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SCHRIFTSTELLER FLEMING Wer war's?

aus DER SPIEGEL 18/1967

Whodunnit? Wer war's? Die Ur-Frage aller Kriminalliteratur ist neu gestellt -- diesmal gegen einen ihrer erfolgreichsten Urheber selbst:

Britische James-Bond-Fans bezweifeln, daß Bond-Autor Ian Fleming, 1964 in Canterbury gestorben, Autor aller Bond-Bücher ist. Und ein on Her Majesty's service rechnender Computer hat jetzt ihrem Verdacht, die letzten 007-Werke, sichtbar magerer als die Früh-Stücke, seien nicht mehr von Fleming verfaßt, neue Nahrung gegeben.

Wissenschaftler des staatseigenen britischen Rechenzentrums in Chilton unterwarfen die Bond-Romane »On Her Majesty's Secret Service« ("James Bond und sein gefährlichster Auftrag") und »You Only Live Twice« ("Du lebst nur zweimal") einem Text-Test, wie er beispielsweise auch zur Überprüfung der umstrittenen Urheberschaft an den Paulus-Episteln des Neuen Testaments (SPIEGEL 47/1963) angewendet worden war.

Dieser Test basiert auf der Annahme, daß jeder Autor über unbewußte spezifische Schreibgewohnheiten verfügt, die ihn mathematisch identifizierbar machen. So soll etwa das Verhältnis von kurzen zu langen Sätzen in zwei verschiedenen Textproben desselben Autors stets fast gleich sein. Oder: Gewisse Schlüsselwörter wie »und« oder »aber« sollen bei einem Autor in immer gleichbleibender Frequenz vorkommen.

Die Chilton-Analyse von »You Only Live Twice« nun ergab eine durchschnittliche Satz-Länge von 18,5 Wörtern -- bei »On Her Majesty's Secret Service« dagegen ermittelte der Computer einen Durchschnitt von 11,4. Und auch die Schlüsselwörter-Frequenzen differierten um mehr als 007 Punkte.

Aus der Analyse schon irgendwelche Schlüsse zu ziehen, wurde jedoch von den Wissenschaftlern im Dienst Ihrer britischen Majestät mit der gebotenen Vorsicht abgelehnt.

Britanniens Literatur-Detektive aber fühlen sich in ihrem Verdacht gestärkt, Meister Fleming, in seinen letzten Lebensjahren eingestandenermaßen 007-müde, habe zuletzt einen oder mehrere Ghostwriter für sich schreiben lassen.

Und so wird nun ein altes Spiel mit neuem Text gespielt: Nicht mehr »Wer schrieb Shakespeares Stücke«, sondern: »Sein oder nicht sein Goldfinger«, das ist hier die Frage.

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