
Gewalt an Weihnachten Die gefährlichste Zeit des Jahres


Stille Nacht, heile Nacht? Impression von deutschem Mietshaus
Foto: Ole Spata / plainpictureEtwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch einen Partner. Es trifft Frauen aller sozialen Schichten und in jedem Alter .
Dort, wo Sie wohnen, könnte es also sein, dass über Ihnen, neben Ihnen oder im Haus auf der anderen Straßenseite eine Frau gerade bedrängt, verletzt oder geschlagen wird.
Häusliche Gewalt ist nach wie vor eine beschämende kriminalstatistische Konstante, die nun um den Faktor Krise verstärkt wird. Sowohl die pandemiebedingte Isolation als auch der Umstand selbst, dass wir uns insgesamt in einer Krisensituation befinden, erhöhen die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Übergriffe auf Frauen.
Ob Kriege, Naturkatastrophen oder schwere Epidemien, unabhängig vom betroffenen Land: In Krisensituationen nimmt die häusliche Gewalt immer zu.
Nachdem 2005 Hurrikan Katrina in den Vereinigten Staaten gewütet hatte, verdoppelte sich die physische Gewalt gegen Frauen in New Orleans beinahe .
Als ein Erdbeben 2010 in Neuseeland für gewaltige Schäden gesorgt hatte, stiegen am darauffolgenden Wochenende die Anrufe wegen häuslicher Gewalt um 50 Prozent.
In der Provinz Hubei in China, die von der Coronavirus-Epidemie besonders betroffen war, verdreifachten sich die Berichte über häusliche Gewalt während ihres Lockdowns im Februar.
Die eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Justiz und die Furcht vor Ansteckungen in den Gefängnissen machten es zudem schwierig, Täter und Opfer voneinander zu trennen. Ein einziger, klaustrophobischer Albtraum.
Die Risikofaktoren, die innerfamiliäre und innerpartnerschaftliche Gewalt verstärken, sind in epidemischen Zeiten potenziert: das Abgeschirmtsein von sozialen Strukturen und Kontakten, die als soziales Korrektiv von außen das Opfer schützen können. Die räumliche Enge, klar. Existenzielle Ängste. Die ohnmächtig machende Orientierungslosigkeit, die dann durch die gewalttätige Ermächtigung der Partnerin kompensiert wird. Außerdem Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischen und sozialen Diensten, sowohl für den Täter als auch für das Opfer. Und die Angst der Betroffenen vor einer Flucht, weil gleichzeitig die pandemische Situation so unsicher ist .
Familienspannungen, die sich an Festtagstischen entladen, die noch größere räumliche Enge, wenn viele Mitglieder da sind, der organisatorische Stress, von Weihnachtsglück aufgedrehte oder von der Bescherungsenttäuschung frustrierte Kinder, die enthemmende Wirkung von Alkohol, die existenzielle Überreiztheit, die manche nun nach fast einem Jahr Coronakrise erleben: Das alles kulminiert an Heiligabend in eine lebensbedrohliche Situation, wenn man an der Seite eines unberechenbaren, gewalttätigen Partners lebt.
Laut Familienministerin Giffey sind in der Zeit der Kontaktbeschränkungen die Anrufe beim Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen um etwa 25 Prozent gegenüber 2019 hochgegangen. Der Peak war an den Osterfeiertagen.
Die hässlichste Wahrheit der Festtage: Es werden am 24. Dezember deutschlandweit messbar mehr Frauen geschlagen, gewürgt und verletzt werden. Eine Katastrophe mit Ansage.
Diese Kolumne will aber gar nicht Abbildung oder Anklage sein, zumal die Warnungen nicht neu sind und schon zu Beginn der ersten Phase der Kontaktbeschränkungen im März erfolgten. Sondern ein Appell: Auch wenn Sie sicher alle genug zu tun haben mit der Verwaltung der eigenen Existenz an den Feiertagen: Wenn Ihnen etwas Ungewöhnliches über Ihnen, neben Ihnen oder auf der anderen Straßenseite auffällt, fragen Sie, ob Hilfe benötigt wird.