TECHNIK Wandern in Würsten
Ein Froschmann schwebte zur Decke. Ein Herr in dampfendem Jackett entfernte Bandagen von einer Johnson -Büste. Vernehmlich schlug ein Herz.
Mit derartigen »Einführungsriten in ein totales Theater« (so der Autor) unterhielt Öyvind Fahlström, Maler, Schriftsteller und Happenist schwedischer Abkunft, rund 1000 Zuschauer in einer New Yorker Exerzierhalle. Seine Darbietung (Titel: »Küsse, süßer als Wein") war die siebte in einer neunteiligen Veranstaltungsreihe »Theater und Technik«
- dem (laut »Newsweek") »bisher umfangreichsten und bestorganisierten Versuch, Künstler mit dem großartigen Rüstzeug der Wissenschaft auszustatten«.
Neun Abende lang demonstrierten Schriftsteller, Musiker, Tänzer und Maler (Prominentester: Pop-Papst Robert Rauschenberg) neuartige Klang -Collagen, Licht-Spiele und kinetische Kolossalkünste, die sie allein nicht hätten erfinden können: Bei Inspiration und Exekution stand den Artisten ein Techniker-Team der Forschungsgesellschaft »Bell Telephone Laboratories« zur Seite. Rauschenberg: »Mit Ingenieuren zu arbeiten, ist so anregend.«
Begonnen hatte die Zusammenarbeit vor zehn Monaten - als Vorbereitung auf ein »Festival für Kunst und Technik«, das in Stockholm stattfinden sollte. Als die Schweden-Fete aus Geldmangel abgesagt wurde, planten die New Yorker ihre eigenen Spiele. Zehn Künstler und etwa 30 Techniker - angeleitet von dem schwedischbürtigen Elektronik-Ingenieur Billy Klüver - berieten, bastelten und probten in einer Schul-Turnhalle.
Frucht der Freizeitgestaltung war ein Arsenal komplizierter Spielgeräte (Anschaffungskosten: 120 000 Mark) - darunter eine neuartige Elektronik-Anlage namens »Theme« (Abkürzung für »Theatre Environmental Modular Electronic"), die gleichzeitig verschiedene Laute, Lichter und bewegte Gegenstände aus der Ferne steuern kann.
Den Aufwand hält Klüver für bescheiden: »Verglichen mit großen Computern und den Raketen von Cape Kennedy, sind das kleine Fische - man darf nicht verlangen, daß sich die Künstler gleich an die schwierigsten technischen Probleme heranwagen.«
Dennoch machten die Apparate phantastische Schau- und Hörspiele möglich: An den neun Theater-Abenden wurden intime Körpervorgänge, wie Gehirnströme und Muskelkontraktionen, hörbar; ertönten Ton-Montagen aus Radiosendungen, abgehörten Telephongesprächen, Straßen- und Küchengeräuschen; erhob sich ein Plexiglaskasten (Inhalt: ein Tänzer) vom Boden; wirbelten Wolken und farbige Schneeflocken durch den Saal; und ein - infrarot beleuchteter - Massentanz im Dunkeln wurde auf Bildschirmen sichtbar.
Gymnastische Exerzitien schlugen unvermutet in Demonstrationen um, als die Tänzer Papp-Porträts von Bob Hope und Mao Tse-tung hochhoben. Um die Betrachter ganz auf das Theater einzustimmen, kommandierte ein Sprecher Atemübungen.
Zu Happening-Aktivität schließlich spornte der Choreograph Steve Paxton an. Er lotste 1000 Teilnehmer durch labyrinthisch verschlungene Plastik-Würste, die Luftdruck blähte - Titel: »Physikalische Dinge«. Die Wurst-Wanderer, wünschte Paxton, sollten sich »gegenseitig beobachten«.
»In Zukunft«, sagte Rauschenberg voraus, »wird die Magie auf dem Theater unglaubliche Dimensionen erobern.« Um die anregende Kollaboration mit den Ingenieuren weiterzutreiben, hat er eine Gesellschaft für »Experimente in Kunst und Technik« gegründet. Private Geldgeber spendierten bisher 400 000 Mark.
»Vom Standpunkt des Ingenieurs«, erklärt Ingenieur Klüver, haben die Kunst-Maschinen allerdings »etwas Lächerliches«. Aber das ist, sagt er, »ihr Wert«.
»Theater und Technik«-Schau in New York: Magie vom Ingenieur