»WAS LINKE SIND, ERWEIST SICH IN DER PRAXIS«
SPIEGEL: Herr Braun, Herr Wiens, Sie haben jetzt ein Jahr lang einen genossenschaftlich bewirtschafteten Verlag betrieben, und das in einer Zeit, in der eine ganze Reihe von anderen Modellen, die ähnlich strukturiert waren, gescheitert sind. Wann werden Sie bankrott sein?
BRAUN: Da kann man ganz einfach antwortet: erst dann, wenn die Autoren bankrott sind; denn der Verlag der Autoren, das sind eben die heute 58 Autoren. Und das ist nicht nur deren Geld, sondern deren Produktivkraft. Der Verlag kann also überhaupt nicht bankrott gehen, wenn nicht die Autoren den Verlag verlassen.
SPIEGEL: Er kann natürlich bankrott gehen in dem Augenblick, wenn die Stücke, die die Autoren in den Verlag einbringen, nicht gespielt werden. Bislang haben Sie zwar eine große Zahl von Stücken angeboten, aber es sind nur sehr wenige Stücke gespielt und noch weniger nachgespielt worden.
WIENS: Na gut, darüber kann man eben nichts sagen, weil sich das in einem Jahr nicht beurteilen läßt. Wovon man ein bißchen was an Tendenz ablesen kann, ist die Zahl der Vertragsabschlüsse. Und die Zahl der Vertragsabschlüsse klettert von April 69, wo es ein einziger war, auf 24 im April 70 und klettert völlig regelmäßig. Und die Einnahmen, die dem gegenüberstehen -- diese Verträge beziehen sich natürlich zum Teil auf die nächste Spielzeit -, steigen auch in einer ziemlich regelmäßigen Kurve, so daß wir schon erwarten, daß wir Mitte des Jahres uns selber tragen.
SPIEGEL: Was bei Ihren Vertragsabschlüssen auffällt, ist, daß Sie für die jungen deutschen Autoren fast nur kleine Theater gefunden haben. Das heißt, der Tantiemenzufluß dürfte auch recht gering sein.
BRAUN: Das stimmt nur zum Teil. Die Staats- und Stadttheater in den großen Häusern wagen es noch nicht, ihrem Abonnementspublikum meinetwegen den neuen Fassbinder oder den neuen Handke vorzusetzen. Diese Stücke erscheinen gewöhnlich in den Werkstatt- und Studiotheatern. Aber immerhin gibt es auch große Häuser, die unsere Stücke spielen, das Staatstheater Stuttgart, das Basler Theater etwa oder die Münchner Kammerspiele.
SPIEGEL: Wie ist denn das Verhältnis des Verlags der Autoren zu den alteingesessenen großen Theaterverlagen? Wir haben gehört, daß die Aufnahme des Verlags der Autoren in den Berufsfachverband, den Bühnenverlegerverband, Schwierigkeiten bereitet hat.
WIENS: Ja, das ist richtig. Es herrschte dort der Eindruck durch die ersten Pressebeschreibungen von unserer Verlagsstruktur, als würden im
* Mit Horst-Dieter Ebert, Walter Steinbrecher und Fritz Rumler.
Verlag der Autoren andere Vertragsbedingungen gegeben als in anderen Verlagen. Das heißt, daß die Autoren bei uns mehr Prozente der Tantiemen bekämen als in anderen Verlagen.
SPIEGEL: Aber es Ist doch so, daß ein Autor im Verlag der Autoren mehr Geld verdient?
BRAUN: Aber nicht in seiner Eigenschaft als Autor des Verlages, sondern in seiner Eigenschaft als Miteigentümer des Verlages. Es kann wohl kein anderer Verleger, der eine Kommanditgesellschaft hat, in dessen Verlag also Kommanditisten sitzen, die nur ihr Geld dort für sich arbeiten lassen, dagegen sein, daß auch im Verlag der Autoren Kommanditisten sind, die mit dem Geld, das erwirtschaftet wird, Gewinne machen. Nur sind das halt in unserem Falle die Autoren selbst und nicht irgendwelche fremden Geldgeber.
SPIEGEL: Na schön, aber die Aufteilung des Autors in Literaturproduzent und Kommanditist des Verlags erzeugt eben letztlich doch einen höheren Gewinn eines Autors in Ihrem Verlagsmodell als in einem anderen.
WIENS: Wenn der Verlag erfolgreich wirtschaftet, sicher.
BRAUN: In dem Augenblick, wo wir den ersten Gewinn ausschütten -- das wird wahrscheinlich schon in diesem Jahr sein -, hat der Autor bei uns effektiv mehr Geld.
SPIEGEL: Er partizipiert praktisch am Mehrwert.
BRAUN: Genau. Andererseits muß man natürlich sagen, daß in der Tat die Autoren es in der Hand haben, sich günstigere Prozente und Bedingungen im Verlag der Autoren zu verschaffen; denn wenn sie auf der Vollversammlung bestimmen, daß die Vertragsbedingungen soundso geändert werden, mit Mehrheit bestimmen, müssen die Delegierten des Verlages dies natürlich ausführen.
WIENS: Zum Beispiel haben die Autoren von sich aus festgesetzt, wie hoch ihr Anteil an den Abschlüssen von Funk- und Fernsehverträgen ist.
SPIEGEL: Nun hat ja bei der Gründung Ihres Verlages etwa der Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld erklärt: daß dieser Verlag keinen Schritt in Richtung Sozialismus markiere, könne man schon daran sehen, daß ein so repräsentativ sozialistischer Autor wie Peter Weiss sich Ihrem Modell nicht anschließe. Andere repräsentative linke Autoren -- etwa Martin Walser oder Heinar Kipphardt sind ebenfalls im Suhrkamp-Verlag verblieben. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
BRAUN: Na ja, das Argument Unselds wird sich einfach durch die Praxis entkräften lassen müssen; das ist vielleicht ein Wunschtraum gewesen. Und man kann den nur dadurch widerlegen, daß der Verlag floriert.
SPIEGEL: Nun, wenn jemand sagt, es sei kein linker Verlag, weil die richtigen Linken nicht hineingingen, und wenn man dann sieht, daß in der Tat ja doch mehr so verinnerlichte Linke wie Bazon Brock und Peter Handke als Gründungsmitglieder dem Verlag geholfen haben, dann ist das doch immerhin eine Frage.
BRAUN: Also ich finde, was richtige Linke sind, das erweist sich wohl doch am ehesten in der Praxis und nicht in der Theorie.
SPIEGEL: Verhalten sich denn nach Ihren Erfahrungen, Herr Braun, die Autoren des Verlags der Autoren in der Arbeit mit den Delegierten anders als die Autoren in einem konventionell strukturierten Verlag, etwa dem Suhrkamp-Verlag, mit den Lektoren?
BRAUN: Wir haben lange gesucht für ein Wort, einen Begriff für das, was Sie eben »konventionell strukturierten Verlag« genannt haben. Dafür hat unser Autor Wolfgang Deichsel inzwischen den Begriff »Verlag der Verleger« gefunden.
SPIEGEL: Also dann -- wie unterscheiden sich die Verhaltensweisen von Autoren in einem Verlag der Autoren gegenüber den Verhaltensweisen von Autoren, die einem Verlag der Verleger angehören? Konkret: War die Arbeit mit den Autoren Im Verlag Suhrkamp anders als jetzt im Verlag der Autoren?
BRAUN: Für mich nicht sehr viel, da ich auch im Suhrkamp-Verlag nur ein Angestellter war, also auch ein Abhängiger, wenn auch mit gewissen Vollmachten. Aber trotzdem: Das Verhältnis des einzelnen Autors zum Verlag ist ein anderes geworden, als es bisher war. Der einzelne Autor fühlt sich nicht mehr abhängig von der Gunst, der Gnade, dem Wohlwollen eines einzelnen, für ihn allmächtigen Verlegers, sondern im Verlag der Autoren fühlen sich umgekehrt die Delegierten abhängig von dem Vertrauen und der Zustimmung der Gesamtheit der Autoren.
WIENS: Mir ist zum Beispiel aufgefallen, daß die Autoren, wenn sie mit uns zusammenkommen, sich nicht nur erkundigen, was macht mein Stück, was macht mein Fernsehspiel, sondern sich erkundigen: Wie geht es dem Verlag, wie läuft es, wie sieht es aus, also die Frage nicht nach ihrem Einzelinteresse stellen, sondern auch nach dem Gesamtunternehmen. Mir persönlich ist es so gegangen -- das habe ich erst nachträglich festgestellt -, daß ich mich auf der Gesellschafterversammlung tatsächlich in die Rolle des Angestellten begeben habe, und alle Fragen der Autoren, die teilweise auch kritisch waren, beantwortet habe wie ein Angestellter, der sich -- extrem ausgedrückt selbstverständlich -- gegenüber dem Chef rechtfertigt.
SPIEGEL: Das heißt, Sie haben nicht mehr einen Chef, sondern praktisch 50 Chefs.
WIENS: Ja, so ungefähr.
SPIEGEL: Setzen wir noch mal da ein: Ein reicher, angesehener, traditioneller Bühnen-Verlag der Verleger also, der gleichzeitig wie die meisten auch einem Buchverlag angeschlossen ist, kann ja doch für die Förderung seiner Autoren durch Werbung, durch Investition von Geld und Stipendien eine ganze Menge tun. Was kann der Verlag der Autoren für einen jungen Autor tun, was nicht andere Verlage besser tun könnten?
BRAUN: Die Hauptsache -- scheint mir aus Erfahrung -- für einen jungen Autor ist nicht, daß er möglichst viel Geld hat, damit er ungestört und ohne große Probleme arbeiten kann, sondern die Hauptsache für einen jungen Autor ist die Arbeit mit ihm zusammen an dem, was er gerade schreibt. Das ist die Grundvoraussetzung für all das, was an neuen Stücken erscheint.
WIENS: Man kann die Frage auch von den Autoren her beantworten; denn die Gründer sind alle Autoren gewesen, die bereits In einem Verlag waren. Und im Laufe des Jahres sind auch weitere Autoren hinzugekommen, die bereits bei anderen Verlagen waren. Alle diese Autoren haben mit ihrem Eintritt in den Verlag bekundet, daß sie hierherkommen, um diesem Modell, dieser Struktur zum Erfolg zu verhelfen, also durchaus aus ideologischen Gründen; denn die Struktur, die Gründung versteht sich ja ideologisch gegen das bestehende System.
SPIEGEL: Im Grunde wäre dann eine Ausbreitung dieser Struktur auf andere Verlage für Sie von Nachteil.
BRAUN: Im Gegenteil: Es ist zwar möglich, aber nicht wünschenswert, daß auf die Dauer der Verlag der Autoren als einzige isolierte Insel inmitten des Kapitalismus steht -- es müssen überall, bei Verlagen, Theatern, Zeitungen, Nachrichtenmagazinen, Filmer-Gruppen und Architekten-Büros ähnliche Modelle entwickelt werden. Wir beraten da natürlich gern, und wir sind auch gelegentlich schon um Rat gefragt worden.
SPIEGEL: Wie steht es denn mit dem Autoren-Nachwuchs? Gibt es zu wenige oder eher zuviel Stückeschreiber?
BRAUN: Das Angebot von Manuskripten ist sehr groß. Wir haben in diesem einen Jahr seit Bestehen des Verlages zwischen 700 und 800 Stücke bekommen und gelesen.
SPIEGEL: Heißt das, daß Sie pro Tag zwei Stücke lesen?
WIENS: Ungefähr, ja. Aber allein die Zahl der neuen Namen, die im Programm stehen, beweist doch, daß aus unserer Perspektive jedenfalls ein sehr großer Nachwuchs da ist.
SPIEGEL: Haben Sie das Gefühl, die jungen Leute kommen aus einem bestimmten Grund zu Ihrem Verlag? Oder können Sie an den Themen eingeschickter Arbeiten ablesen, daß Ihr Verlag sozusagen von vornherein ein bestimmtes Image hat?
WIENS: Das könnte man vielleicht sagen. Wenn man unter den deutschsprachigen Titeln einen Schwerpunkt feststellen will, dann ist das etwa der Schwerpunkt des kritisch-realistischen Stückes, also Autoren wie Sperr, Henkel, Kelling, Korn, Fassbinder oder Runge ...
BRAUN: ... also Stücke aus unserer Wirklichkeit, dagegen fast überhaupt keine Unterhaltungsstücke.
* Das Kaffeehaus« von Goldoni/Fassbinder in Bremen.
SPIEGEL: Gibt es denn überhaupt ein formuliertes Ziel des Verlages, also ein weltanschauliches Ziel? Ist der Verlag nicht nur in der Struktur ein linkes Modell, sondern ist er auch ein Interessenverband von Linken?
WIENS: Die Frage ist falsch gestellt. Die Struktur ist die Ideologie.
SPIEGEL: Ganz konkret gefragt: Würde der Verlag der Autoren das neulich in Hannover uraufgeführte Bundeswehr-Musical »Qutside« In sein Programm aufnehmen?
WIENS: Selbstverständlich nicht; denn die Autoren, die sich zum Verlag zusammengefunden haben, sind -- um so eine verbrauchte Vokabel zu gebrauchen -- engagierte, linke Autoren. Diese Autoren wählen ihre Delegierten, von denen sie glauben, daß sie ihre Interessen vertreten, ihr Programm vertreten, ihre Stücke vertreten, ihre Ideen vertreten. Und falls wir gegen die Interessen der Autoren jetzt ein rechtes Programm annehmen sollten, würden die Autoren natürlich Einspruch erheben gegen diese Aufnahme, würden schließlich uns abwählen und würden wiederum Delegierte nach ihrer Wahl einsetzen.
SPIEGEL: Kann nicht die Tendenz des Verlages, ein Gesinnungsverlag zu werden, dann innerhalb des Vereins auch die Ideologisierung und Dogmatisierung so verstärken, daß die Auseinandersetzung über linke Literatur dadurch blockiert wird, daß alle Linken auf einem Haufen sitzen?
WIENS: Das wäre vielleicht noch nicht mal so schädlich, wenn alle Linken auf einem Haufen säßen. Aber es gibt, das hat sich in den Diskussionen herausgestellt, kein ideologisches Konzept, das so klare Linien festlegen würde und gleichzeitig noch mobil für einen Verlag wäre. Jedenfalls nicht für einen längeren Zeitraum.
SPIEGEL: Sehen Sie noch, wie zu Zeiten der Verlagsgründung, die Möglichkeit, den Verlag auszuweiten, etwa einen Buchverlag hinzuzunehmen?
WIENS: Diese Überlegungen laufen im Augenblick, das versteht sich, zunächst einmal auf eigene Publikationen der Theatertexte hinaus. Selbst dafür aber ist nach dem ersten Jahr natürlich das Kapital noch nicht vorhanden. Das heißt, Überlegungen zu einem eigenen Buchverlag, also auch um Prosa, Lyrik etc. zu verlegen, kommen erst in weiter Zukunft in Frage.
BRAUN: Es ist im Augenblick viel realistischer, daß der Verlag der Autoren sich den Medien zuwendet, die er zum Teil heute schon bedient, das heißt also der ganzen elektronischen Industrie; daß der Verlag der Autoren eher versucht, kraft des Zusammenschlusses seiner Autoren Möglichkeiten in die Hand zu bekommen, die Medien der Zukunft stärker beeinflussen zu können und dort einzusteigen, wo bereits heute die großen Konzerne ihren Fuß drin haben, um dort wirklich eine Gegenposition zu schaffen.
SPIEGEL: Der Verlag der Autoren ist durch seine sozialistische Struktur ja ein Unikum Innerhalb der Verlagslandschaft. Ist er dadurch innerhalb des Konkurrenzkampfes bevorteilt oder benachteiligt?
WIENS: Also Ich würde sagen, er Ist von einer gewissen Seite her bevorteilt, weil dieses Modell sich als attraktiv für Autoren herausgestellt hat ...
BRAUN: ... bevorteilt insofern auch dadurch, als der Verlag die große Sympathie hat von selten der Abhängigen -- also der Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen innerhalb der autoritär geführten Theater -- und auch von selten der Dramaturgen, ebenfalls der Abhängigen, innerhalb der Rundfunkanstalten usw. Alle, die eine Änderung dieser Strukturen für notwendig halten und die unter dem bestehenden System leiden, begrüßen eine solche Initiative wie den Verlag der Autoren und unterstützen sie.
SPIEGEL: Ist es durch die Solidarisierung, die Sie erreicht haben, gelungen, für Ihre Autoren gegenüber Institutionen Vorteile durchzusetzen, die die einzelnen Autoren bisher nicht erreicht haben?
BRAUN: Es ist zum Beispiel möglich gewesen, für bestimmte Top-Autoren Verträge durchzusetzen, die die Vertragspartner dann für andere Autoren, die weniger bekannt sind, nicht mehr zurückweisen können ...
SPIEGEL: ... so daß also damit ein gewerkschaftliches Kampfmittel für die Autoren erreicht worden ist.
WIENS: Ja, so versteht sich der Verlag unter anderem auch.
SPIEGEL: Sie haben etwa zugleich mit der Gründung des Verlags der Autoren eine andere Aktivität angekurbelt, und zwar zugunsten eines bislang nie so recht präsenten Jugend- und Kindertheaters.
WIENS: Ja, wir haben das gemacht, weil dieser Zweig so vernachlässigt wird, und weil natürlich der Sektor Kindererziehung und alles, was mit ihm zu tun hat, auch durch die antiautoritäre Bewegung erstmals wieder in den Blickpunkt geraten ist. Diese Aktion hat ein quantitativ sehr erfreuliches Ergebnis gebracht. Hunderte von Briefschreibern, die bloß Interesse bekundet haben und irgendwie mitarbeiten wollten, und 120 Einsendungen, aus denen wir immerhin sieben geeignete Stücke für unser Programm ausgewählt haben.
SPIEGEL: Was heißt sieben von 120? Ist das eine gute Quote?
WIENS: Sieben ist deswegen sehr viel, weil ja in den Einsendebedingungen schon eine ziemlich klare Linie vorgesteckt war und weil die üblichen Weihnachtsmärchen von vornherein ausgeschlossen waren. Es sind auch dann unter den 120 Einsendungen nur 50 Märchenstoffe überhaupt gewesen. Die Bearbeitungen der Grimm- oder Andersen-Märchen fehlten ganz.
SPIEGEL: Das Interesse der Theater an Kinderstücken scheint uns nicht so überraschend. Es ist eine alte Intendanten-Erfahrung, daß mit Kinder-Inszenierungen am leichtesten der Saal zu füllen und am leichtesten Geld zu verdienen ist.
WIENS: Das ist eine ziemlich zynische Begründung, in der es dann auch immer heißt, daß man heute das Publikum von morgen heranholen müßte. Das ist aber auch genau in dem Sinne, wie es gesagt wird, zu verstehen, daß nämlich dieses Publikum tatsächlich ausgebildet wird als das Publikum von morgen, als die Abonnenten, die dann die Plätze zu füllen haben. Und dagegen richtet sich unser Programm natürlich auch. Es geht also in unserem Programm nicht um die Zuschauer von morgen, sondern es geht um die Kinder von heute.
SPIEGEL: In München läuft eines Ihrer Stücke -- der »Maximilian Pfeiferling« Im Off-Off-Theater. Und da kann man den Eindruck gewinnen, daß es den Kindern besser gefällt als den Eltern.
WIENS: Das ist gut möglich In diesem Falle. Das Ist ein Stück, das sich mit dem Problem der anti-autoritären Erziehung auseinandersetzt, und es ist eindeutig parteilich für die Kinder.
* Im Bremer Theater.
BRAUN: Es ist ein Aufklärungs- und kein Domestizierungs-Stück. Deshalb gefällt es natürlich auch den Eltern weniger als den Kindern.
SPIEGEL: Apropos Aufklärung was machen Sie denn als die Delegierten des Verlages, um die Autoren einzuüben und aufzuklären über ihr Recht auf jene demokratische Mitsprache, die es bisher in anderen Verlagen noch nicht gegeben hat? Es hat sich doch offenbar in Ihrer Autoren-Versammlung gezeigt, daß die Kommanditisten, also die Autoren des Verlages, eben all ihre Mitspracherechte gar nicht in Anspruch nehmen.
WIENS: Also wir unternehmen eine größere oder sogar, wenn man so will, die totale Information der Mitglieder. Das heißt, die Mitglieder werden in Rundbriefen über alles im Verlag informiert, über die Bilanz etc., etc. Was die Autoren darüber hinaus wissen wollen, wird ihnen jederzeit gesagt. Daß sie im ersten Jahr diese Rechte noch nicht in größerem Umfang in Anspruch genommen haben, liegt möglicherweise daran, daß in einem Investitionsjahr noch gar nicht so viele Fragen auftauchen können.
SPIEGEL: Warum, Herr Braun und Herr Wiens, hat Ihr halbwegs sozialistisches Verlagsmodell so lange Zeit überdauert, während doch alle anderen ähnlichen Gründungen so sehr viel früher bankrott gegangen sind?
WIENS: Einmal hängt das wohl damit zusammen, daß wir uns darauf beschränkt haben, mit einem Theaterverlag anzufangen, bei dem die Investitionen relativ niedrig sein können. Und zum andern haben wir mit einem so kleinen privaten Darlehen angefangen, nämlich 50 000 Mark, daß wir nicht in die Abhängigkeit von einem Kapitalgeber gerieten, der dann doch wieder wissen will, was mit seinem Geld geschieht, wie das bei einigen der anderen Verlagsgründungen der Fall war.
BRAUN: Und dann wurden die anderen Gründungen zum großen Teil auch von Leuten betrieben, die in ihrem Fach nicht Fachleute waren.
SPIEGEL: Also glauben Sie, daß heute ein sozialistischer Verlag nur dann funktionieren kann, wenn er am kapitalistischen Produktionsprinzip der Arbeitsteilung festhält?
WIENS: Unter den augenblicklichen Bedingungen im kapitalistischen System ganz sicher. Es Ist doch bezeichnend, daß bei diesem Modell nicht die Autoren einen Verlag gegründet haben in dem Sinne, daß sie selbst den gesamten Verlag betreiben, sondern sie haben einen Verlag gegründet, der ihnen gehört, für den sie aber die Arbeitsteilung voll aufrechterhalten haben: Lektoren werden eingesetzt als Lektoren, obwohl natürlich auch ein Autor mal als Lektor befähigt sein mag. Aber es sind eben Fachleute eingesetzt worden für das jeweilige Fach. Im Verlag der Autoren wird eine Sekretärin eben nicht eine Autorin, sondern eine Sekretärin sein.
SPIEGEL: Herr Braun, Herr Wiens, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.