symbol ist sie ein Alleinstellungsmerkmal, wie die sozialistische Rose. Mit ihr teilt sie auf dem Feld der politischen Kommunikation die Aufgabe, Traditionalisten und Nostalgikerinnen mit dem jeweils gegenwärtigen Zustand der Partei zu versöhnen.

Das Gelb der Sonnenblume wird vom Claim der Partei aufgenommen: »Bereit, weil Ihr es seid«. Störrisch verweigert der dreihebige Jambus jeden patriarchalen Rhythmus, eine bürgerliche Metrik. Vermutlich, wie bei den Grünen üblich, weil es »Wichtigeres« gibt. Im Slogan soll laut Michael Kellner zum Ausdruck kommen, dass dem Land schon lange der Sinn nach Veränderung steht – und nur die richtigen Politiker*innen fehlen, die auch in die Wege zu leiten.

»Bereit, wenn Ihr es seid«, wäre allzu zaghaft gewesen. Nicht? Na ja, dann eben nicht. Sanfter und suggestiver aber als in »Bereit, weil Ihr es seid« ist der Machtanspruch grünerseits kaum vorzubringen – hat aber auch seine Fallstricke.

Zuletzt hatten sich die Grünen mit einem Motiv vergaloppiert, das eine ökologische Idealfamilie im Lastenrad zeigte. Rechterseits wurde daran das Übliche bemängelt, linkerseits das patriarchale Geschlechterverhältnis mit Radelvater und chauffierter Gluckenmutter.

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In »Bereit, weil Ihr es seid« könnte aus dieser Richtung auch Ungemach heraufgewittern. Der Satz setzt voraus, dass »wir« bereit sind. Böswillig paraphrasieren ließe sich der Slogan also mit einem schmierigen »Kommt, Ihr wollt es doch auch«; und das können nicht nur die Grünen wahrlich nicht wollen.

Vielleicht sind solche Sätze auch egal. Bei der Präsentation steht Kellner vor dem Hauptplakat, dem Flaggschiff der Kampagne, und rezitiert dessen Slogan: »Unser Land kann mehr, wenn man es lässt.« Tatsächlich steht da: »Unser Land kann viel, wenn man es lässt«. Was denn nun, viel oder mehr? Soll Deutschland wirklich von der Leine gelassen werden? Annalena Baerbock und ein hemdsärmeliger Robert Habeck jedenfalls stehen da und lachen wie optimistische Hundehalter, kurz bevor sie »Der tut nix, der will nur spielen!« rufen müssen.

Klimakrise

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Baerbock solo verspricht »Wirtschaft und Klima ohne Krise«, und da lacht sie nicht mehr. Das Versprechen ist ernst. Keine Klimakrise, keine Wirtschaftskrise, ein verbindendes »und«, wo der politische Gegner gern ein »oder« setzt. Habeck solo lümmelt auf einem Hocker und verspricht für »Züge, Schulen, Internet« ein »Land, das einfach funktioniert«. Sein »Jetzt mal Butter bei die Fische«-Blick, die Runzelstirn und die zur Tat erhobene Hand signalisieren, dass er genau weiß, wie das funktionieren könnte.

Wahlkampfleiter Kellner mit neuen Plakaten: Grasen auf der gleichen Wiese wie die Union

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Foto: Michael Kappeler / dpa

Das übrige Personal ist über die wichtigen Themenfelder verteilt. Zwei als »Frauen« lesbare Menschen liegen sich in den Armen, weil alle Formen von Diskriminierung überwunden sind: »Rassismus gehört ausgegrenzt«, Punkt, »Sonst niemand«, Punkt. Das soll wohl das »woke« Publikum ansprechen.

Ein Geniestreich: Die junge Teilnehmerin von »Jugend imkt«

Ein Markus Lüpertz in Freizeitkleidung und mit Le-Corbusier-Brille wiederum soll ältere Wählerschichten erschließen, und zwar nicht mithilfe schlechten Gewissens gegenüber ihren Enkeln (dafür gibt’s den »Enkelkinder-Flyer«). Nein, der Herr freut sich einfach nur still über den guten Empfang seines Smartphones: »Lädt nicht, gibt’s nicht«, weil der Robert Habeck das geregelt hat.

Zielgruppe Senioren: Habeck hat das geregelt

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Foto: Michael Kappeler / dpa

Der Schwerpunkt liegt auf dem Nachwuchs. Ein kleines Mädchen zerknautscht einem kleinen Jungen zu Trostzwecken das Gesicht, nicht umgekehrt, hier kehren sich wie nebenbei die Rollenverhältnisse um, sowie: »Reichtum ist, wenn alle Kinder frei von Armut sind«. Bei der jugendlichen Erasmus-Studentin nebenan beginnt gerade das Ecstasy zu wirken. Sie sagt aber nicht: »Komm, ich zeig Dir die Liebe«, sondern: »Kommt, wir bauen das neue Europa«.

Ein Junge wie aus »Krieg der Knöpfe« springt in einen Teich oder über ein Hindernis, vielleicht die Braunkohlelobby, und ruft uns dabei zu, denn er hat einen langen Atem und mag’s abgedroschen: »Schützen wir die Erde, sie ist die einzige, die wir haben«. Ein kleiner Geniestreich dagegen die junge Teilnehmerin von »Jugend imkt«, der überdies das rhetorische Stilmittel des Zeugmas nicht fremd ist: »Wir retten Bienen retten uns«.

In ihrem Werben um Stimmen grasen die Grünen auf der gleichen Wiese wie die Union. Daran lässt auch diese Kampagne keinen Zweifel. Allerdings scheinen sie um den weniger drögen Teil einer Mitte zu werben, die bei CDU und CSU – ausweislich ihrer Plakate – ins mindestens reaktionäre Spektrum reicht. Der grüne Spagat ist anspruchsvoller, er will Markus Lüpertz ebenso wie seine Fridays-for-Future-Enkel erreichen – und die lesbische Nichte mit dem Vater aus Marokko noch dazu.

Nicht vertreten, zumindest bisher, ist der »ehrliche Arbeiter« im Weinberg des Bruttosozialprodukts, die Frau im Blaumann, die heilige Kuh linker Politik. Eine Pflegerin mit Mundschutz (»Ganz einfach: Gleiche Arbeit, gleiche Bezahlung«), das war’s und wird der Linken oder der SPD überlassen.

Genau, was macht eigentlich die SPD?

Vage in Erinnerung hat man Fotos, auf denen Olaf Scholz irgendwo herumsteht und sich fotografieren lässt – vermutlich für Plakate, die noch kommen. Unterdessen ist es den Sozialdemokraten gelungen, sich in einem Akt kreativer Piraterie den Claim der Grünen (»Bereit, weil Ihr es seid«) zu sichern – sodass bei der SPD landet, wer im Internet danach sucht. Bravo.

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