Ferda Ataman

Utopien Dagegen sein reicht nicht

Ferda Ataman
Eine Kolumne von Ferda Ataman
Wie mit den Ereignissen in Thüringen umgehen? Warnungen vor Faschismus sind wichtig. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, eigene Leitbilder für die Zukunft zu erarbeiten.
Björn Höcke, Thüringer AfD-Fraktionschef, gratuliert Thomas Kemmerich (FDP)

Björn Höcke, Thüringer AfD-Fraktionschef, gratuliert Thomas Kemmerich (FDP)

Foto: Bodo Schackow/ dpa

Wie hätten Sie Deutschland gern in den Dreißiger- oder Vierzigerjahren des 21. Jahrhunderts? Auf jeden Fall anders als im letzten Jahrhundert, werden Sie jetzt vielleicht denken, nie wieder Faschismus und Diktatur. So denke ich zumindest. Aber eine Antwort auf die Frage ist das nicht.

Fällt es Ihnen auch leichter zu sagen, wofür Sie nicht sind, als wofür? Nehmen wir den Fall Thüringen: Das Bundesland ist kaum von Interesse, wenn nicht gerade gewählt wird. Aber die Vorstellung, dass FDP und CDU in einer neuen Regierung mit strammen Neonazis paktieren, hat viele Menschen mobilisiert und bundesweit auf die Straße getrieben. Gegen etwas zu sein ist ein wichtiger Antrieb in der Politik.

Den nutzen vor allem die Apokalypse-Profis von der AfD. Sie malen unsere Zukunft burkaschwarz, beschwören den Untergang des Deutschtums und inszenieren sich als Dagegenpartei. Das ist durchaus sinnvoll: Nur so kann man sozialdarwinistische Thesen als vertretbare Lösungen verkaufen.

Dummerweise funktioniert das Dagegensein auch bei Demokrat*innen gut. Seit Jahren lassen wir uns von Rechtsextremisten die Agenda diktieren oder arbeiten uns an neuen Tabubrüchen ab, statt eigene Ideen auf den Tisch zu werfen. Diesen Schuh muss ich mir auch anziehen: In der Heimatkunde-Kolumne habe ich mich vor allem mit Rassismus und dem Rechtsruck beschäftigt.

Doch auf Dauer hat diese Herangehensweise einen Haken: Sie bringt uns nicht voran. Wer ausschließlich mit Dystopien arbeitet, wer antifaschistisch, antikapitalistisch, anti irgendwas argumentiert, bleibt in der negativen Erzählung. Ein weiterer Haken ist, dass unser Gehirn Verneinungen nicht gut verarbeiten kann . Worte wie "anti", "nicht" oder "gegen" funktionieren nicht so, wie sie sollen.

Machen wir einen Versuch. Woran denken Sie, wenn ich sage:

  • Alexander Gauland ist kein Faschist.

  • Nicht nur Chinesen haben das Coronavirus.

  • Die allermeisten Migranten sind nicht kriminell.

Wirkt Gauland dadurch bürgerlicher? Die Infektionswelle weniger "asiatisch"? Denken sie bei nicht kriminellen Migranten an sympathische Leute of Color? Vermutlich nicht. Verneinungen ändern die Bilder nicht, sie arbeiten damit.

Migranten sind kriminell, Muslime gefährlich, Deutsche werden benachteiligt gegenüber Flüchtlingen: Die rechtsextreme Erzählung wird getragen von vielen kleinen Geschichten, die teilweise auch von Progressiven und Liberalen übernommen werden, schreibt die Autorin Julia Fritzsche in einem Essay im aktuellen Missy Magazin 

Statt immer nur dagegen zu argumentieren, dürfen wir - gerade jetzt – nicht vergessen, auch eigene, positive Leitbilder für unsere Zukunft anzubieten. Fritzsche plädiert hier für neue Sprachbilder und positiv formulierte Ziele, die eine andere Erzählung möglich machen.

Aber ist das genug? Müssen wir nicht mal wieder größer denken? Die Wahrheit ist doch: Die meisten von uns haben unsere Lebensweise als alternativlos akzeptiert und arbeiten nur noch an einzelnen Verbesserungen. Selbst die Rebellen unserer Zeit, die jungen Aktivist:innen von Fridays for Future , reden vor allem über technische Details wie CO2-Zertifikate, mehr Windräder, weniger Kohlekraft.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde die FFF-Bewegung beeindruckend und wichtig. Aber ich glaube, wir brauchen als Diskussionsgrundlage mehr mutige Utopien für die Zukunft. Konzepte, die weiter reichen als "weniger Emissionen" oder #noafd . Das ist natürlich nicht einfach. Aber wir müssen das Rad ja auch nicht neu erfinden. Wir können mit dem arbeiten, was da ist. Für die Themen Nationalismus und Migration gibt es zum Beispiel die Allgemeine Menschenrechtserklärung  der Vereinten Nationen. In Artikel eins heißt es da:

"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren."

Wir könnten daran arbeiten, dass das auch nach der Geburt so bleibt. Statt also "weniger Abschiebungen" zu fordern, warum nicht gleich "globale Bewegungsfreiheit" vorschlagen? Das wäre eine konsequente Umsetzung des Grundrechts auf Freiheit, das laut Vereinten Nationen allen Menschen zusteht. Sollte jemand einwerfen, dass das unseren Wohlstand bedroht, kann man auf den Rest von Artikel eins verweisen: "Sie [alle Menschen] sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen."

Oder wie wäre es mit einem Ende der Passlotterie nach Abstammung und Geburtsort? Positiv formuliert: wie wäre es mit einem weltweit flexiblen, offenen Staatsangehörigkeitsrecht? Soll doch jede:r selbst entscheiden, wo und mit welcher Nationalität er oder sie leben will.

Und wenn wir schon beim utopischen "think big" sind: Warum nicht Nationalitäten ganz überwinden und eine Weltrepublik mit regionalen Verwaltungsgebieten anstreben? Die ganze Menschheit als Clan – so abwegig ist das in einer aufgeklärten, globalisierten Welt gar nicht.

Als Vorlagen für eine bessere Zukunft gibt es außerdem die UN-Kinderrechtskonvention , die alle Staaten der Welt unterzeichnet haben (außer den USA). Sich daranzuhalten würde bedeuten: Frieden und Naturschutz haben oberste Priorität. Inspiration für positive Zukunftsträume bieten auch andere nationale und internationale Abkommen. Wir sollten sie mehr nutzen.

Trotzdem möchte ich auch weiterhin "Antifaschistin" sein und Menschen feiern, die anti-schwarzen  und antimuslimischen Rassismus  benennen, die gegen Antiziganismus  und Antisemitismus  aufstehen, wie es viele in Deutschland tun. Ja, wir brauchen neue, positive Narrative für die Zukunft. Aber Dagegensein ist auch wichtig, wenn es um menschenfeindliche Ideologien und die Zerstörung der Umwelt geht.

Das eine schließt das andere nicht aus.

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