Zur Ausgabe
Artikel 92 / 109

Wenn die Stimme böse wird

Nahaufnahme: Wie eine Plattenfirma in Madrid versucht, aus der Krise des Tenors Rolando Villazón ein Event zu machen
Von Joachim Kronsbein
aus DER SPIEGEL 11/2008

Es soll die schönste Inszenierung einer Auferstehung seit dem biblischen Lazarus werden. Sechs Monate lang ist Rolando Villazón, der mexikanische Tenor und Dauer-Gesangspartner von Anna Netrebko, nicht aufgetreten. Sechs lange Monate keine Konzerte, keine Platten, keine Open-Air-Auftritte. Seine Karriere war gestorben.

Villazón war am Ende, seine Stimme war überanstrengt, die Blitzkarriere hatte ihn erschöpft. Jetzt soll er wieder ganz nach oben in die Klassik-Charts. Seine Plattenfirma investiert noch einmal in den 36-Jährigen: noch einmal die PR-Maschinerie anwerfen, noch einmal die Medien mit Interviews füttern. Das geht nur mit der ganz großen Geste. Knickrigkeit zahlt sich bei so etwas nicht aus. Rolando muss es wieder einspielen.

Am vergangenen Dienstag hat die Deutsche Grammophon Musik-Manager und Medienvertreter aus der ganzen Welt in Madrid versammelt. Showcase nennt sich das Ereignis. Villazón muss vorsingen, muss beweisen, dass er wieder da ist, dass er alle Erwartungen erfüllen kann.

Die Firma hat eigens ein Orchester gemietet. Für gerade mal eine knappe halbe Stunde.

Zu feiern ist eher eine Petitesse, das erste Solo-Album von Villazón bei der Grammophon: »Cielo e mar«, Himmel und Meer. Es soll den Star mit dem Karriereknick wieder in himmlische Höhen hieven. Dass er baden geht, ist in den Planungen nicht vorgesehen. Das Album hat nur einen Schönheitsfehler, es ist vor einem Jahr, kurz vor der Stimmkrise, aufgenommen worden. An manchen Stellen hört man das.

In Bussen werden die Gäste an den Madrider Stadtrand gefahren. Dort steht ein mit Säulen geschmückter Pavillon aus den dreißiger Jahren, in dem das städtische Orchester probt. Das Orquesta de la Comunidad de Madrid, ohne Bedeutung in der Klassikszene, wird den Tenor begleiten. Villazón wird nur vier Arien singen.

Aber zuerst gibt es Alkohol und Häppchen. Das Event muss in die Länge gezogen werden. Die Busfahrt muss sich lohnen. Und weil sich die Deutsche Grammophon den Abend offenbar nicht allein leisten kann, hat sie sich die Uhrenfirma Rolex ins Boot geholt. Und so sponsert ein kommerzielles Unternehmen ein anderes. Rolex darf dafür eigene Gäste mitbringen.

Vor dem Auftritt läuft 30 Minuten ein Film über Villazón. Der Jahrhunderttenor Plácido Domingo und der Dirigent Daniel Barenboim kippen darin Kübel von Lob über den Sänger aus. Mit Barenboim wird Villazón Ende März einen Liederabend in Berlin geben.

Der Amerikaner Michael Lang, Geschäftsführer der Deutschen Grammophon, hält eine Rede, dann spricht ein Herr von Rolex. Über Villazóns Krise, über sein Abtauchen fällt kein Wort. Und dann spielt erst einmal das Orchester eine Ouvertüre. Ein bisschen zäh und nicht sehr sauber.

Endlich kommt Villazón. Er singt ein Stück von Amilcare Ponchielli, der vor allem durch seine Oper »La Gioconda« bekannt wurde. Villazóns Auftrittsarie stammt aus Ponchiellis Oper »Der verlorene Sohn«. Mehr Symbolik geht nicht.

Nach einem Orchester-Zwischenspiel folgen zwei weitere Gesangsstücke. Villazón wird gefeiert. Seine Stimme klingt nicht ganz frei, wie mit einem Grauschleier belegt. Am nächsten Tag wird Villazón in seiner Hotelsuite über seine Krise reden. Er nennt sie lieber »meine Pause«. Er sagt: »Meine Stimme war böse mit mir.« Sie habe früher und besser gewusst als er, was gut für ihn sei.

Ob beide wieder dauerhaft versöhnt sind, wird die Zukunft zeigen. Vier kurze Arien reichen als Beweis nicht aus.

Der Sänger hat am Ende seines Kurzauftritts noch eine Überraschung. Er kündigt für das letzte Stück einen neuen Dirigenten an. Sein Idol. Sein Vorbild.

Plácido Domingo erscheint und dirigiert. Villazón singt die Titelarie seines Albums »Cielo e mar«. Das Orchester spielt plötzlich besser. Die Menschen stehen applaudierend auf. Die meisten sind von der Plattenfirma und von Rolex.

In Bussen geht es zurück in die Stadt zu einem aufwendigen Abendessen ins Círculo de Bellas Artes. Thunfisch, Kalbsfilet und Kokoseis unter einem üppigen Kristalllüster. In beleuchteten Vitrinen liegen Rolex-Uhren. Jeder Gast bekommt eine Tüte mit der Villazón-CD, der Werbe-DVD und mit einem spanischen Fächer. Den braucht an diesem Abend niemand. In Madrid ist es kalt.

Michael Lang von der Grammophon hält noch eine Rede. Er begrüßt anwesende Künstler seiner Firma. Die amerikanische Sopranistin Cheryl Studer ist auch da. Sie war einmal ein Star der Deutschen Grammophon, eine Primadonna assoluta, zu Hause auf den Bühnen der Welt. Auch ihr hat die Plattenfirma einst solche Diners gegeben.

Cheryl Studer bekam eine Stimmkrise. Ihre Karriere endete abrupt. Die Münchner Staatsoper hatte sie 1998 spektakulär hinauskomplimentiert. Ihr Name stand noch einmal in allen Zeitungen. Aber da war Michael Lang noch nicht bei der Deutschen Grammophon. Cheryl Studer hat heute eine Professur an der Musikhochschule in Würzburg. Michael Lang hat sie in seiner Rede in Madrid nicht begrüßt.

Die Geschichte vom Lazarus, den Jesus von den Toten erweckt, ist eine schöne Geschichte. Was aus Lazarus danach wurde, verschweigt die Bibel. JOACHIM KRONSBEIN

Zur Ausgabe
Artikel 92 / 109
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren